100 Jahre Frauen in juristischen Berufen

Eine unvollendete Geschichte

06:44 Minuten
Richter und Richterin bei der offiziellen Eröffnung des Bundesverfassungsgerichts am 28. September 1951 im Badischen Staatstheater in Karlsruhe: Egon Schunck (erste Reihe v. l.), Kurt Zweigert, Hermann Höpker Aschoff, Rudolf Katz, Erna Scheffler, Ernst Friesenhahn, Gerhard Heiland. Zweite Reihe v. l.: Georg Fröhlich, Willi Geiger, Erwin Stein, Conrad Roediger, Walter Klaas, Claus Leusser, Anton Alfred Henneka. Dritte Reihe v. l.: Theodor Ritterspach, Joachim Lehmann (verdeckt), Julius Federer, Franz Wessel, Martin Draht, Bernhard Wolff, Herbert Scholtissek. Vierte Reihe v. l.: Gerhard Leibholz, Konrad Zweigert, Hans Rupp.
Offizielle Eröffnung des Bundesverfassungsgerichts am 28. September 1951: Erna Scheffler (1. Reihe, 3. v. r.) als eine Richterin unter vielen Richtern. © picture alliance / ASSOCIATED PRESS / Gill
Von Annette Wilmes · 18.07.2022
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Erst seit 1922 sind Frauen in juristischen Berufen zugelassen. Nach dem Backlash in der NS-Zeit begann der Kampf erneut. Der Deutsche Juristinnenbund mahnt: Bis heute sind in höheren Hierarchien weniger Frauen zu finden – und sie bekommen weniger Geld.
Aus den 20er-Jahren des vorigen Jahrhunderts stammt das Zitat des Deutschen Richterbundes, dass „die Eigenart weiblichen Denkens mit dem Richteramt nicht vereinbar“ sei. Die Richter hatten sogar das Gutachten eines führenden Gynäkologen an der Charité eingeholt, um Frauen in der Justiz zu verhindern. Vor allem der 1914 gegründete Deutsche Juristinnen-Verein kämpfte damals dafür, Frauen zu den juristischen Berufen zuzulassen. Der Erfolg von 1922 hielt allerdings nicht lange an. Im Nationalsozialismus wurde Frauen der juristische Beruf erneut verwehrt.
Der Deutsche Juristinnenbund, kurz djb, will mit einer Kampagne an diese frühen Kämpfe erinnern.
„In der Kampagne 100 Jahre Frauen in juristischen Berufen wollen wir zum einen den Blick in die Vergangenheit richten, die Vorkämpferinnen ehren, die den Zugang zu diesem Beruf erkämpft und die tatsächliche Berufstätigkeit umgesetzt haben, die auch viel erreicht haben für die Frauenrechte in Deutschland. Und ich denke, es ist wichtig, auch diese Namen zu kennen und sich diese Kämpfe zu vergegenwärtigen“, sagt Maria Wersig, Rechtswissenschaftlerin und Präsidentin des djb.

Widerstand gegen Gleichberechtigungsartikel

Nach 1945 mussten sich die Frauen ihre Rechte erneut erkämpfen, das galt vor allem für das Gebiet der späteren Bundesrepublik. Der Juristin Elisabeth Selbert ist es zu verdanken, dass der Gleichberechtigungsartikel gegen den erbitterten Widerstand ihrer männlichen Kollegen im Parlamentarischen Rat ins Grundgesetz geschrieben wurde. An sie und andere herausragende Juristinnen erinnert eine Ausstellung, die die Kampagne des djb begleitet.
„Ich nenne mal Erna Scheffler, die erste Richterin des Bundesverfassungsgerichts, die ganz wesentlich dafür gesorgt hat, gemeinsam auch mit dem djb, dass der Grundsatz der Gleichberechtigung nicht nur im Grundgesetz stand, sondern dann tatsächlich auch geführt hat zu Veränderungen im Recht.“
Denn nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch, das aus dem Kaiserreich stammt, hatte in Ehe und Familie ausschließlich der Mann zu bestimmen. Erna Scheffler, einzige Frau am Bundesverfassungsgericht, schaffte es, ihre ausschließlich männlichen Kollegen davon zu überzeugen, dass das vorliegende Gesetz verfassungswidrig war.

