100-Millionen-Deal

Freispruch zweiter Klasse

Bernie Ecclestone ist umgeben von Reportern und gibt ein Interview.
Das Landgericht München stellt den Prozess gegen Ecclestone ein. © picture-alliance / dpa / Peter Kneffel
Von Mirjam Schaub · 10.08.2014
Mit dem Rechtsmittel des Vergleichs kehrt ein Relikt aus dem Mittelalter zurück: der Ablasshandel. Dennoch muss der 100-Millionen-Deal von Formel-1-Boss Ecclestone den Glauben an die Justiz nicht gleich erschüttern, meint Mirjam Schaub.
"Pecunia non olet", "Geld stinkt nicht", so lautet ein bekannter lateinischer Grundsatz. So hallt er auch im §153a des deutschen Strafgesetzbuches wider. Die Einstellung eines Verfahrens ist dort "unter Auflagen" (wie Geldbußen) an zweierlei geknüpft: dass diese Bußen "geeignet sind", das "öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen" und dass "die Schwere der Schuld [dem] nicht entgegensteht". Eigentlich zur Entlastung der Justiz vor Bagatelldelikten ersonnen, kehrt mit diesem Rechtsmittel ein Heilstypus wieder, den man meinte, im Mittelalter "ad acta" gelegt zu haben: der Ablasshandel. Wer damals seine Schuld in Gold aufwog, damit der Kirchenbau ihm zur allseits sichtbaren Sühne gereiche, saniert heute zwar nicht gleich die Staatskasse, vielleicht aber die öffentlichen Bedürfnisanstalten.
Doch so einfach ist das mit der Polemik nicht. Der nun kritisierte 100-Millionen-Deal mit dem Formel-1-Manager Ecclestone muss den Glauben an die Justiz nicht gleich erschüttern. Denn die verlangte Versöhnung der Öffentlichkeit mit dem Sünder erfolgt mithilfe einer monströs hohen Zahlung, welche einem Schuldeingeständnis gleichkommt. Denn sie zwingt Ecclestone, sein korrumpierendes Verhalten in aller Öffentlichkeit zu wiederholen. Hier wie gegenüber dem Manager der Bayerischen Landesbank tut Ecclestone dasselbe: Er kauft sich Gunst und Handlungsfreiheit, die einem reichen Sünder auch heute niemand umsonst gewährt. In seiner Ungeschminktheit greift der Deal damit die subtile Psychoökonomie des Angeklagten an, der seine eigene Bedürfnislosigkeit stets zu zelebrieren wusste.
Einstellung des Verfahrens keineswegs ein Triumph
Glaubt man der Boulevard-Presse, ist Ecclestones Verhältnis zum Geld von Abschätzigkeit geprägt. Die Lieblingsbeschäftigungen des als geizig geltenden Sohnes eines Fischkutterkapitäns sollen vergleichsweise billige Vergnügen sein, wie das stundenlange Telefonieren und Fernsehen. Wir müssen uns Ecclestone als jemanden vorstellen, der die Menschen verachtet, weil sie anfällig für Luxus sind – im Gegensatz zu ihm selber, versteht sich. Genau deshalb ist die Einstellung des Verfahrens gegen Geld keineswegs ein Triumph. Sie zeigt überdeutlich: Ja, auch ein Ecclestone ist käuflich – und sein Freiheitswunsch ein öffentlich verhandeltes Luxusgut.
Das Beste war, das Feilschen um den genauen Tauschwert für diesen "Freispruch zweiter Klasse" publik zu machen, allen voran das Begehren des Richters, der eine Summe im dreistelligen Millionenbereich wollte – und dafür sogar auf amerikanische Dollar auswich, um die Symbolmarke doch noch zu knacken.
Wie der schlaue Richter hatte übrigens auch der römische Kaiser Vespasian, auf den die lateinische Redensart zurückgeht, eine feine Nase für lukrative Handel. Er verwandelte – buchstäblich – die Pisse aus Roms öffentlichen Latrinen in Gold, indem er eine Amphorensteuer erließ, um den faulenden Ammoniak gewinnbringend in die chemischen Kreisläufe der lokalen Gerber und Wäscher einzuspeisen. Wer also sagt, Geld stinke nicht, erinnert mit beißendem Spott daran, dass uns Geld nicht blenden sollte. Man weiß niemals, woher es kam und wer es nahm.
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