10 Jahre Bitcoin

Ein Geld-Experiment zwischen Scheitern und Erfolg

29:23 Minuten
Ein junger Mann trägt am 4.11.2018 beim LA Summit 2018 Socken mit Bitcoin-Werbung.
Socken mit Bitcoin-Werbung: Bei manchen kennt die Begeisterung keine Grenzen. © picture alliance / dpa / Britta Pedersen
Von Friedemann Brenneis · 08.11.2018
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Gibt es die eine Bitcoin-Wahrheit? Banker und Ökonomen kritisieren die dezentrale digitale Währung zum Teil heftig. Freidenker, Cryptoanarchisten und Visionäre sehen im Bitcoin eine Alternative zum herkömmlichen Finanzsystem.
Jörg Platzer: "Für mich persönlich ist Bitcoin bereits der absolut 100-prozentige durchschlagende Erfolg, weil ich habe meine finanzielle Unabhängigkeit. Ich habe jetzt dieses Geld, von dem wir vor 25 Jahren geträumt haben.
Jochen Metzger: "So und jetzt ist das doch auch ein revolutionärer Ansatz, zu sagen, ich schlage meinem Staat, ich schlage dem Finanzminister, ich schlage meiner Notenbank ein Schnippchen. Ich gebe sowas wie 'ne Proteststimme ab. Ich investiere in Bitcoin."
Michel Rauchs: "Das Problem ist: Die reden alle irgendwie aneinander vorbei, also man hat die Technologists auf der einen Seite. Und die verstehen überhaupt nicht, wie das Geldsystem überhaupt funktioniert. Oder warum Banken überhaupt da sind: Also sie sind nicht nur da, um irgendwie die Leute abzuzocken. Und auf der anderen Seite hat man dann eben diese Ökonomen, die einfach die Technologie dahinter nicht verstehen. Und das Problem ist einfach, dass die komplett aneinander vorbeireden und eigentlich, um das alles zu verstehen, muss man schon fast ein Generalist sein."
Woran denken Sie eigentlich, wenn Sie den Begriff "Bitcoin" hören? Sind es vielleicht nerdige, neureiche Bitcoin-Millionäre? Oder böse Jungs, die verbotene Dinge im Darknet treiben? Oder womöglich gar nichts?
Letzteres ist eher unwahrscheinlich. Bitcoin verzwanzigfachte binnen weniger Monate seinen Wert und die Medien waren voll mit Berichten über dieses kuriose Internetgeld, das aber gleichzeitig niemand so richtig zu verstehen schien. Obwohl doch alle darüber redeten.

Versuch einer einfachen Erklärung

Was also ist nun dieses Bitcoin? Versuchen wir es mit einer kurzen, sehr einfachen Erklärung.
Armin Maiwald: "Bitcoin ist unwirkliches Geld, gibt's nur im Internet. Kann man nicht anfassen, kann man nicht mal sehen. Aber trotzdem kann man damit wie mit echtem Geld etwas einkaufen."
Und noch etwas ist an Bitcoin besonders: Es funktioniert ganz ohne den Einfluss zentraler Institutionen. Also ohne Staaten und Notenbanken, die Geldpolitik betreiben und ohne Privatbanken, die Konten verwalten und den globalen Finanzverkehr abwickeln. Bei Bitcoin wird stattdessen die gesamte Verwaltung des Geldes in ein gigantisches hochspezialisiertes Computernetzwerk verlagert, das Zahlungen direkt über die Infrastruktur des Internets ermöglicht.
Armin Maiwald: "Als Erstes landet meine Anweisung in einem sogenannten Netzknoten. Der prüft als Erstes, ob in meinem Portemonnaie genügend Bitcoins sind, um die Zahlung vorzunehmen."
Von diesen Netzknoten gibt es im Bitcoin-Netzwerk mittlerweile mehr als 100.000, die überall auf der Welt verteilt sind. Alle sind gleichberechtigt und agieren nach transparenten Regeln und Algorithmen. Versucht nun einer dieser Knoten Transaktionen zu manipulieren, erkennt das Netzwerk diese Verletzung der Regeln sofort und verwirft die falschen Transaktionen automatisch.
Denn, so erklärt Armin Maiwald: "Jeder Zugang und jeder Abgang wird genauestens aufgeschrieben und bis in alle Ewigkeiten festgehalten. Diese Kontrolle findet nicht nur einmal statt, sondern viel Male und jedes Mal wird alles genauestens dokumentiert."

