William Boyd: "Die Fotografin"

Nicht mehr als eine reizvolle Idee

William Boyd
Der britische Schriftsteller William Boyd © picture alliance / dpa / Foto: EPA/ZIPI
Von Edelgard Abenstein · 08.02.2016
Der britische Autor William Boyd schreibt über die fiktive Fotografin Amory Clay. Sie leitet während des Zweiten Weltkriegs eine Fotoagentur in Paris und zieht mit den Alliierten nach Deutschland. Was der Heldin aber zu ihrem Beruf einfällt, geht über Gemeinplätze nicht hinaus.
Der britische Schriftsteller William Boyd ist ein Vielschreiber. Seine bisher 15 Romane haben es, nicht nur auf dem englischsprachigen Markt, fast immer auf die Bestsellerlisten geschafft. Eines von Boyds Markenzeichen ist die Erfindung von vermeintlich in Vergessenheit geratenen Künstlern. So lebensecht, dass darauf schon mal die gesamte Kunstwelt hereingefallen ist wie in dem wunderbaren literarischen Spaß über Nat Tate, einen amerikanischen Expressionisten, der nie existiert hat.

In seinem neuen Roman erzählt Boyd die Geschichte der fiktiven Fotografin Amory Clay. 1908 geboren, legt die Tochter eines englischen Schriftstellers binnen kurzem eine erstaunliche Karriere hin, zunächst als Gesellschaftsreporterin in der High Society Londons, dann dokumentiert sie in skandalisierender Absicht die Berliner Sex- und Schwulenszene.

Sie geht nach New York, wo sie den (verheirateten) Mann ihres Lebens kennen lernt; zurück in London wird sie bei heimlichen Aufnahmen von Straßenschlachten brutal von englischen Schwarzhemden zusammengeschlagen. Während des Zweiten Weltkriegs leitet sie eine Fotoagentur in Paris, zieht als "embedded journalist" mit den Alliierten nach Deutschland, heiratet einen schottischen Lord, bevor sie in den 1960er-Jahren schließlich als Bildreporterin in Vietnam arbeitet.
Eigentlich ein Jahrhundertstoff
Das alles ist ein toller Stoff. Eigentlich ein Jahrhundertstoff. Man sieht die wirklichen Pionierinnen der Fotokunst von damals geradezu vor sich. Das hat sich Boyd wohl auch gewünscht, also lässt er seine Heldin selbst erzählen. Auf einer schottischen Insel, wo die 70-Jährige zurückgezogen mit ihrem Hund lebt, Tagebuch führt und ein bisschen zu viel Whisky trinkt, blickt sie auf ihr Leben zurück. Leider, und das ist die ganz große Enttäuschung, in einem kess-oberflächlichen Jungmädchenton, der vor allem die erste Hälfte des Romans wie Zuckerguss überzieht.

Das eigentliche Problem aber ist das Thema des Buches, die Fotografie. Was der Heldin zu ihrem Beruf einfällt, geht über Gemeinplätze nicht hinaus. Da wird "die Zeit angehalten", der "Augenblick gebannt". Was sie einfangen will, sind "Schnappschüsse von Lichteffekten, abstrakte Momente wie sie ein Maler mit seinen Mitteln nie darstellen könnte". Außer ein paar Nebensätzen zur Technik der Überblendung spielt das Medium keine Rolle. Dass Amory Clay soviel Erfolg hatte – eine leere Behauptung. Man glaubt einfach nicht, dass Boyds Heldin eine ebenbürtige Zeitgenossin von Margret Bourke-White, Marianne Breslauer oder Lee Miller ist, der Muse Man Rays, die sich ehrgeizig vom Model zur Avantgardefotografin hochkämpfte.

Illustriert ist der Roman mit Fotos, die Amory Clay angeblich selbst geschossen hat. Boyd hat sie auf Flohmärkten oder im Internet gefunden, auf manchen ist die Künstlerin selbst abgebildet, unscharf genug, um sie anonym erscheinen zu lassen. Doch um die Illusion einer vergessenen "Lichtbildnerin" in die Welt zu setzen und zu beglaubigen, dazu taugen die technisch wenig versierten, ästhetisch ungenügenden Fotos nicht. Genau wie der ganze Roman, von dem nichts bleibt als eine sehr reizvolle Idee.

William Boyd: "Die Fotografin. Die vielen Leben der Amory Clay"
Aus dem Englischen von Patricia Klobusiczky und Ulrike Thiesmeyer
Berlin Verlag, Berlin 2016
560 Seiten, 24,00 Euro