"Typisch deutsch?"

"In Deutschland ist Fluchen nicht hoch angesehen"

Fluchender Autofahrer
Im Berliner Straßenverkehr wird sehr viel mehr geflucht als in Bonn - hat der Türke Deger Akal beobachtet. © picture alliance / dpa / Rolf Kremming
Von Matthias Baxmann und Matthias Eckoldt · 27.04.2017
Fluchen Deutsche nun besonders viel, wie Yu-li Lin aus Taiwan beobachtet hat? Oder ausgesprochen wenig, wie Peter Michael Dolle aus den USA behauptet? Auf jeden Fall hätten die Finnen viel schönere Flüche als das deutsche Nullachtfünfzehn-Wort "scheiße", meint Tiina Rajamaki.
Deger Akal, Turkei:
"Die Deutschen fluchen wenig, wenn man es mit der Türkei vergleicht. Sie müssen auch gar nicht fluchen, weil sie so offen Kritik äußern. In der Türkei flucht man eher, als sein Unbehagen in so viele Worte zu kleiden. Ich habe vier Jahre lang in Bonn gelebt. Da habe ich kaum mal jemanden fluchen gehört. Auch nicht im Verkehr. Das ist in Berlin anders. Hier sehe und höre ich jeden Tag jemanden im Verkehr fluchen."
Peter Michael Dolle, USA:
"In Deutschland ist Fluchen nicht hoch angesehen. Ich habe das bei meiner Frau gemerkt. Wenn wir jemanden treffen, der sehr viel flucht und vielleicht dazu noch Schweinereien erzählt, sinkt er sehr in ihrer Achtung. In Amerika wird mehr geflucht, zumindest seit den Hippies. Die haben das aus Protest gemacht gegen ihre Elterngeneration und irgendwie hat es sich gehalten. Mittlerweile flucht man auch in den sozialen Netzwerken. Das schreibt man zum Beispiel: 'omg'. Das heißt nicht 'o my god', sondern 'o my gosh', damit das auch Atheisten benutzen können."
Tiina Rajamaki, Finnland:
"Die Finnen fluchen auf jeden Fall mehr als die Deutschen. Wir haben auch viel schönere Flüche. Die meisten haben etwas mit dem Teufel zu tun. Die finnischen Flüche sind so gut, dass sogar die schwedische Minderheit, die es ja bei uns gibt, auf Finnisch flucht. In Deutschland hört man eigentlich nur 'Scheiße!', aber auch das ohne wirklich starke emotionale Beteiligung. Höchstens in der Konfrontation zwischen Taxifahrer und Fahrradfahrer wird es mal lauter. Ich selbst habe in Finnland auch wesentlich drastischere Worte beim Fluchen benutzt. Mein Mann, der Deutscher ist, hat mich schon ein paar Mal gewarnt: 'Das kannst du in Deutschland nicht sagen!' Mittlerweile halte ich mich daran."
Dmitri Tultschinski, Russland:
"So richtig böse russische Flüche bestehen meist aus obszönen sexuellen Begriffen. Das ist wirklich nicht schön, und es wurde mittlerweile sogar gesetzlich verboten, solche Flüche zu drucken und auszusprechen. Im Deutschen gibt es auch obszöne Flüche, aber die werden hier leichter in den Mund genommen, finde ich. In der Anwesenheit einer Frau würde ich solche Flüche niemals sagen, wenn ich sie nicht gut kenne, und wenn ich sie gut kenne, erst recht nicht. Aber das höre ich bei den Deutschen immer mal wieder. Daraus schließe ich, dass diese Worte im Deutschen nicht so eine starke Ausdruckskraft haben. Ansonsten muss man hier aufpassen, was man tut. Bestimmte Gesten – wie etwa das Vogelzeigen oder der Stinkefinger – können richtig Geld kosten. Da kann man eine Beleidigungsklage an den Hals kriegen."
Yu-li Lin, Taiwan:
"In Berlin fluchen die Radfahrer besonders aggressiv. Wenn ich mit dem Auto fahre und nach rechts abbiege, dann rufen sie: 'Du Arschloch!' Und schlagen noch mit der Faust aufs Autodach. Obwohl ich stehen bleibe. Auch wenn etwas auf den Ämtern nicht klappt oder im Supermarkt oder auf der Post, dann fluchen die Deutschen. Ich finde das gar nicht schlimm. Ich denke, es ist besser, seinen Ärger zu artikulieren, als ihn runterzuschlucken. Der Umgang mit Ärger kommt mir hier gesünder vor als in Taiwan. Dort wird vieles unter der Decke gehalten. Ich würde manchmal auch gern fluchen, aber die entsprechenden Worte wollen mir nicht über die Lippen kommen."

"Typisch deutsch?" - wieder zusammengestellt von Matthias Baxmann und Matthias Eckoldt - gibt es auch als Buch, erschienen im Holiday-Verlag.

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