Ueli Mäder: "Macht.ch"

Wie das internationale Geld die Schweiz regiert

Das Logo der Schweizer Bank UBS in Zürich
Das Logo der Schweizer Bank UBS in Zürich © picture-alliance/ dpa / EPA / Steffen Schmidt
Von Nana Brink · 21.11.2015
Die Schweiz als internationaler Finanzplatz gilt zugleich immer noch als Musterbeispiel demokratischer Mitbestimmung. Doch wer hat wirklich das Sagen in der geldschweren Alpenrepublik? Das untersucht der Basler Soziologe Ueli Mäder in "Macht.ch".
Eines vorweg: Dieses Buch bietet keine Überraschung. Und: Es wird jedes Voruteil bestätigen, das man schon immer über den kleinen Nachbarn hatte – zumindest in Bezug auf seine Finanzwirtschaft und ihre Verflechtung mit den staatlichen Akteuren.
Nicht umsonst nennt Ueli Mäder, ein in der Schweizer Öffentlichkeit bekannter Soziologieprofessor aus Basel, sein neues Buch "Macht.ch". Es stellt die Fragen, die man sich gemeinhin stellt über die Schweiz: Welche Rolle spielt das Geld? Und wer hat wie viel Macht?
Macht heißt, eigene Interessen durchsetzen
In einem ausführlichen Vorwort legt Mäder, der ein ganzes Team an Wissenschaftlern und Studenten für dieses Projekt versammelt hat, seine Methodik dar. Ihn interessieren die "Dynamiken der Macht", wobei er sich auf Max Webers Definition bezieht, nach der Macht bedeutet, eigene Interessen gegen Widerstände durchzusetzen.
Im Zentrum von Mäders Buch, der schon in mehreren Publikationen den Zusammenhang zwischen Reichtum und Politik beschrieben hat (etwa "Wie Reiche denken und lenken", 2010), stehen Interviews mit über 200 Personen aus Finanzinstitutionen, Unternehmen, Parteien, Politik, Justiz, Sicherheitsapparat sowie aus Denkfabriken und Medien.
"In der Schweiz ist der Zugang zu Mächtigen relativ einfach", schreibt Mäder, weshalb er seinen bewusst "biografischen Ansatz" auch gegen Kritiker verteidigt, die ihm mangelnde Distanz vorwerfen. Diesem Vorwurf begegnet der gewiefte und in Talkshows erprobte Soziologieprofessor mit Offenheit: Das Interview mit dem rechtspopulistischen Politiker Christoph Blocher kann man – wie viele andere – nachlesen und sich selbst ein Urteil bilden.
Die Schweiz ist eines der reichsten Länder der Welt, mit einem Bruttoinlandsprodukt von fast 80.000 Franken pro Kopf. Etwa 1 Prozent der Steuerpflichtigen verfügen über mehr Vermögen als die übrigen 99 Prozent. Und: Von den zehn reichsten Griechen wohnen fünf in der Schweiz. Also wer gibt in der Schweiz den Ton an?
Aussteiger-Banker reden über ihre Unternehmen
Ueli Mäder lässt zwei ehemalige "machtkundige Fachleute" sprechen: Roland Rasi, ehemals Generaldirektor des Schweizerischen Bankvereins, und Paul Feuermann, ehemals Vizedirektor der UBS, zusammen mit der Credit Suisse das größte Institut in der Schweiz. Beide sind "Aussteiger", arbeiten als Anwälte und studieren – Zufall ? – Soziologie an der Uni Basel.
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Cover: "macht.ch: Geld und Macht in der Schweiz"© Rotpunktverlag
Beide beschreiben den Korpsgeist in ihren Unternehmen, den gnadenlosen Wettbewerb und die eiserne Verschwiegenheit als Garanten des Erfolgs. Und beide haben sich vom Saulus zum Paulus entwickelt.
So fordert Rasi mittlerweile die komplette Aufhebung des Bankgeheimnisses. Und Feuermann warnt: "Die Stabilität des Landes ist so sehr auf das Geld und seine Vermehrung über Finanzblasen ausgerichtet. Große Finanzgebilde sind ein sehr großes Risiko für das kleine Land."
Als Risiko sieht Mäder auch die Verflechtungen von Wirtschaft und Politik. In Kapitel "Lobbying und Verwaltung" beschreibt er die Herkunft vieler Parlamentarier, ihre zum Teil offenen Verbindungen zu den großen Banken und Unternehmen der Schweiz. Allerdings stellt er fest, dass seit der Finanzkrise eine Entkopplung von Politik und Wirtschaft stattfindet, nachzulesen vor allem im Interview mit dem Sozialdemokraten Moritz Leuenberger, der nach 15 Jahre im Bundesrat bekennt: "Die globalisierte Wirtschaft ist mächtiger als nationale Politik".
Fallstudien über "alten Filz" und globale Netzwerke
Der zweite Teil des Buches bietet umfangreiche Fallstudien, zum Beispiel zum Bankenstaat und zur Macht des ökonomischen Denkens, das in der Schweiz nach Analysen der Soziologen Peter Streckeisen und Gian Trepp allerdings einem Wandel unterliegt. Nach wie vor ist die Schweiz der größte Offshore-Finanzplatz der Welt. Schweizer Banken verwalten über 2.000 Milliarden Dollar, "eine Steueroase mit hoher Vertraulichkeit, aber wenig Aufsicht und Regulierung".
Der "alten Filz", wie es die Autoren nennen, also die vertraute Verflechtung von Banken, staatlichen Aufsichtsbehörden und Politik allerdings ist einem "globalen Netzwerk" international agierender Konzerne gewichen. Hinzu kommt die teilweise Aufhebung des Bankengeheimnisses nach der Finanzkrise: 2012 erzwangen die USA einen Austausch von Daten.
Ab 2018 müssen Bankdaten von EU-Bürger mitgeteilt werden. Als Problem definiert Mäder im Anschluss die großen Banken, die immer größer werden, international vernetzt sind und nicht nur "too big to fail", sondern vor allem "too big to be saved".
Wer also hat die Macht? Nach der Lektüre des über 500-seitigen Buches gibt es darauf eine eindeutige Antwort: Das Geld. Aber eben nicht das "einheimische, alte" Geld, sondern das "internationale" Geld, das neue Eliten formt, die konservativ und kosmopolitisch eines verteidigen: Den sicheren Bankenplatz Schweiz.

Ueli Mäder: Macht.ch
Geld und Macht in der Schweiz
Rotpunktverlag, Zürich, November 2015
512 Seiten, 36,00 Euro

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