100 Jahre "Untergang des Abendlandes"

Vorbild für Populisten?

Der Kultur- und Geschichtsphilosoph Oswald Spengler in einer zeitgenössischen Aufnahme. Er wurde am 29. Mai 1880 in Blankenburg geboren und ist am 8. Mai 1936 in München gestorben.
Der Kultur- und Geschichtsphilosoph Oswald Spengler. Vor 100 Jahren erschien sein bekanntestes Buch "Der Untergang des Abendlandes". © dpa - Bildarchiv
Von Florian Goldberg · 02.07.2018
Oswald Spenglers "Untergang des Abendlands" erschien vor ziemlich genau 100 Jahren. Wie Spengler in seinem Buch fordern auch heute Populisten die Rückkehr zur Ordnung, sagt Autor Florian Goldberg und rät, stattdessen lieber Popper zu lesen.
Der Untergang des Abendlandes – was für ein schaurig schöner Klang. So schaurig und schön, dass er nun schon seit hundert Jahren von allen möglichen Leuten immer wieder gern im Munde geführt wird. Da er außerdem unendlich dehnbar ist, erinnert er an einen Kaugummi, der im Kindergarten hin und her geht: ausgelutscht, abgekaut und überhaupt ziemlich eklig. Aber man kann tolle Blasen damit machen.

Geschichte als zyklisches Geschehen

Aufstieg Asiens, Finanzkrise, Flüchtlingskrise - immer geht gleich das Abendland unter. Man könnte Oswald Spengler zugute halten, dass er den Titel seines erstmals 1918 erschienen Werks gar nicht so alarmistisch gemeint hatte, wie er vor dem Hintergrund des brachial verlorenen Krieges kolportiert wurde.
Spengler verstand Geschichte als zyklisches Geschehen. Jede Kultur durchlaufe die Altersstufen des einzelnen Menschen: Kindheit, Jugend, Erwachsenenleben und Greisentum. Insofern, räumte er später ein, wäre "Vollendung" vielleicht das bessere Wort gewesen. Aber da war der Drops schon gelutscht, Pardon, der Gummi gekaut.

Philosophieren wie ein Handleser auf dem Jahrmarkt

Außerdem lassen sich auch mit dem Rest der Spengler'schen Philosophie schöne Blasen werfen. Der Autor gefällt sich als Prophet. "Ich habe", schreibt er, "Dinge vorausgesehen, wie sie sich organisch entwickeln würden und weiter entwickeln werden."
Sokratische Bescheidenheit ist seine Sache nicht. Der Mann weiß, dass er weiß. Dazu gehörte zwar nicht die deutsche Niederlage im Ersten Weltkrieg - er hatte den Sieg erwartet, da doch das deutsche Volk "das unverbrauchteste der weißen Rasse" sei - aber egal. Spengler philosophiert wie ein geschickter Handleser auf dem Jahrmarkt. Irgendwas stimmt immer.

Spenglers Traum von der Deutschen Hegemonie

Aus seinen Absichten machte er allerdings keinen Hehl. Spengler wollte den Obrigkeitsstaat. Sein Traum: die Hegemonie Deutschlands über den Kontinent. Leidenschaftlich bekämpfte er die Weimarer Republik, die er nicht als legitimen Staat bezeichnete, sondern als "Firma". Ein Topos, der bei den sog. "Neuen Rechten" wieder hoch im Kurs steht.
Aufklärerische Tugenden wie Skepsis, Duldsamkeit und die Hoffnung einer Selbstbefreiung durch Wissen bleiben ihm fremd und verächtlich. Seine Aufgabe sieht er nicht darin, die Möglichkeit einer besseren, friedlicheren Welt zu denken und philosophisch zu verantworten. Er liebt die heroisch-fatalistische Pose.
"Ein Volk", schreibt er, "ist nur wirklich in Bezug auf andere Völker, und diese Wirklichkeit besteht in natürlichen und unaufhebbaren Gegensätzen, in Angriff und Abwehr, Feindschaft und Krieg." Wer glaubt, eine Wahl zu haben, wer für Verständigung und Freundschaft eintritt, gilt ihm als naiv. Schwach, wer den Kompromiss sucht. Recht hat, wer sich durchsetzt.

Karl Poppers warf ihm intellektuelle Unredlichkeit vor

Inzwischen ist diese Haltung mit den verschiedenen populistischen Bewegungen wieder auf der politischen Bühne angekommen. Sie alle empfinden die offenen Gesellschaften des Westens als etwas, was zugunsten einer irgendwie "natürlicheren" Ordnung überwunden werden muss.
"Hütet euch vor diesen falschen Propheten. Sie streben / ... / nach der verlorenen Stammeseinheit. Und die Rückkehr zur geschlossenen Gesellschaft, die sie befürworten, ist die Rückkehr in den Käfig und zu den Bestien." Karl Popper, der Spengler intellektuelle Unredlichkeit vorwarf.
Im Gegensatz zu dessen düsteren Visionen schreibt er: "Es ist der Glaube an den Nebenmenschen und der Respekt vor dem Nebenmenschen, der unsere Zeit zur besten aller Zeiten macht, von der wir Kenntnis haben." Hundert Jahre "Untergang des Abendlandes". Lesen Sie lieber Popper.

Florian Goldberg hat in Tübingen und Köln Philosophie, Germanistik und Anglistik studiert und lebt als freier Autor, Coach und philosophischer Berater für Menschen aus Wirtschaft, Politik und Medien in Berlin. Er hat Essays, Hörspiele und mehrere Bücher veröffentlicht.

Der Autor, Coach und philosophische Berater Florian Goldberg.
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