Wohnprojekt

Ganz unter sich

Ein Mann geht im April 2012 über einen provisorischen Weg durch die Baustelle des Wohnprojekts Marthashof in der Schwedter Straße in Berlin.
Da war es nur ein Bauprojekt, mittlerweile sind die Bewohner in den Marthashof in der Schwedter Straße in Berlin eingezogen. © picture alliance / dpa
Von Philip Artelt  · 26.02.2014
Abgeschlossene Wohnanlagen sind bislang in Ländern wie Brasilien und Russland üblich. Aber auch in und um Berlin sind Gebiete entstanden, die nicht jeder betreten darf.
Es ist nur eine Tür, die diese vier Leute aufregt. Nur eine Tür. Die Vier, Claudia Hering, Silvia Kollitz, Manuela Martins und Frank Möller, sitzen in einem Café in der Oderberger Straße, Berlin, Prenzlauer Berg. Von hier aus kann man sie nicht sehen, die Tür. Und das ist gut so, denn sonst würden wohl die Emotionen hochkochen.
"Ich war jetzt letzte Woche mit meiner Tochter da und hab gemerkt, dass einige Anwohner die Tür aufstehen lassen und einige Anwohner die Türen zumachen."
Claudia Hering, Kunsthistorikerin, Gründerin der Anliegerinitiative Marthashof. Die Tür, von der sie spricht, versperrt den Zugang zum Hof eines großen Neubaus, zwei Straßen von dem Café entfernt, in dem Hering und die anderen drei Aktivisten sitzen.
Der Marthashof. Schwedter Straße 37 bis 40, im angesagten Bezirk Prenzlauer Berg. Ein Urban Village, ein Dorf in der Stadt. Spannende Architektur, die 130 Wohneinheiten bietet, errichtet durch die Stofanel Investment AG. Wohnungstypen: Garden Houses, Central Houses, Penthouses, Townhouses. Das Versprechen: "Lebensqualität ohne Kompromisse."
Die Stadt genehmigte das Bauprojekt auf einer Brachfläche – im Sanierungsverfahren machte sie aber eine Auflage: Der 3000 Quadratmeter große Platz in der Mitte des Marthashofs muss frei zugänglich bleiben. Doch immer wieder war die Tür geschlossen. Das ist gegen die Abmachung und ärgert die Anwohner. Manuela Martins, Architektin:
"Nun ist die Architektur aber so angelegt mit dem vollverglasten Erdgeschoss, den kleinen Hecken und den privaten Vorgärten, dass den Bewohnern von Marthashof gar nichts anderes übrig bleibt, als ihre Community jetzt abzuschließen, weil sonst jeder in ihr Wohnzimmer spazieren könnte und auch die kleinen Kinder einfach auf die Straße."
Der Investor Stofanel fühlt sich für die Tür nicht mehr verantwortlich: Im Kaufvertrag habe man die neuen Wohnungseigentümer über die Auflage informiert. Jetzt seien Käufer und Hausverwaltung dafür verantwortlich, ob sie die Vereinbarung einhalten – oder nicht.
"Die Tendenz, und das ist der Punkt, ist, dass es eben immer mehr in Richtung Abschottung, Privatisierung, Privatheit geht."
Frank Möller, Musiker und Bürgeraktivist.
"Nichts gegen die unmittelbare Privatheit. Natürlich hat jeder seine Wohnung und schließt die ab. Aber das wollen wir doch nicht fördern. Und was den Marthashof speziell angeht, das ist ja auch ein Stück weit eine Provokation. Man sieht eine Grünfläche, aber man kann sie nicht begehen. Man geht vorbei und denkt: Ach, ist ja schön. Aber ich darf nicht rein. Also wenn man das zugebaut hätte anstatt einen blöden Zaun zu machen, würde das gar nicht so auffallen."
Eine eigentümliche, peinliche Intimität
Schwedter Straße 37. Hier findet sie angeblich statt, die Privatisierung, die schleichende Abschottung der Gesellschaft. Der Marthashof, ein U-förmiger Gebäudekomplex, weiße, kubusförmige Einheiten. Sieht aus wie eine Mischung aus der Grand Arche in Paris und Ikearegalen. Zwischen der Häuserflucht ein Park, ein kleiner Spielplatz, Steinplatten mit Gras dazwischen. Es wirkt steril. Direkt daneben die Terrassen hinter viel zu kleinen Hecken. Dahinter: Der direkte Blick in die Wohnungen. Jeder darf hier stehen, aber es ist ein bisschen so, als stünde man im Wohnzimmer eines Fremden. Eine eigentümliche, peinliche Intimität.
Auf dem Hof toben Kinder, Geburtstagsfeier, ein rosa Luftballon hängt hinter dem massiven Zaun. Eines der Kinder stößt sich den Kopf an der umstrittenen Tür und fängt an zu weinen. Die Bewohner: obere Mittelschicht, gut gekleidet. Spricht man sie an, reagieren sie skeptisch und verschreckt. Die ganze Diskussion um die Tür, die Artikel in der Zeitung, das ist zu viel für Menschen, die einfach in Ruhe hier wohnen wollen. Sie wehren sich gegen den Neid der anderen: „Wir sind hart arbeitende Menschen“, sagen sie, keine Neureichen mit Prunkwohnungen. Und überhaupt, abschotten wollen sie sich nicht, nur manchmal mache "ein Idiot" die Tür zu. Aber die unfreiwillige Aufmerksamkeit werden sie so schnell nicht los. Zum Beispiel die von Lothar Bromm und Helga Mühlbert, die sich gerade Immobilienanzeigen in einem Schaufenster anschauen.
