15 Jahre nach dem NSU-Nagelbombenanschlag

Noch immer kein Mahnmal für die Opfer

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Mit Plakaten erinnerten Teilnehmer einer Schweigeminute an den 15. Jahrestag des NSU-Nagelbombenanschlags in Köln.
Mit Plakaten erinnerten Teilnehmer einer Schweigeminute an den 15. Jahrestag des NSU-Nagelbombenanschlags in Köln. © Roberto Pfeil/dpa
Von Hans-Christoph Zimmermann · 09.06.2019
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Am 9. Juni 2004 explodierte in der Kölner Keupstraße eine Nagelbombe. Dabei wurden 22 Menschen verletzt, vier davon schwer. Erst 2011 wurde bekannt, dass der Anschlag auf das Konto des NSU geht. Der Jahrestag ist von Missstimmung überschattet.
"Man soll gedenken, ja, man soll auch informiert sein, was damals passiert ist, aber es ist auch 15 Jahre her und wir sind an einem neuen Punkt, nämlich dass die Menschen nach 15 Jahren immer noch um ein würdiges Mahnmal kämpfen müssen."
Kutlu Yurtseven von der Initiative "Keupstraße ist überall" kann seinen Ärger nicht verbergen. Selbst 15 Jahre nach dem Nagelbombenanschlag und acht Jahre nach der Selbstbezichtigung des Nationalsozialistischen Untergrunds als Täter ist der Unmut in der Keupstraße immer noch groß.

"Birlikte" – "Zusammenstehen"

Denn bis heute hat die Stadt Köln keine Form des Gedenkens gefunden, die dem Leid der Opfer gerecht würde. Nur einmal machte sich kurz die Hoffnung auf ein gemeinsames Gedenken breit, so Peter Bach von der Geschichtswerkstatt Mülheim: "Es war vielleicht 2014 so ein Gefühl aufgekommen: Die Stadtgesellschaft hat verstanden, wir gehen jetzt einen gemeinsamen Weg und dieses Gefühl war sehr stark."
Damals, ein Jahr nach Beginn des NSU-Prozesses, hielt die Stadt eine große Gedenkveranstaltung unter dem Namen "Birlikte" – "Zusammenstehen" ab. Unter lauter medialer Begleitmusik wurden zahlreiche Stars aufgefahren, der Kölner Oberbürgermeister gab den Zeremonienmeister und sogar der Bundespräsident war zugegen.

Struktureller Rassismus

Ein Strohfeuer des Gedenkens, denn das Zusammenstehen währte nicht lange. Der 15. Gedenktag, der am Sonntag mit Podiumsdiskussionen, einem Musikprogramm und einem langen Tisch in der Keupstraße begangen wurde, ist von Missstimmung überschattet.
"Die ganze Geschichte um den Anschlag rum ist für die Keupstraße einerseits eine sehr bittere Erfahrung und andererseits auch eine Erfahrung, dass sie das Gefühl haben: Es ändert sich eigentlich nichts in der Art und Weise, wie wir wahrgenommen werden", sagt Peter Bach.
Und Kutlu Yurtseven sagt: "Das ist der zentrale Gedanke, dass die Leute zwar wissen, was passiert ist, dass es aber noch nicht aufgehört hat. Es sind die gleichen Strukturen. Ich will nicht sagen, dass die Stadt rassistisch ist, aber die Strukturen sind die gleichen. Das ist so ein struktureller Rassismus, der da ist."

Ulf Amindes Entwurf für ein Mahnmal

Streitpunkt ist das vollmundige Versprechen der Stadt, mit einem Mahnmal einen zentralen Ort des Gedenkens zu schaffen. Die Stadt hat bereits 2015 die Errichtung eines Denkmals im Rat beschlossen. Sie hat außerdem einen künstlerischen Wettbewerb durchgeführt, aus dem Ulf Aminde als Sieger hervorging.