Ein digitales Netzwerk als Zentralbank

Das Bitcoin-Netzwerk übernimmt damit die organisatorischen Funktionen einer Zentralbank, die allerdings gerade nicht zentral ist, sondern komplett dezentralisiert. Diese Dezentralität verhindert wiederum, dass ein einzelner Teilnehmer Bitcoin-Zahlungen technisch oder politisch motiviert manipulieren kann.
Jochen Metzger: "Und hier war auf einmal sozusagen ein Angebot, zu sagen: Wir können uns von Staaten, Banken und Notenbanken unabhängig machen. Hier gibt es eine Möglichkeit, Geld zu haben, Geld zu bewegen, die nicht manipuliert werden kann von Staaten oder Notenbanken oder Banken, wo das Vertrauen kein Thema ist. Das Vertrauen ist sozusagen eingebaut."
Bitcoin, in einem Satz zusammengefasst, ist also ein rein digitales Geldsystem, bei dem die Teilnehmer Dezentralität, Algorithmen und Mathematik mehr vertrauen als der zentral organisierten Struktur des bestehenden Geldsystems.
Auf einem Handy ist das Bitcoin-Logo zu sehen.
Beim Bitcoin vertrauen die Teilnehmer Dezentralität, Algorithmen und Mathematik.© imago
Einer, der versucht, Bitcoin deutlich detaillierter zu verstehen, ist Michel Rauchs. Der gebürtige Luxemburger forscht am Center for Alternative Finance der Universität Cambridge und leitet das dortige Programm für Kryptowährungen wie Bitcoin. Als studierter Ökonom hat auch er anfangs Monate gebraucht, allein bis er die technischen Grundlagen von Bitcoin verstanden hat.
Doch warum ist es überhaupt so schwer, Bitcoin zu verstehen?
"Das ist, weil Bitcoin so vielfältig ist", erklärt Michel Rauchs. "Um es zu verstehen, muss man wirklich ein gewisses Grundwissen in verschiedenen Disziplinen haben. Das reicht von Finanzen über Ökonomie über Spieltheorie zu Distributed Computing, Kryptographie und die Liste lässt sich wirklich endlos weiterführen. Das heißt Bitcoin und Kryptowährungen und so weiter, das zwingt einen eigentlich aus seinem eigenen Fachbereich rauszugehen und auch in andere Fachbereiche einzutauchen und sich da ein gewisses Grundwissen anzulegen, um das überhaupt teilweise zu verstehen."

Es gibt immer nur einen Teil der Bitcoin-Wahrheit

Wann immer Ihnen also jemand etwas über Bitcoin erzählt, seien Sie skeptisch. Sie werden immer nur einen Teil der Wahrheit zu hören bekommen, einen bestimmten Ausschnitt der Realität, eine individuelle Perspektive oder eine Meinung.
Das kann zwar frustrierend sein, doch lohnt es sich dennoch, sich mit Bitcoin auseinanderzusetzen. Die spektakulären "Ups and Downs" im Kurs, von denen in den Medien immer wieder zu lesen und hören ist, mal außen vorgelassen - unterm Strich hat sich der Wert jedes einzelnen Bitcoins in den letzten acht Jahren mehr als ver-20.000-facht.
Um zu verstehen, wie es dazu kommen konnte, müssen wir zurückgehen in das Jahr 2008. Das Jahr, in dem nicht nur die globale Finanzkrise begann, die Welt zu verändern, sondern auch Bitcoin auftauchte. Am 31. Oktober 2008, rund sechs Wochen nach der Lehmann-Pleite, schrieb jemand bis heute unbekanntes unter dem Pseudonym "Satoshi Nakamoto" zum ersten Mal eine E-Mail auf einer Mailingliste, auf der Themen rund um Verschlüsselung diskutiert werden:
"Ich habe ein neues elektronisches Geld-System erarbeitet, das komplett ohne Vertrauensinstitutionen auskommt. Die Haupteigenschaften:
  • Ein gleichberechtigtes Netzwerk verhindert, dass Geld doppelt ausgegeben werden kann
  • Keine Zentralbank oder Ähnliches notwendig
  • Die Teilnehmer können anonym bleiben
  • Neues Geld wird durch intensive Rechenoperationen erzeugt
  • Diese Rechenleistung schützt gleichzeitig das Netzwerk"
Im Bitcoinkiez: Im "Room 77" kann man seit 2011 mit Bitcoin bezahlen.
In der Kneipe "Room 77" kann man seit 2011 mit Bitcoin bezahlen.© Gerhard Richter
Jörg Platzer: "Also Bitcoin hat mich getroffen wie so ein Schlag ins Gesicht. In der Tat als ich es verstanden habe. Ich dachte von Anfang an, das wird ein riesengroßes Ding."
Jörg Platzer ist einer, der diese Mailingliste damals gelesen hat. Der Berliner ist einer der prominentesten Repräsentanten von Bitcoin, seit er 2011 entschied, das digitale Geld als Zahlungsmittel in seiner Kreuzberger Kneipe zu akzeptieren. Sein "Room 77" damit das erste Ladengeschäft weltweit war, in dem man seine Rechnungen mit Bitcoin bezahlen konnte:
"Der Room steht ja auch nicht nur für - ja für Journalisten steht er natürlich für irgendwas, was sie nicht verstehen - aber so für uns hier steht er auch dafür, ein Platz zu sein, wo Dinge entwickelt werden. Ist nicht nur Biertrinken hier, ist irgendwie eine Kreuzberger Rock'n'Roll Kneipe in der Finanzinnovation geschaffen wird, was ich sehr charmant finde."

