Thronfolger, Königsmacher, Machtwechsel

Feudale Sprachbilder passen nicht zur Demokratie

Ein Kronenleuchter hängt am 03.09.2017 in Berlin in den Fernsehstudios in Adlershof beim TV-Duell von Bundeskanzlerin Merkel (CDU) und Herausforderer Martin Schulz (SPD) , wobei Merkel auf einem Bildschirm zu sehen ist.
Königin Merkel: Beim TV-Duell gegen Martin Schulz am 3.9.2017 wird ein Kronleuchter zur Krone für das Konterfei der Kanzlerin. © dpa / Kay Nietfeld
Ein Plädoyer von Stefan Reinecke · 06.12.2018
Oft reden wir über unsere Politiker in dynastischen Metaphern und höfischen Begriffen - als wäre die Republik ein Erbhof, beklagt Stefan Reinecke. Notwendig wäre vielmehr eine republikanische Sprache, die die Demokratie zum Leuchten bringt.
Am Hof herrscht Aufregung. Wird die von der Regentin auserkorene Kronprinzessin siegen? Oder der alte Widersacher, der einst vom Hof gejagt wurde und seitdem auf Rache sinnt? Oder der junge forsche Fürst, den die Königin an ihren Hof holte, um ihn unter Kontrolle zu haben?
Ja, es geht um die CDU, um Annegret Kramp-Karrenbauer, Friedrich Merz, Jens Spahn, die Nachfolge von Angela Merkel. Bei Machtwechseln kommen uns oft feudale Begriffe in den Sinn. Da ist von Erbhöfen und Königsmachern die Rede - oder von unglücklichen Kronprinzen, die auf die Wartebank verdammt sind. Kronprinzessinnen wie Kramp-Karrenbauer sind eher neu.
Die drei Kandidaten für den CDU-Bundesvorsitz, Friedrich Merz (CDU, links), früherer Unions-Fraktionschef, Annegret Kramp-Karrenbauer, CDU-Generalsekretärin, und Jens Spahn (CDU), Bundesminister für Gesundheit, bekommen bei der CDU-Regionalkonferenz Berlin/Brandenburg Bären als Geschenk.
Die CDU hat ihre achte und letzte Regionalkonferenz abghehalten.© dpa-Bildfunk / Kay Nietfeld
Die politische Macht ist in der Demokratie kein Besitzstand, der Machtwechsel der Normalfall. Nur in skurrilen Diktaturen wie in Nordkorea wird Herrschaft vererbt. Warum also beschreiben Medien Umbrüche mit dynastischen Metaphern, mit höfischen Begriffen? Aus Gewohnheit? Aus Gedankenfaulheit? Weil Klischees, die sich eingefräst haben, so hartnäckig sind?
Auch. Aber nicht nur. Machtfragen werden auch in demokratischen Parteien oft in aristokratischer Manier geregelt, als Ansage von oben. Bei der CDU ist das gerade mal nicht der Fall – der Ausgang in Hamburg ist offen. Das ist aber eher die Ausnahme. Die Regel ist, was Sigmar Gabriel Anfang 2017 tat. Er bestimmte im Alleingang Martin Schulz zum Kanzlerkandidaten und seinem Nachfolger als SPD-Chef. Gabriel machte sich noch nicht mal die Mühe, die Parteigremien zu konsultieren oder den von ihm selbst verordneten Zeitplan einzuhalten – und verkündete seinen Entschluss in einer Illustrierten. Das hatte autokratische Züge.

Obrigkeitsstaatliche Relikte in der Sprache

Es gibt in der Demokratie obrigkeitsstaatliche Relikte, die sich in diesen feudalen Sprachbildern spiegeln. Diese Bilder sind zudem nützlich, um das Komplexe zu vereinfachen, das Komplizierte anschaulich zu machen. Auf dem CDU-Parteitag spielt alles Mögliche eine Rolle – der regionale Proporz, wie sich die Frauen- und Seniorenunion positionieren, wer wem welche Posten verspricht, was CDA und Junge Union wollen. Demokratische Wahlen sind immer auch technokratische, kalte Prozesse.
Da ist es einfacher und einprägsamer, atavistische Rollen und Assoziationsräume aufzurufen.
Der Vergessene, der nach 15 Jahren wieder vor der Tür steht. Die Kronprinzessin, die zeigen muss, was in ihr steckt. Die Herrscherin, die ihr Erbe bestellt. Der jugendliche Rebell, der die Älteren herausfordert – diese Bilder leuchten uns sofort ein. Sie gehören zur DNA unserer populären Kultur.
Stephen Greenblatt hat in der Studie "Der Tyrann" gezeigt, dass die Machttechniken, die Shakespeare in den Dramen um Königsmorde, Intrigen und dynastischen Kämpfe vor 400 Jahren vorgeführt hat, noch immer erstaunlich aktuell sind. Nein, es geht nicht mehr so blutrünstig zu, die Machthaber sind auch selten dämonisch. Donald Trump ist ja eher eine Comicversion von Frank Underwood aus "House of Cards", der deutlich von Richard III. und Macbeth inspiriert ist.

Gesucht: eine Sprache ohne dynastische Klischees

Mögen die Gefechte heute ziviler ausgetragen werden, die Figuren banaler sein - manche Grundmuster sind ähnlich. Shakespeare lässt in den höfischen Machtkämpfen Opportunisten und naive Gläubige, gerissene Machttaktiker und rhetorischen Verführer auftreten. Dieses Personal wirkt für uns recht vertraut. Es gehört zum Arsenal unserer populären Kultur.
Fehlt uns etwas? Ja, schon. Eine republikanische Sprache, die ohne dynastische Klischees auskommt und gleichwohl nicht papieren oder technokratisch klingt. Eine Sprache, die die Schönheit der Demokratie zum Leuchten bringen kann.

Stefan Reinecke, geboren 1959, ist seit fünfzehn Jahren als Redakteur und Publizist in Berlin tätig, u. a. als Redakteur beim Tagesspiegel und bei der taz, für die er derzeit als Autor arbeitet. Mehrere Buchveröffentlichungen, zuletzt eine Biografie von Christian Ströbele.

Der Publizist Stefan Reinecke
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