Sein Entwurf bildet den Grundriss des Hauses, vor dem die Nagelbombe explodiert ist, in Form einer Betonplatte am Ort des Mahnmals nach. Besucher können dann mithilfe einer App Filme von Kölner Bürgern, von Bewohnern der Keupstraße oder Initiativen auf das eigene Smartphone oder Tablet laden.
Das Repro einer Computergrafik vom Studio Ulf Aminde zeigt am 07.11.2016 in Köln (Nordrhein-Westfalen) den Entwurf für ein Denkmal für die Opfer der NSU-Anschläge in der Kölner Keupstrasse.
Ulf Amindes Entwurf für ein Denkmal für die NSU-Opfer in Köln.© dpa/picture-alliance/Oliver Berg
"Diese Filme werden ein kuratiertes Archiv. Ich nenne das ein Archiv des migrantischen Widerstandes gegen Rassismus und Diskriminierung", sagt Ulf Aminde.

Wunschareal gehört Investorengruppe

Das von Ulf Aminde geplante Mahnmal nimmt eine Fläche von rund 550m² ein und soll direkt an der Ecke Keupstraße/Schanzenstraße seinen Ort finden. Dies ist zumindest der Standort, der in einem Beschluss des Rates der Stadt als Wunschareal benannt wurde – zu einer Zeit allerdings, als es das Mahnmal noch gar nicht gab oder seine Dimension bekannt war. Ein Schuss ins Blaue also.
Noch abstruser allerdings, dass das Wunschareal gar nicht der Stadt Köln gehört, sondern einer Investorengruppe, die noch gar nicht weiß, was sie mit dem Grundstück überhaupt vorhat, so Sprecher Bernd Odenthal: "Wir sind in einer Situation, wo wir überlegen, ob wir das Grundstück selber bebauen oder ob wir das Grundstück einem anderen Investor zum Bebauen überlassen."

Von der Dimension überrollt

Nichtsdestotrotz hat die Stadt für das fremde Grundstück mit Einwilligung der Investoren ein städtebauliches Werkstattverfahren veranstaltet. Der damals von der Jury gekürte Architektenentwurf verlegte das Mahnmal dann an eine völlig andere Stelle als gewünscht.
Verfahrener konnte die Situation nicht sein. Die Investoren fühlten sich von der Dimension des Mahnmals überrollt und sehen sich weder an das Werkstattverfahren noch an den Ratsbeschluss der Stadt gebunden. Immerhin signalisieren sie Entgegenkommen.
"Das ist in keinem Fall eine Zusage, sondern einfach nur die Aussage, dass wir das Ganze, wenn wir bauen werden, wohlwollend betrachten werden", erklärt Bernd Odenthal.

Neuer Standort für das Mahnmal

Von der Stadt Köln war trotz mehrfacher Anfragen keine Stellungnahme zu erhalten. Klar ist, dass Politik und Verwaltung im Rausch der "Birlikte"-Euphorie nach 2014 völlig überzogene Versprechungen gemacht haben, die nicht zu erfüllen waren. Schlechtes Gewissen und guter Wille triumphierten über Realitätssinn. Das gilt für die Stadt Köln, aber auch für die Bewohner der Keupstraße und die zahlreichen Initiativen, die sich für das Mahnmal einsetzen.
Man mag von den Investoren halten, was man will. Das Grundstück an der Ecke Keupstraße/Schanzenstraße bleibt ihr Eigentum und dieses Eigentumsrecht ist auch durch ein moralisch noch so gewichtiges Anliegen nicht auszuhebeln.
In einer Pressemeldung hat die Stadt endlich ihr Versagen eingestanden. Sie kündigt eine Verlegung des Mahnmals an einen Standort an, auf den die Verwaltung "unmittelbaren Zugriff" habe. Ob das den Bewohnern der Keupstraße allerdings zu vermitteln sein wird, darf man allerdings angesichts der verhärteten Fronten mit Fug und Recht bezweifeln.
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