Idee eines vollkommen neuen Geldes

Finanzinnovationen aus einer Rock'n'Roll-Kneipe? Das mag auf den ersten Blick nach weinseligem Geschwafel und Bierdeckel-Logik klingen. Im Fall von Bitcoin ist das jedoch anders. Denn die Idee von einem vollkommen neuen, einem rein digitalen Geldmedium, das sich aufgrund des digitalen Charakters möglicherweise fundamental von dem Geld unterscheidet, wie wir es bisher kennen, ist sehr viel älter. So alt wie das Internet selbst, sagt Jörg Platzer:
"Also ich komme tatsächlich aus den Anfangszeiten des Internets, wo Verschlüsselung eigentlich Usus war. Also aus der Zeit, wo die Vision vom digitalen Bargeld geboren wurde und die Leute anfingen, zu verstehen, welchen Einfluss es auf die Gesellschaft haben würde, wenn wir mal solches digitales Bargeld kriegen."
Und es sind nicht nur Leute wie Jörg Platzer, die sich bereits seit Jahrzehnten mit digitalem Bargeld auseinandersetzen. Es sind auch Freidenker, Hacker, Aktivisten, Wissenschaftler, IT-Experten, Philosophen und Ökonomen.
Unter ihnen auch der Wirtschaftsnobelpreisträger Milton Friedman, der bereits im Jahr 1999 - also knapp zehn Jahre vor Bitcoin - in einem Interview die Eigenschaften und Konsequenzen eines rein internetbasierten Geldes skizzierte:
"Ich bin überzeugt, dass das Internet eine zentrale Rolle dabei spielen wird, die Bedeutung von Regierungen zu schwächen. Die eine Sache, die dabei noch fehlt, aber die bald entstehen wird, ist ein verlässliches E-Cash. Eine Möglichkeit, mit der wir Geld von A nach B schicken können, ohne dass A weiß, wer B ist oder umgekehrt. So wie ich Ihnen eine 20-Dollar-Banknote geben kann. Und es wird keine Aufzeichnung geben, wo es herkam. Genau das wird sich im Internet entwickeln und es wird es den Menschen noch viel leichter machen, das Internet zu benutzen. Natürlich hat das auch seine Nachteile. Denn Kriminelle werden es ebenso nutzen können, um ihren Geschäften nachzugehen."
Schwarz-Weiß-Porträt von Milton Friedman aus dem Jahr 1976
Wirtschaftsnobelpreisträger Milton Friedman skizzierte schon früh in einem Interview rein internetbasiertes Geld.© picture alliance / IMAGNO
Bemerkenswert ist an Friedmans Prognose nicht nur, wann er sie traf - als das Internet noch in den Kinderschuhen steckte. Es ist auch erstaunlich, wie sehr sich seine Beschreibung von damals mit dem deckt, was wir heute als Bitcoin kennen: Ein digitales Bargeld, dass man - wie jedes andere Geld übrigens auch - ebenso für kriminelle Zwecke einsetzen kann wie auch für moralisch gute.

