Willi Winkler auf Wanderschaft

"Deutschland erschließt sich nicht aus dem Hubschrauber"

Die Sonne scheint auf den frischen Schnee auf der Spitze des Ochsenkopfes im Fichtelgebirge nahe Bayreuth, Aufnahme von 2009
Frischer Schnee auf der Spitze des Ochsenkopfes im Fichtelgebirge - "Wo man der Welt verloren geht" (Willi Winkler) © picture-alliance/ dpa
Willi Winkler im Gespräch mit Sigrid Brinkmann · 23.12.2014
Vor gut 20 Jahren legte der Autor Willi Winkler ein Gelübde ab: Wenn die FDP aus dem Bundestag fliegen würde, wollte er zum Dank eine Fußwallfahrt zur Schwarzen Madonna von Hamburg aus nach Altötting unternehmen. Im Herbst 2013 war er es soweit - Winkler begab sich auf Wanderschaft.
Die letzte Bundestagswahl am 22. September 2013 wurde für ihn zum "Zahltag", und im Winter machte sich Willi Winkler von Hamburg aus auf den Weg. Den 35 Tage dauernden Marsch - meistens an der Landstraße entlang - rekapitulierte er in seinem literarischen Bericht "Deutschland, eine Winterreise". In der "Lesart" stellte er seine Erinnerungen vor.
Nein, er sei nicht durch glitzernden Schnee gelaufen, sagte Winkler. Sein typisches Wanderwetter sei vielmehr "so ein Dauerherbst – mit viel Wind, kalt natürlich" gewesen. Nur im Fichtelgebirge sei er durch eine wahre Winterlandschaft gewandert noch dazu ohne Handy-Empfang - "wo man der Welt verloren geht".
Viele Menschen wollten mit dem Fremden reden
Durch die Wanderreise habe sich sein Blick auf Deutschland geändert, meinte Winkler – insbesondere sein Blick auf die Provinz. Deutschland habe ihn vorher "aus verschiedenen Gründen" nicht interessiert, gestand er.
"Ich kannte das alles einfach nicht. Darum geht es. Mann kann viel über Provinz (...) schimpfen, aber es ist ja das eigentliche Leben."
Irritiert habe ihn das Gesprächsbedürfnis vieler Menschen ihm, dem Fremden, gegenüber. "Ich habe sehr viele Leute getroffen, die ein sehr starkes Redebedürfnis hatten. Und wenn man müde einkehrt, möchte man ja selber überhaupt nicht reden. Aber offenbar haben die Leute das Bedürfnis, einem Fremden wie einem Beichtvater alles Mögliche zu erzählen. Und natürlich müssen sie ihren Ärger über die Welt, über die Frau, die davon gelaufen ist, über die Kinder, die umgezogen sind, über die Inflation oder was immer, über die Benzinpreise – das müssen sie loswerden."
Der Journalist und Buchautor Willi Winkler
Der Journalist und Buchautor Willi Winkler© dpa / picture alliance / Arno Burgi
"Deutschland ist ja eine fürchterliche Jammergesellschaft"
Gefreut habe ihn daher insbesondere die Begegnung mit einer Bäckersfrau. "Und Sie glauben gar nicht, was für eine Sonne mir aufging, als diese Frau nur erzählte, wie gut sie es hat. Sie muss hart arbeiten, ihr Mann muss um halb drei aufstehen, weil er eben der Bäcker ist – sie haben völlig verschobene Zeiten, aber sie sind glücklich miteinander. Und das tut einem dann in der Seele wohl, wenn es so etwas auch gibt – weil Deutschland ist eine fürchterliche Jammergesellschaft."
Beim Wandern könne man die Schönheit Deutschlands wunderbar erfahre, resümierte Winkler: "Aber dass es das gibt, dass es diese Landschaft gibt, ist eine ganz großartige Erfahrung, die man nie machen würde, wenn man Deutschland allein auf der Autobahn oder mit dem Zug durchqueren würde.(...) Nein, Deutschland ist schön, aber das erschließt sich nicht aus dem Hubschrauber, sondern nur so."

Willi Winkler: Deutschland, eine Winterreise
Rowohlt Berlin 2014
176 Seiten, 18,95 Euro

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