Philosophischer Kommentar zu Kryptogeld in Venezuela

Wie eine libertäre Technologie den Sozialismus retten soll

Demonstrantin in der venezolanischen Stadt Valencia/mit einem Protestplakat: "Mit Maduro haben wir keine Zukunft". Photo: Juan Carlos Hernandez | picture alliance | ZUMA Wire
"Mit Maduro haben wir keine Zukunft" - Demonstrantin in Valencia/Venezuela © ZUMA Wire / picture alliance
Von Wolfram Eilenberger · 26.08.2018
Venezuelas Wirtschaft liegt am Boden. Millionen Menschen verlassen das Land. Ausgerechnet mit Kryptogeld will Präsident Maduro nun die eigene Währung stabilisieren. Eine tragikomische Wendung der Geschichte, kommentiert der Philosoph Wolfram Eilenberger.
Es gibt gewiss vieles, was man unserer Wirklichkeit vorwerfen kann. Nur nicht, dass sie nicht hin und wieder für sinnige Überraschungen sorgte. Anfang der Woche zum Beispiel vollzog ausgerechnet Venezuela – noch vor wenigen Jahren mutmaßliches Paradebeispiel einer neuen sozialistischen Utopie – einen währungspolitischen Schritt, von dem bislang allenfalls marktradikale Visionäre im Silicon Valley träumten.
Auf Geheiß seines Staatspräsidenten Nicolás Maduro nämlich koppelte Venezuela als erstes Land der Geschichte seine nationale Währung, den Bolívar, direkt an sogenanntes Kryptogeld. Also an eine Währungsform, die auf der Blockchain-Technologie beruht. Das derzeit bekannteste und auch umstrittenste Beispiel für diese neue Art elektronisch generierten und geschützten Geldes ist der Bitcoin. Die in Venezuela jetzt zum Einsatz gebrachte Hausversion trägt den Namen "Petro".
Der Philosoph Wolfram Eilenberger
Dass die venezolanische Kryptowährung vom Staat selbst generiert wurde, darin sieht der Philosoph Wolfram Eilenberger eine tiefe Ironie.© Deutschlandradio / Manfred Hilling
Nun, Not macht erfinderisch. Und in Venezuela ist die Not derzeit riesig. Die Wirtschaft des ölreichen Landes liegt brach. Allein für das Jahr 2018 betrug die Inflation mehr als 100 000 Prozent. Bis zum Jahresende drohte sie gar die Millionenprozentmarke zu brechen. Mit allen lebensweltlichen Folgen: Blühende Schwarzmärkte, Engpässe bei Grundnahrungsmitteln, Verlust von öffentlicher Ordnung, nackter Überlebenskampf.

Die Idee hinter Kryptogeld: Währung ohne Staat, ohne Bindung

Die Lage ist also alles andere als lustig. Dennoch sollte die tiefe Ironie der nun ergriffenen Maßnahmen nicht unbemerkt bleiben. Sie möchte wichtige Lehren in sich tragen. Tatsächlich nämlich zeichnen sich Kryptowährungen durch ihr revolutionäres politisches Potential aus. Sind sie doch im Ursprung als Zahlungsmittel intendiert, die sich jeder Form staatlicher Kontrolle entziehen. Weder ihr konkreter Einsatz noch ihre Wertentwicklung beruht auf der Existenz von souveränen Nationalstaaten, ja auch nur der Existenz von Banken. Krytpogeld ist ein absolut reines, dezentralisiertes Zahlungsmittel für absolut souveräne Privatpersonen. Es wurde deshalb bisher auch nur privat geschöpft. Wobei die Schöpfung dieser Währungen sich wiederum vollständig von jeder territorialen oder auch nur terrestrischen Einschränkung emanzipiert weiß. Der Wert dieser Kryptowährungen beruht zunächst auf der digitalen Rechenleistung, die zur Generierung eben jener Codes, die diese Währungen faktisch sind, benötigt wird.

Kryptogeld in Venezuela: Währung mit Staat, mit Bindung

Dies alles nun wurde mit dem venezolanischen Petro von den libertären Füßen auf den sozialistischen Kopf gestellt. Denn zum einen ist die neue Kryptowährung vom diktaturnahen Staat selbst generiert. Zum zweiten ist ihr Wert direkt an den Preis für ein Barrel Rohöl gekoppelt – eben jenes Rohöl, von dem Venezuela noch Unmengen in seinen Böden schlummern weiß.
Im zunehmend verzweifelten Namen eines "Sozialismus in einem Land" hat Maduros Venezuela also faktisch die erste Krypto-Kryptowährung der Welt geschaffen. Sein Petro sieht zwar aus wie Kryptogeld, funktioniert in Wahrheit aber gerade gegenteilig. Rettend stabilisieren soll er dabei eine traditionelle Währung, den nun so genannten "souveränen Bolívar", für den nach menschlichen Ermessen Hopfen wie Malz verloren bleiben wird.

Der 18. August des Nicolás Maduro

Alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen, hielt Karl Marx einst in seiner satirischen Meisterschrift "Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte" fest, "ereignen sich zweimal: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce". Mit dem 18. August des Jahres 2018 hat Nicolás Maduro selbst diese sozialistische Kerneinsicht ins Gegenteil verkehrt. So etwas wie den Petro gab es nämlich noch nie. Er ist zudem eine reine Farce. Der weitere Verlauf des venezolanischen Experiments scheint damit tragisch vorprogrammiert.
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