Transaktionsfreiheit als ein Grundrecht der Menschen

Genau diese Entscheidungsfreiheit ist für Jörg Platzer elementar:
"Transaktionsfreiheit ist ein Grundrecht, ein Menschenrecht, was wir nie formuliert haben, wofür nie irgendeine Revolution gekämpft hat, einfach aus dem Grund, weil sie immer gegeben war, weil wir aus einer Welt mit Bargeld kommen. Und jetzt kommen wir in die digitale Welt und verlieren dieses Recht aufgrund der Technologie, die um uns herum gebaut wird, aufgrund der Technologie, die die Finanzindustrie für uns baut, die die Regierungen für uns vorsehen."
Die Tendenz von Regierungen, die Privatsphäre des Individuums der Sicherheit des Staates unterzuordnen, eine unkontrollierbare Datensammelwut global agierender Tech-Konzerne, gläserne Konsumentenprofile, wiederholte Krisen eines unsozialen Finanzsystems - all das sind Gründe, warum sich Menschen wie Jörg Platzer für Bitcoin engagieren. Unterhält man sich länger mit ihnen, wird klar, dass sie überhaupt nicht dem stereotypen Bild eines nerdigen neureichen Bitcoin-Millionärs entsprechen. Sie verstehen sich eher als Systemkritiker, die aus politischer Überzeugung handeln.
Jörg Platzer: "Diese Transaktionsfreiheit ist nicht nur meiner Meinung nach ein Menschen- und Grundrecht, sondern sie ist sogar ein Super-Grundrecht, wenn es sowas gibt. Weil ohne Transaktionsfreiheit fällt es zunehmend schwer, alle anderen Grundrechte auszuüben. Redefreiheit ist nichts ohne die Freiheit, reisen zu können, um dorthin zu gehen, wo ich eine Rede halten will, um gehört zu werden. Und die Reisefreiheit, die sollte ich ausleben können, indem ich auch anonym meine Reisekosten bestreiten kann."
Diese politische Dimension wird in der Öffentlichkeit zwar bislang kaum wahrgenommen, ist aber untrennbar mit dem digitalen Geld verbunden, erklären die Autoren Primavera De Filippi und Benjamin Loveluck von der Harvard University und der Université Paris-Saclay in ihrem wissenschaftlichen Artikel "Die unsichtbare Politik von Bitcoin":
"In den frühen Tagen waren die politischen Ziele von Bitcoin klar und deutlich erkennbar durch den Wunsch, das existierende Kräfteverhältnis zwischen dem Individuum und dem Staat zu ändern. Heute verstehen die einen Bitcoin als Ausdrucksmittel für ihre politischen Ansichten, andere glauben jedoch, dass die verwendete Technologie keine bestimmte politische Ideologie ausdrückt. Doch fragt man sie, werden viele sagen, dass eine der wichtigsten Eigenschaften von Bitcoin ist, dass es außerhalb der Reichweite von Regierungen, Politik und Zentralbanken liegt. Doch ist es letztlich ja genau das Verlangen, apolitisch zu sein, das in und aus sich heraus eine politische Dimension formt."

