Städtebau

"Urban villages" ohne Lebensqualität

Die Computerillustration zeigt das zukünftige Luxusviertel "Main Tor" in Frankfurt/Main.
So soll das künftige Frankfurter Luxusviertel "Main Tor" aussehen (hier eine Computerillustration). © dpa / picture alliance / DIC
Von Klaus Englert |
Seit einiger Zeit ist eine Renaissance der Stadt zu beobachten. Einerseits suchen Bewohner dörfliche Zurückgezogenheit, andererseits auch großstädtische Lebenskultur. Der Architekturkritiker Klaus Englert vermisst in Vierteln wie in Frankfurt "Main Tor" allerdings eine Mischung der sozialen Schichten.
Seit einigen Jahren ist eine Renaissance der Stadt zu beobachten. Die Zeit ist vorbei, als junge, gut situierte Familien Ruhe und Abgeschiedenheit in suburbanen Siedlungen gesucht haben. Der neue Trend: Die Vorstädte sterben ab, Innenstädte entwickeln sich zum Wohn- und Lebensmittelpunkt.
Doch entstehen dabei lebendige Viertel? Auf jeden Fall haben Immobilienagenten nicht geschlafen. Sie fördern keineswegs vitale urbane Strukturen, da sie sich immer nur an den gleichen liquiden Käuferschichten orientieren.
Beispielsweise sind in der Frankfurter City, dort, wo die Degussa-Werke abgerissen wurden, Trutzburgen der Wohlhabenden hochgezogen werden. Auch in Berlin entstanden derartige "urban villages" wie "Marthashof". Hier weicht die öffentliche Stadt mehr und mehr der privaten.
Befriedigt werden soll die Sehnsucht nach dörflicher Zurückgezogenheit, aber auch der Wunsch nach großstädtischer Lebenskultur. Die Projektentwickler werben mit Lebensqualität, bieten aber allenfalls Produkte ökonomischen Kalküls. Urbanität ist auf diese Weise nicht entstanden.
Es fehlen die Eigenschaften gewachsener Quartiere: eine gute Mischung von sozialen und ethnischen Schichten, von jüngeren und älteren Menschen, von reichen und bedürftigen Haushalten. Und es herrscht Mangel an Infrastruktur aus Geschäften, öffentlichem Nahverkehr, kommunalem Service und gut gestalteten Plätzen.
Urbanität kann nur gelingen, wenn neben neben modernen auch alte Gebäude stehen
Und vor allem ignorieren die Investoren den Übergang. Urbanität kann nur gelingen, wenn neben modernen auch alte Gebäude stehen, wenn neue Straßenzüge sich mit bestehenden verbinden, wenn zwischendrin Zonen geduldet werden, die Altern und Zerfall, Lücken und Zweckentfremdung vertragen können.
Derartige Orte werden von akademischen Schichten bereitwilliger angenommen als die blitzsauberen Einrichtungen der "urban villages", die nur der eigenen Klientel offen stehen. So herrscht bei Sonnenschein auf den Restaurant-Terrassen "Les Halles" am einstigen Düsseldorfer Güterbahnhof emsiges Treiben, während die angrenzenden "Neuen Düsseldorfer Stadtquartiere" geradezu ausgestorben wirken.
Orte wie "Les Halles" sind aus Leerstand hervorgegangen, ohne Plan und Kalkül aus Nischen entstanden, die von ehemaligen Betreibern und kommunalen Planern zurückgelassen wurden. Den bezwingenden Charme von "Les Halles" bemerkten allerdings auch private developer und ließen sich vom Bahnhofs-Ambiente inspirieren, allerdings für ein benachbartes Projekt, das sie großspurig "New York – The Village" nennen.
Sie wollen wissende Käufer anscheinend mit einer Kopie von "Greenwich Village" ködern, das einst ein Ort lebendiger Gegenkultur war und mittlerweile als Hippie-Nostalgie-Viertel in Manhattan verfällt. Selbst alt-nachempfundene glänzende Klinker können nicht darüber hinwegtäuschen, dass dies mehr Masche ist denn Stadtentwicklung.
Wenigstens ehrlich gibt sich die Immobilienfirma der Deutschen Bahn. Sie plant das beliebte und symbolträchtige "Les Halles" gleich ganz abzureißen. Das lukrative Grundstück bot sie gewinnbringend einem Investor an, der dort einen renditeträchtigen Bürokomplex errichten wird. So hat der ehemalige Güterbahnhof endgültig ausgedient und wird entsorgt.
In den neuen Stadtquartieren aber fügt sich nachbarschaftlich eines zum anderen. Schon jetzt ist Nordrhein-Westfalens Landeshauptstadt ein Eldorado für Office-Bauten und "urban villages."

Dr. Klaus Englert,
Architekturkritiker, schreibt für die "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Und den Hörfunk. Er war Kurator der Ausstellung "Architektenstreit. Brüche und Kontinuitäten beim Wiederaufbau in Düsseldorf" (Stadtmuseum Düsseldorf) und der Wanderausstellung von "Neue Museen in Spanien" und schrieb die Bücher "Jacques Derrida" und "New Museums in Spain".
Mehr zum Thema