Kämpferin und Humanistin Erna Scheffler

Jutta Limbach war von 1994 bis 2002 die erste und bisher einzige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts. Erna Scheffler war für sie ein Vorbild, aber auch Elisabeth Selbert, wie die Jura-Professorin Limbach in einem Interview am Ende ihrer Amtszeit in Karlsruhe erklärte.
„Sie war eine Kämpferin, ohne sich zu fragen, ob sie dafür Beifall oder Kritik ernten wird. Sie hat sich einfach für die Sache der Frau eingesetzt und nicht nur für diese. Sie war eine große Humanistin. Die richterliche Unabhängigkeit war ihr genauso wichtig wie diese Frage der Rechtsgleichheit. Sie war wirklich eine der starken Personen in dem Parlamentarischen Rat.“
Die Ablehnung der männlichen Juristen gegenüber ihren Kolleginnen hielt sich lange. So gab es 1986 einen besonderen Vorschlag auf einer Konferenz der Oberlandesgerichtspräsidenten, die für die Ausbildung, Auswahl und Fortbildung der Richter und Richterinnen zuständig sind: Die Examensnote sollte nicht länger als wichtigstes Kriterium gewertet werden. Denn unter den Assessoren mit überdurchschnittlichem Examen seien „überproportional Frauen“. So könnte es dazu kommen, dass bald überwiegend Frauen in der Justiz tätig sind. Das „dürfte erhebliche Probleme wegen der Einsatzfähigkeit“ geben. Sie sollten doch „in Ruhe ihre Kinder bekommen und sie auch großziehen können“.

Gleichstellung der Frauen noch nicht erreicht

Inzwischen hat sich viel geändert. Es ist für Frauen selbstverständlich geworden, juristische Berufe zu ergreifen. Aber die Gleichstellung der Frauen in den juristischen Berufen sei noch nicht erreicht, meint djb-Präsidentin Maria Wersig.
„Wir haben zwar inzwischen die Situation, dass mehr Frauen als Männer ein Jura-Studium aufnehmen und es gibt auch Bereiche wie zum Beispiel die Eingangsinstanzen der Justiz, da sind Frauen inzwischen sehr gut vertreten. In allen juristischen Berufen sieht man allerdings, dass je höher in den Hierarchien man schaut, desto dünner wird die Luft für Frauen.“
Die Statistiken belegen dies. Auch für die Anwaltschaft kann Rechtsanwältin und Notarin Silvia C. Groppler bestätigen, dass noch einiges verändert werden müsse.
„Wir haben ja in der Anwaltschaft einen sogenannten Gender-Pay-Gap von 12 Prozent, der ist gravierend. Wir haben immer noch die Führungspositionen, die in der Regel nicht von Frauen besetzt sind, sei es in der Wirtschaft, in der Politik und auch in den großen Wirtschaftskanzleien. Wir haben eher Gleichstellung in den Anfängen einer Karriere, aber dann werden es immer weniger Frauen.“

Gender-Ausschuss im Anwaltverein

Vor zehn Jahren wurde im Deutschen Anwaltverein ein sogenannter Gender-Ausschuss eingerichtet, dessen Vorsitzende Silvia Groppler ist. Der Ausschuss macht sich dafür stark, dass die Perspektiven der Frauen stärker berücksichtigt und dass vor allem auch die Probleme der jungen Kolleginnen ernst genommen werden. Nur so könne verhindert werden, dass immer mehr aus dem Beruf wieder aussteigen. Die Anwältin fürchtet, dass die Gleichstellung immer langsamer voranschreite. Errungenschaften, die als sicher geglaubt wurden, müssten immer wieder verteidigt werden. Um den „Rollback“ zu verhindern, müssten sich die Frauen vernetzen und gegenseitig unterstützen.
„Es ist nicht ein Ziel, was nur Frauen betrifft, sondern wir müssen hier Männer mit ins Boot nehmen. Das ist einmal das Thema sowieso bei der Familienplanung und der Karriereplanung. Dass wir nicht Lösungen für Frauen nur finden, sondern gesellschaftliche Lösungen insgesamt.“

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