Eine politische Schlagzeile im Datensatz

Es ist daher auch die Schlagzeile der britischen Tageszeitung "The Times", die Satoshi Nakamoto als konkrete politische Botschaft in Bitcoin versteckt. Als er sein bis dato rein theoretisches Konzept am 3. Januar 2009 zum ersten Mal in die Praxis überführt, schreibt er genau diese Schlagzeile:
"Satoshi Nakamoto"
"The Times. The third of january 2009. Chancellor on brink of second bailout for banks"
... in den allerersten Bitcoin-Datensatz überhaupt: Als politisches Statement gegen die etablierte Finanzwelt und als direkten Affront gegen alle bestehenden Geld-Institutionen.
"Ich würde jetzt aber auch nicht so weit gehen und sagen, man muss es verbieten. Wer möchte, soll auch in den Bitcoin flüchten können, wenn er unbedingt glaubt, dass ihm das etwas nützt", sagt Jochen Metzger.
Jochen Metzger, aufgenommen am 19.11.2015 während der European Finance Week in Frankfurt
Jochen Metzger von der Deutschen Bundesbank will Bitcoin nicht verbieten lassen.© imago / Schreyer
Er leitet bei der Deutschen Bundesbank den Zentralbereich Zahlungsverkehr und Abwicklungssysteme. Wie alle alternativen Geldexperimente beobachtet die Bundesbank auch Bitcoin schon eine ganze Weile. So richtig interessiert aber erst seit wenigen Jahren, erklärt er:
"Der Hype kam ja erst später, aber da war zumindest mal zu erkennen, dass das eine breitere Basis hat. Dass das über sozusagen rein die esoterischen Zirkel oder über eine Nerd-Community herausgeht. Dass sozusagen Unternehmen, Privatleute und auch schon die ersten Investoren – dass da ein bisschen Bewegung reinkommt. Das würde ich so in die 2015 würde ich das verorten."
Es ist dabei vor allem ein Aspekt, der die Deutsche Bundesbank interessiert: Die Technologie, die Bitcoin antreibt. Denn auch für die obersten Banker des Landes ist erkennbar, dass das Geldsystem, wie wir es bisher kennen, technologisch seine Grenzen erreicht hat. Euro, Dollar und alle anderen Staatswährungen beruhen auf geldtheoretischen Konzepten und der Technologie des Industriezeitalters.
Michel Rauchs, Forscher der Universität Cambridge, fasst das Problem zusammen:
"Wir sagen, wir haben schon digitales Geld, aber das ist eigentlich nur eine digitale Repräsentation von einem gewissen Guthaben, das in einer internen Datenbank sitzt. Und das Problem ist einfach, es gibt tausende von verschiedenen Paymentsystems, die alle wie eine Art isolierte Insel sind und die müssen dann irgendwie miteinander verbunden werden. Das heißt, diese gesamte Infrastruktur von der Finanzwirtschaft und diesem Bankensystem basiert eben immer noch auf Systemen von den 70er-Jahren, die komplett isoliert sind und die man dann über sehr komplexe Standards miteinander verbinden muss. Und das ist eigentlich der Hauptgrund, warum es so lange dauert und so viel kostet, um Beträge von einem Land zu einem anderen zu senden."

Bisheriges Geldsystem voller Unzulänglichkeiten

Und wir Verbraucher haben uns über die Jahre sehr gut an all die Schwächen und Unzulänglichkeiten dieses Systems gewöhnt und letztlich damit arrangiert. Wir mussten. Es gab ja keine Alternative, sagt Michel Rauchs:
"Vor Bitcoin war es eigentlich so: Ja, so haben wir es immer gemacht und so werden wir es wahrscheinlich immer machen. Aber Bitcoin hat eben einfach aufgezeigt: Nee, also wir streamen jetzt, wir schicken uns paar Gigabyte Dateien übers Internet, aber unsere Payment Infrastruktur, die basiert immer noch auf Systemen aus den 70er-Jahren. Also da stimmt irgendwas nicht und jetzt durch Bitcoin wird das aufgezeigt und ist wie eine Art Catalyst um diese Infrastruktur zu erneuern."
Die Hoffnung: Die Infrastruktur für echtes digitales Geld könnte sich zu einem neuen, hochprofitablen Geschäftsmodell entwickeln. Doch wenn, dann nur ohne Bitcoin und dessen politischen Ansatz, Geld und Staat trennen zu wollen, sondern wie gewohnt mit zentralen geldpolitischen Institutionen.
Jochen Metzger: "Und bei der physischen Darreichungsform sehe ich Experimente. Digital? Krypto? Why not? Beim Konzept – also was Besseres, als das wir heute haben, ist bis jetzt noch nicht gefunden. Bei all seinen Nachteilen ist es noch das am wenigsten schlechte, ja. Wie gesagt: Nehmen sie die Geldpolitik, nehmen Sie die Finanzkrise, zehn Jahre Lehmann. Wie wäre das gelaufen, wenn wir in der Geldpolitik hier nicht hätten helfen können."
Für Marc Friedrich sind Notenbanken Teil des Problems. Zusammen mit Matthias Weik schreibt er seit Jahren über die Missstände unseres Finanzsystems.
Marc Friedrich: "Eine Finanzmarktblase nährt die andere und das sieht man ja jetzt schon wieder. Seit 2008 wurde nichts geändert, ganz im Gegenteil. Wir haben den Ballon noch größer aufgeblasen, wir haben uns lediglich teuer Zeit erkauft auf Kosten der Bürger, der Sparer und haben die Ursachen lediglich mit viel Geld überschüttet und mit historisch tiefen Zinsen und da muss man leider sagen, eine Notenbank ist auf der einen Seite natürlich Brandbeschleuniger, aber auf der anderen Seite gleich wieder Feuerwehr – das kann nicht funktionieren. Und das ist das gesamte Grundübel dieses Systems, in dem wir jetzt gefangen sind seit Jahren."

