Theaterpreisträger Nassim Soleimanpour

Aus Liebe zum Imperfekten

Szene aus dem Stück "Nassim" von Regisseur Nassim Soleimanpours.
Szene aus dem Stück "Nassim" von Regisseur Nassim Soleimanpours. © Nirma Soleimanpour
Von Gerd Brendel · 06.01.2018
Ein Schauspieler sieht den Text zum ersten Mal auf der Bühne – auf diese Weise inszeniert der Iraner Nassim Soleimanpour erfolgreich seine Theaterstücke. Sein Stück "Nassim", das mit dem renommierten Theaterpreis "Fringe First Award 2017" ausgezeichnet wurde, ist jetzt in Berlin zu sehen.
Ein Schauspieler kommt auf die Bühne und hat keine Ahnung. Denn das Manuskript, dass er in die Hand gedrückt bekommt, kennt er genauso wenig wie die Zuschauer. So lassen sich im Grunde alle Arbeiten des Autors Nassim Soleimanpour zusammen fassen. Seine Stücke leben von jenem magischen Augenblick in denen die Figuren eines Stücks zum allerersten Mal Gestalt annimmt, aus Text ein Spiel mit Worten und Gesten, kurzum eine Stück auf der Bühne wird. Das Prinzip wurde aus der Not geboren und aus Nassim Soleimanpours Liebe zum Imperfekten:
"Zum einem konnte ich nicht reisen und bei den Aufführungen dabei sein, und auf der anderen Seite mag ich die Probensituation sehr: Um beides ging es im Grunde bei meinem ersten Stück: White Rabbit, red Rabbit. Weißes Kaninchen, rotes Kaninchen."

Jede Aufführung wird zur Uraufführung

Am Anfang stand ein Alptraum: Nassim träumte seinen Selbstmord. Im Stück spielt ein Schauspieler die Situation nach. Die Zuschauer werden zu Komplizen. Ein befreundeter Regisseur aus Kanada hatte den jungen Theater-Studenten aus Teheran auf die Idee gebracht in Englisch zu schreiben und vermittelte die ersten Aufführungen im Ausland.
Allerdings durfte Nassim, als Wehrpflichtiger, der lieber weiter studieren wollte als zur Armee zu gehen, nicht ausreisen. So kam dem Autor die Idee, seinen Text jedes Mal von einem anderen Schauspieler neu aufführen zu lassen. Außerdem:
"Im Probenraum hatte ich immer mehr Spaß, jemand liest den Text zum ersten Mal, macht blöde Fehler, alle Lachen, man wiederholt und wiederholt bis es perfekt wird. Das sieht dann zwar schön aus, aber auch langweilig."

Ein Theaterstück über die Mühen der Fremde

Mittlerweile wurde Soleimanpour aufgrund eines Augenleidens ausgemustert. Er hat längst seinen Reisepass und lebt mittlerweile mit seiner Frau in Berlin mit einem Arbeitsvisum. Seinen Ideen ist er treu geblieben, auch mit seinem neuen Stück, das seinen Namen trägt: "Nassim". Ein Stück über die Mühen der Fremde, und den grotesken Alltag zwischen mehreren Sprachen.
"Ich würde nicht sagen, 'im Übersetzungswald verlaufen' aber fast. Ich lebe jetzt in Berlin. Im Alltag funktioniere ich in Deutsch. Meine Frau kommt aus dem Iran. Ich liebe also in Farsi. Ich kommuniziere mit meinen Eltern auf Farsi und ich arbeite auf Englisch."
Wieder wird der Text an jedem Abend von einem anderen Schauspieler, einer anderen Schauspielerin aufgeführt. Nur das diesmal der Autor selbst quasi als Assistent hinter und auf der Bühne agiert und das Textbuch Seite für Seite auf die Bühnenrückwand projiziert. Nassims Stücke erinnern an das Erzähl-Theater von "Forced Entertainment" und an Standup-Comedy. Warum er nie in seiner Heimat Iran inszeniert hat?

"Das ausgeschriebene Manuskript muss zur Genehmigung vorgelegt werden. Das Zensur-Gremium teilt Dir dann mit, ob das Stück genehmigt wird und was umgeschrieben werden muss. Ich hab keine Ahnung, wie das genau funktioniert und ich hab auch keine große Lust darauf, um ehrlich zu sein."

Freie Theater-Szene in Teheran

Allerdings hat sich die Szene in der letzten Zeit verändert:
"Vor kurzem als ich auf Besuch im Iran war, wurde ich interviewt und es gab Artikel über mich. Und die freie Szene entwickelt sich. Allein in Teheran existieren mittlerweile 25 freie Theater."
Wie die jüngsten Demonstrationen zu dem Eindruck größerer künstlerischer Möglichkeiten passen?
"Das frage ich mich auch! Das passierte wie aus dem Nichts, ganz anders als die Demonstrationen vor ein paar Jahren."
Damals 2009, demonstrierte auch Nassim gegen das amtliche Wahlergebnis zugunsten von Mahmud Ahmadinedschad. Das Metallschild mit Namen und Blutgruppe, das damals viele der Demonstranten bei sich trugen, hat er noch immer.

"Aber, dass was ich auf der Bühne sagen will, spiegelt mehr als ein Leben im Iran wieder."
Nassim Soulaimanpour kommt vielleicht aus dem Iran, aber zuhause sind er und sein Theater längst in der ganzen Welt.
"Ich bin ein Wandervogel, der von Ort zu Ort zieht, und überall nach leckeren Körnern pickt."

Das English Theatre in Berlin zeigt das Stück "Nassim" ab dem 12. Januar 2018 mit wechselnden Schauspielern.

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