"Ja wir wohnen hier und sind jetzt einfach mal vorbeigekommen. Ich hab das in der Zeitung gelesen, dass es ab und zu zugeschlossen ist und dass die Auflage war, dass es offen sein soll, auch für die Nachbarn. Und jetzt wollte ich einfach mal gucken, ob es jetzt offen oder zu ist. Also ich finde das halt nicht so gut, wenn die Häuser immer zu sind und die Leute sich abschotten. Weil das ist einfach nicht schön."
Und: wie wohnt sie?
"Ganz normales Mietshaus, im 1. Stock. Altbau. Gut, der Hinterhof ist zu, ist ein kleiner Hinterhof. Aber da ist ja sonst nichts."
Helga Mühlbert schleicht um die Tür herum.
"Ich find das auch persönlich hässlich."
Zaghaft, wie ein neugieriges Kind, drückt sie die Klinke.
"Ja, sieht offen aus. Ich gucke mir das jetzt mal an."
Sie verschwindet hinter dem Zaun – allerdings nur für ein paar Sekunden.
"Das ist zu privat, um da reinzugehen. Weil die Gärten alle hier so raus sind, das ist irgendwie zu privat, um das anzugucken."
Sie könnte jetzt einfach so durch die Tür gehen.
"Könnte ich, ja. Aber will ich nicht. Will ich nicht!"
Das Tor ist offen, und trotzdem schottet es den Wohnblock vom Leben auf der Straße ab. "kriminalpräventives Bauen" nennt das der Geographieprofessor Manfred Rolfes von der Uni Potsdam.
"Das funktioniert auch beim Städtebau ganz gut, wenn man jetzt neue Stadtquartiere entwickelt, dass dann neue symbolische Grenzen hergestellt werden, die mitteilen: So, hier fängt jetzt ein Bereich an, in dem du eigentlich nichts zu suchen hast, die intern so aufgebaut sind, dass die soziale Kontrolle groß ist, dass beispielsweise man sehen kann, wer in die Straße reinfährt, dass da Einbahnstraßen-Milieus geschaffen werden, wo man dann zum Beispiel nicht so einfach wieder herausfindet, und da gibt es eine ganze Reihe von Mechanismen architektonischer und sozialer Art, wie man solche geschlossenen Wohnkomplexe auch bauen kann, ohne dass da ein Zaun ist, aber trotzdem der Eindruck entsteht, dass da nicht jeder was zu suchen hat, sondern nur die, die da wohnen."
Der Alptraum der Marthashof-Gegner steht ein paar Kilometer Luftlinie entfernt in einem Villenviertel in Potsdam. Die Arcadia. Hier begnügt man sich nicht mit kriminalpräventivem Bauen und einem Tor, das meistens offen steht. Arcadia. Deutschlands erste Gated Community. Ein Villenkomplex direkt am Wasser der Havel, in einem abgeriegelten Gebiet, der seinen Bewohnern sämtliche Annehmlichkeiten bietet. Vor allem aber bietet Arcadia eines: Sicherheit. Ein berührungsempfindlicher Zaun registriert Einbrecher, ein Portier bewacht das Gelände, 24 Stunden am Tag. Wer Renate Belle in der Arcadia besuchen will, muss sich vorher anmelden.
800 Euro im Monat für das Komplettpaket
Sonst lässt einen der freundliche, alte Portier im Anzug nicht durch das Tor. Hier bemüht man sich nicht, die Abschottung zu verstecken. Renate Belle holt Besucher persönlich am Tor ab. Die kleine, selbstbewusste Rentnerin mit den kurzen Haaren führt durch den Park, vorbei an gestutzten Hecken zu einer beigefarbenen Villa. Hier wohnt sie mit vier anderen Parteien. Ihre Drei-Zimmer-Wohnung ist nicht spektakulär: ein großes Wohnzimmer, Ledersessel, Bilder von Chagall an der Wand. Alles nicht ganz billig, aber auch weit entfernt vom großen Luxus. Renate Belle bietet Tee an und gerät ins Plaudern. Darüber, wie sie früher eine Führungsposition in der Chemiebranche hatte, wie sie als Rentnerin wieder nach Berlin wollte, und wie sie die Arcadia entdeckte.
"Ich kannte das ja gar nicht vorher. Das war ja meine erste Erfahrung, dass es so eine Gated Community gibt. Und hatte auch zuerst in Berlin mich umgeguckt, in Frohnau, wo ich herstamme. Fand aber nichts Geeignetes und ja, ich war ein bisschen überrascht, da ist ein Zaun und so, und dann hab ich gefragt und dann hat man mir das alles erklärt, vor allen Dingen den Service auch, für den wir natürlich bezahlen."