Zentralisierte Finanzinfrastruktur mit Schwächen

Marc Friedrich hat die Schwächen der etablierten zentralisierten Finanzinfrastruktur selbst erfahren. Er hat für ein Venture Capital-Unternehmen gearbeitet und dabei die Krise des Neuen Marktes zur Jahrtausendwende direkt mitbekommen. Außerdem lebte er 2001 in Argentinien als der ganze Staat Bankrott ging:
"Also Bitcoin ist eine ganz spannende Geschichte, weil Bitcoin ist ja ein Kind der Krise. Sozusagen als Alternative zu diesem jetzt schon eigentlich gescheiterten Geldexperiment und Geldsystem. Und dahingehend sag ich, klar, Bitcoin ist eine Riesenchance, hat natürlich auf jeden Fall noch Schwächen, das wissen wir alle. Aber seit zehn Jahren ist es ein robustes System und seit zehn Jahren passt es sich an. Und deswegen: Umso mehr die Notenbanken natürlich gegen Bitcoin schießen, umso mehr weiß man eigentlich, man ist auf dem richtigen Pfad."
Daten des Internationalen Währungsfonds zeigen: Allein in den vergangenen 50 Jahren erlebte jedes Land durchschnittlich zwei Finanzkrisen. Im Zeitraum zwischen 1970 und 2007 gab es dabei weltweit 124 Bankenkrisen, 326 Währungskrisen und 64 Staatsverschuldungskrisen auf nationaler Ebene. Marc Friedrich ist daher überzeugt, dass sich das bestehende System nicht mehr selbst reformieren kann. Denn jede Institution, die dafür mächtig genug wäre, profitiere viel zu sehr von ebendiesem System oder sei davon abhängig, sagt er:
"Erst, wenn es einen ganz lauten Knall tut, erst dann werden wir gewillt sein durch die äußeren Umstände gezwungen werden mit immensen Kollateralschäden einhergehend, das System zu reformieren. Also wir müssen erst auf die Nase fallen. Es muss erst richtig wehtun, bevor die Banken sich dieses Privileg nehmen lassen, weil es einfach völlig lukrativ ist, aus dem Nichts Geld zu schöpfen. Das wird sich keine Bank, keine Notenbank, kein Staat freiwillig nehmen lassen und deswegen auch der Kampf natürlich zum Beispiel gegen Bitcoin oder Alternativen da draußen."
Dabei kämpft offiziell noch niemand so richtig gegen Bitcoin. Doch gibt es durchaus immer wieder deutliche Kritik. So warnte Carl-Ludwig Thiele in seiner Zeit als Mitglieds des Vorstandes der Bundesbank wiederholt laut und medienwirksam vor Bitcoin. Zu riskant und hochspekulativ sei das digitale Geld. Jamie Dimon, der Chef einer US-amerikanischen Großbank, bezeichnet Bitcoin gar als Betrug und der Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman kritisiert, dass Bitcoin nur Spekulation sei und keinen echten Wert haben könne, wenn es keinen Staat gibt, der im Hintergrund für diesen bürgt.

