100 Jahre politischer Mord in Deutschland

Bayern als Rückzugsort für Republikfeinde

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Undatierte Porträtaufnahme von Gustav, später Ritter von Kahr
Gerade weil er gegen Berlin eingetreten war, erfreute sich der Politiker Ritter von Kahr großer Beliebtheit in der bayrischen Bevölkerung. © picture-alliance / akg-images
Von Elke Kimmel · 15.09.2021
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In den Jahren 1921/22 erschüttern politische Morde die Weimarer Republik. Die Reichsregierung in Berlin versucht, gegen die Feinde der Demokratie vorzugehen. Doch in Bayern finden selbst Mörder Unterschlupf.
"Die Verhandlungen in München über die Differenz Bayerns mit der Reichsregierung und die Berliner Vorschläge zu deren Lösung haben gestern zu einer Ministerkrisis geführt; Ministerpräsident v. Kahr und der Justizminister Dr. Roth haben ihren Rücktritt angezeigt […]."
Das berichtet der Badische Beobachter am 12. September 1921. Vorausgegangen war eine längere Auseinandersetzung zwischen der Reichsregierung und der politischen Führung des Freistaates. Bayern nimmt seit der Niederschlagung der Räterepublik 1919 eine Sonderstellung im Reich ein. Seit Dezember 1919 herrscht dort der Ausnahmezustand, der vor allem gegen links eingesetzt wird, während sich in München republikfeindliche und völkisch-nationalistische Gruppen ungehindert ausbreiten.

100 Jahre politischer Mord in Deutschland
Eine Sendereihe über mörderische Demokratiefeindschaft und ihre Hintergründe
Zeitfragen, immer mittwochs gegen 19.25 Uhr
Eine Kooperation von Deutschlandfunk Kultur mit dem Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung (Potsdam)

Der liberale Philosoph und Theologe Ernst Troeltsch skizziert in der Zeitschrift "Kunstwart" den Konflikt zwischen Berlin und Bayern so:
"Da die Reichspolitik stark unter dem Einfluß des Sozialismus stand und stehen mußte, hat man diesen weiterhin mit dem verhaßten Berlin und mit dem Judentum identifiziert und so die Ströme des Partikularismus und Antisemitismus auf die antisozialistische Mühle geleitet; das Benehmen vieler norddeutscher Sommergäste trägt dazu bei, diese Ströme nicht versiegen zu lassen. Zu alledem kommt dann noch die starke monarchische Strömung, die Bitterkeit der früheren Militärs, die Mitwirkung preußischer Emigranten und die nur allzu begreifliche Verstimmung idealistischer Patrioten. All das knäuelte sich zu dem Gedanken zusammen, Bayern die Mission der Rettung des Reiches vom Sozialismus, der Ordnungszelle und des Keimes des Wiederaufbaues, zuzuschreiben. Man bildete in Bayern die Einwohnerwehren als militärischen Schutz gegen sozialistische Experimente; schuf eine katholisch-bürgerliche Regierung, stattete sie mit den Befugnissen des ‚Ausnahmezustandes‘ aus und hoffte auf diese Weise, das Reich und die Juden schließlich zu einer antisozialistischen Politik zu zwingen."

Verordnung zum Schutz der Republik

Nach dem Mord an Matthias Erzberger hat Reichspräsident Friedrich Ebert eine Verordnung zum Schutz der Republik erlassen. Sie tangiert die Sonderrolle Bayerns als sicherer Hafen selbst für steckbrieflich gesuchte Personen wie etwa Kapitän Ehrhardt, einen der Hauptverantwortlichen beim Kapp-Putsch 1920. Der Schutz der Republik gebietet eigentlich, dass solche Leute auch in Bayern verfolgt werden. Stattdessen halten sich die Attentäter Schulz und Tillessen nach der Ermordung Erzbergers tagelang unbehelligt in München auf, bevor sie weiter nach Ungarn flüchten.
Auch der Rücktritt der Regierung in München bedeutet nicht, dass Bayern nun auf den Kurs der Berliner Republik einschwenkt. Gerade weil er gegen Berlin und für eine bayerische Sonderrolle eingetreten ist, erfreut sich von Kahr großer Beliebtheit in der bayrischen Bevölkerung.

Rückzugsraum Bayern

"Mehr als zwei Drittel des bayerischen Volkes werden mit lebhaften Bedauern Dr. von Kahr aus dem Amte scheiden sehen. … [Das] treue Einstehen für die Rechte Bayerns wird das bayerische Volk … Dr. von Kahr nie vergessen."
Das schreibt der Rosenheimer Anzeiger am 12. September 1921. Bayern bleibt der wichtigste Rückzugsraum für all jene, die der Republik den Kampf angesagt haben. Die völkisch-nationalistische Presse kann hier fast nach Belieben gegen die verhasste Republik hetzen. Hier wird die "Organisation Consul" 1922 den Auftrag für die Ermordung des Außenministers Walther Rathenau erteilen.
Höhepunkt der republikfeindlichen Umtriebe ist der Hitlerputsch am 9. November 1923. Ritter von Kahr ist zu dieser Zeit Generalstaatskommissar und wendet sich nach anfänglicher Sympathie gegen den sogenannten Sturm auf die Feldherrenhalle.
Hitlers Rache: Nach dem Untergang der Weimarer Republik wird von Kahr am 30. Juni 1934 in München verhaftet, misshandelt und erschossen.
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