Zweifel am Bitcoin als alternatives Geldsystem

Auch Jochen Metzger von der Bundesbank sieht Bitcoin nicht wirklich als Alternative zu dem bestehenden Geldsystem, nur weil es jetzt zum ersten Mal die Möglichkeit gebe, technisch Geld direkt im Internet zu versenden:
"Aber für mich ist es eher dann wieder die Sache: Was für ein Medium benutze ich. Damit hebe ich die klassische Infrastruktur nicht auf. Ich habe immer noch Finanzintermediäre, spezialisierte Dienstleister, die den Unternehmen helfen und den Konsumenten, hier besser klar zu kommen, zu günstigen Kosten auch schnell zahlen zu können."
Ob diese speziellen Dienstleister für ihre internen Geschäfte nun Bitcoin benutzten oder Euro und Dollar sei letztlich zweitrangig. Denn wenn diese Unternehmen schlecht wirtschaften oder massiv in Schieflage geraten, brauche man nun einmal eine Möglichkeit, den Schaden zu begrenzen.
"Deshalb kann ich nicht erkennen, wie sozusagen Bitcoin, die Kryptowährungen uns vor der nächsten Finanzkrise schützen können", sagt Jochen Metzger. "Da habe ich so wirklich meine Schwierigkeiten, weil Krisen in dieser Art, Finanzkrisen haben immer auch etwas zu tun mit Kreditvergabe und es ist ja nicht so, dass Kreditvergabe durch Bitcoin abgeschafft wird, auch exzessive Kreditvergabe nicht. Und wenn dann am Ende Kredite nicht zurückbezahlt werden können, dann muss der Schmerz irgendwie verteilt werden und dann ist es sehr gut, wenn wir eine Geldpolitik haben, die hier helfen kann. Mit Liquidität, mit Polsterung, um dafür zu sehen, dass das Ganze nicht noch eskaliert. Und da sehe ich nicht, wie uns da Bitcoin in irgendeiner Weise helfen kann. Ich würde sogar eher befürchten, eine Krise mit Bitcoin wird noch desaströser als ohne."
Eine Argumentation, die den Autor Marc Friedrich nicht überzeugt. Weder die Politik noch die Notenbanken hätten seiner Meinung nach überhaupt noch die Möglichkeiten, die mächtige Finanzindustrie zu bändigen. Das zeigten all die Skandale, in die Banken immer wieder verwickelt seien: Geldwäsche, Zinssatzmanipulationen, Umgehung von Sanktionen und Steuerbetrug.
"Die Banken haben einfach Dreck am Stecken", sagt Marc Friedrich. "Und es verleitet einfach dazu, wenn man mit dem Geld täglich handelt, dann einfach sich zu seinen eigenen Gunsten irgendwas zu manipulieren oder irgendwie die Gesetze zu umgehen, weil man ja weiß, man ist systemrelevant. Und wenn man dann wieder der Politik droht nach dem Motto: "Wir sind systemrelevant. Ihr müsst uns retten. Ansonsten ist morgen der Euro, der Dollar oder das ganze Finanzsystem kaputt!" Dann rennt die Politik sofort und in Nacht- und Nebelaktionen wird da irgendwas durchs Parlament geprügelt, weil man Angst hat, dass morgen die Börsen nicht mehr aufmachen, weil Geld regiert die Welt und nicht die Politik.
Doch kann Bitcoin daran tatsächlich etwas ändern? Zwar hat das digitale Geld in den vergangenen zehn Jahren bewiesen, dass es technisch funktioniert und sich weiterentwickeln kann. Immerhin wurden mittlerweile auch die notwendigen technischen Erweiterungen implementiert, um den Stromverbrauch und die Transaktionskapazitäten des Netzwerks künftig in ein vertretbares Verhältnis zu bringen. Doch um das geldpolitische System von Grund auf zu verändern, muss nicht nur die Technik verlässlich arbeiten. Bitcoin muss auch von den Menschen akzeptiert und angenommen werden.
"Es ist heute unmöglich, herauszufinden, wie viele Leute überhaupt Bitcoin und Kryptowährungen benutzen", sagt Michel Rauchs.
Die größte Besonderheit von Bitcoin, die Dezentralität, stellt Wissenschaftler wie Michel Rauchs dabei vor große Probleme. Denn in einem Netzwerk ohne zentrale Institutionen gibt es schlichtweg keine Möglichkeit, exakte Statistiken über Bitcoin zu erstellen:
"Man muss eine Kombination aus verschiedenen Daten nehmen, aber das gibt einem trotzdem immer nur einen sehr limitierten Einblick, in was überhaupt passiert."
Doch auch wenn man nicht mit Gewissheit sagen kann, ob bisher fünf oder doch eher fünfzig Millionen Menschen Bitcoin benutzen – eine globale Massenbewegung ist es bislang noch nicht, sagtMichel Rauchs:
"Für die meisten Leute ist Bitcoin - stellt es einfach nur eine schlechtere Alternative dar zu den Alternativen, die sie haben. Also zum Beispiel hier in England. Alles wird über Kreditkarte oder Debitkarte bezahlt, es gibt Cash, es gibt Online-Paymentsysteme und so weiter. Also für mich jetzt persönlich zum Beispiel hier gibt es absolut überhaupt keinen Grund, Bitcoin oder eine andere Kryptowährung zu benutzen. Wenn ich jetzt nach Kolumbien zum Beispiel gehe und ich vergesse meiner Bank zu sagen, dass ich dort bin und die blockieren dann meine Karte, ja dann stehe ich dumm da, weil ich habe überhaupt kein Geld zur Verfügung. Aber ich habe dann ein paar Bitcoins auf meinem Smartphone, dann muss ich nur noch jemanden finden, der mir die eintauscht für ein paar Pesos oder so. Das ist mir tatsächlich passiert vor zwei, drei Jahren. Und dann ist Bitcoin oder diese Kryptowährung – es ist die einzige Alternative, die ich in dem Moment habe."

Rettungsmittel gegen Währungskrisen?

In diesem Argument sieht sich auch die globale Bitcoin-Community bestätigt, wenn wieder eine staatlich gesteuerte Währung in eine Krise rutscht. So wie aktuell in Venezuela, wo die Inflation des Bolivar dieses Jahr bereits eine Million Prozent erreicht hat, eine Hyperinflation. Michel Rauchs ist trotzdem skeptisch:
"Aber um jetzt zu sagen, oh, Bitcoin wird jetzt Venezuela oder Argentinien retten, das ist auch sehr übertrieben. Weil trotzdem muss man auch sagen in diesen Ländern, ja, es gibt eine sehr aktive Community und die Leute, die benutzen das tatsächlich, um eben Geld aus dem Land zu schaffen oder eben ganz einfach nur in eine mehr oder weniger stabile Währung zu flüchten. Aber das Problem ist, in diesen Ländern ist es auch eben nur die Elite, die überhaupt Zugang zu diesen neuen Mitteln hat und ist das jetzt fairer? Naja, also, schwierig zu sagen. Ich würde sagen, man kann jetzt nicht sagen, dass Bitcoin sehr faires Geld ist."
Ein Mann in Caracas hält einen 100-Bolivar-Schein.
Ist Bitcoin ein probates Mittel gegen Hyperinflation, wie etwa beim Bolivar in Venezuela?© AFP / FEDERICO PARRA
Dem stimmt auch Jochen Metzger von der Bundesbank zu. Bitcoin sei keinesfalls ein demokratischeres Geld. Im Gegenteil: Jede Revolution bringe letztlich ihren eigenen Adel hervor. Das gelte auch für Phänomene wie Bitcoin:
"In Ländern, die denen ich keine Infrastruktur habe, auch keine Finanzinfrastruktur ist dann die Möglichkeit sozusagen mir im Internet eine andere Infrastruktur hereinzuholen und zu nutzen, die ist interessant. Das ist gut, das wird gemacht, aber das kann nicht unser Konzept sein."
Den Spielraum für das Bitcoin-Experiment will er daher in seinem Wirkungsbereich als deutlich begrenzt verstanden wissen:
"Und in meiner Definition ist experimentieren eher ein enges Feld. Weil in dem Moment, wo wir sagen, wir wollen wirklich Dienstleistung an das Publikum anbieten, Finanzdienstleistungen, glaub ich, können wir die bestehende Regulierung und den bestehenden Rechtsrahmen nicht ignorieren, weil am Ende des Tages: Ein Bitcoin-Geldautomat, das ist nichts anderes als ein Tausch von Euro gegen Bitcoin. Und dafür brauchen Sie nach deutschem Recht eine Banklizenz."
Für Jörg Platzer, den Bitcoiner der ersten Stunde, steht der Bundesbanker mit dieser Sichtweise auf verlorenem Posten. Er hat auch schon lange aufgehört, Bitcoin überhaupt noch als "Experiment" zu bezeichnen:
"Keine Ahnung, dass ist wie der Asteroid, der am Himmel auftaucht und die Dinosaurier sagen dann, das ist ein Experiment. Nein, ist es nicht. Das Ding ist da - und die Konsequenzen daraus sind unabsehbar. Aber ein Experiment ist es nicht."

Herkömmliches Geldsystem hinterfragen

Michel Rauchs von der Universität Cambridge sieht die Wahrheit irgendwo in der Mitte. Menschen sind Gewohnheitstiere. Und möglicherweise werde die Finanzindustrie die neue Technologie schneller adaptieren, als die Menschen Bitcoin annehmen.
Aber so oder so begrüßt er den einsetzenden Wandel. Dass die Leute anfangen, sich überhaupt mal mit dem Geldsystem auseinanderzusetzen, es gezielt kritisch hinterfragen und beginnen, Alternativen einzufordern, so Michel Rauchs:
"Durch die bloße Existenz von Bitcoin als eine Art Alternative, die funktioniert – zu einem gewissen Grad, das muss man auch sagen – hat es eben den Leuten aufgezeigt: Okay, da gibt es andere Dinge und das heißt, wir können unser existierendes System so verändern, dass es eben den Bedürfnissen der Bürger auch entspricht und ich würde sagen, das ist zumindest heutzutage Bitcoins größtes Achievement."
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