800 Euro im Monat. Dafür bekommt sie ein Komplettpaket: Stellplatz fürs Auto, ein Gärtner, der Portier nimmt die Post entgegen, und wenn Renate Belle verreist, gießt jemand ihre Blumen.
"Also ich hab kein Verständnis dafür, dass Menschen sagen: Die schotten sich ab. Das tun wir nicht. Wir sind kommunikativ, wir besuchen hier das Theater, wir kaufen hier auf dem Markt ein wie jeder normale Sterbliche. Ursprünglich war ja mal geplant, man kann über den Doorman die Brötchen bestellen morgens und dann werden die angeliefert. Ich finde sowas albern. Gerade da will ich ja auch mit Menschen zusammenkommen und kommunizieren beim Einkaufen. Ich lade Leute hier ein regelmäßig und tausche mich aus. Ich vermisse überhaupt nichts durch diese Umzäunung."
Als "luxuriöses Altersheim" bezeichnet Belle die Anlage scherzhaft. Neben den Annehmlichkeiten im Alltag schätzt sie eine Eigenschaft der Gated Community besonders: die Sicherheit. Früher wurde bei ihr mehrmals eingebrochen, die Sorge hat sie jetzt nicht mehr.
"Es war natürlich auch ein Verkaufsargument: die Sicherheit. Denn wir haben ja hier ich weiß nicht wie viele, zehn oder zwölf Videokameras rund ums Gelände und der Doorman hat vorne seine Bildschirme und kann das alles ausleuchten, auch nachts. Und das gibt einem schon das Gefühl von Sicherheit. Ich meine, ich gehe einkaufen und lasse hier die Terrassentür offen. Problemlos. Das können Sie wo anders nicht machen."
Die Arcadia war Ende der 90er mit dem Versprechen von Sicherheit angetreten. Aber Deutschlands erste Gated Community floppte. Die Villen hinter dem massiven Zaun standen lange Zeit leer. Am Ende senkten die Eigentümer die Preise.
"So, das war der Verkaufsprospekt mit den hohen Preisen. Nur um Ihnen mal eine Hausnummer zu nennen: Diese Wohnung hier, meine Wohnung mit den 129 Quadratmetern, sollte 1,8 Millionen D-Mark kosten. 900.000 Euro. Das war ein stolzer Preis. Als ich mich interessierte dafür, waren die Wohnungen auf 50 Prozent reduziert."
"Es gab eine starke Kritik an Arcadia, dass es Luxuswohnen ist, was so tut, als ob es nötig sei, sich von unsicherer Bevölkerung abzugrenzen."
Der Geograph Manfred Rolfes.
"Und das ist kein Verkaufsargument gewesen. Ich glaube, Arcadia hat jetzt sich verkaufen lassen, weil es eben ein Rundum-Sorglos-Paket für die Bewohner anbietet, was auch Sicherheitsdienste einschließt, aber auch viele Hausmeisterdienste. Und das ist eben das, weshalb die Leute da hingezogen sind. Aber nicht, weil sie sich abgrenzen müssen von einer bedrohlichen Gesellschaft, die ihnen an ihre Eigentümer möchte. Das ist nicht nötig in Deutschland. Das ist zumindest nicht nötig gewesen in Potsdam."
Wohnen mit Doorman und exklusivem Service
Der Beweis dafür, dass das Sicherheitsargument in Deutschland nicht zieht, steht im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg, nur ein paar Minuten vom Marthashof entfernt. Die Prenzlauer Gärten. Neubauwohnungen im Stil von Altbauten. 60 Town Houses mit Garagen, dazu Penthouses und Appartments. Paradiesisches Wohnen mit Doorman und exklusivem Service. Das Gebiet liegt hinter einem Zaun. An der Einfahrt steht ein Wachhäuschen, wie man es vor einer Bundeswehrkaserne erwarten würde.
Die schneeweißen Klötzchenhäuser entlang der Privatstraße erinnern an Einfamilien-Reihenhäuser in England. "Town Houses" nennt die Immobilienbranche das Konzept, das bei Investoren angesagt ist. Eines dieser Häuschen gehört Guntram Sprenger. Der 60-jährige Besitzer einer Autowerkstatt spielt gerade Ball mit seiner französischen Dogge auf der Grünfläche vor seinem Haus.
"Ich war hier so in dem Gebiet, weil das abgerissen wurde. Für die Werkstatt habe ich da ein paar Pflanzen gesucht. Und dann hab ich gesehen, dass da was los ist und bin dann hin und dann, naja, sind wir Nachmittag dann hin und haben die Sache angeguckt und dann schon das Haus da reserviert. Ich war der erste, der einen Kaufvertrag hier abgeschlossen hat."
Sprenger wirkt bieder, freundlich, nicht wie ein Neureicher, der sich hier vor den Gefahren der Außenwelt schützen will. Er zog aus einem Plattenbau hier her, wollte einfach nur ein eigenes Haus mit Garage, nahe der Innenstadt. Das Rolltor und die Wachhütte waren ihm egal.
"Es war ja auch geplant im Prinzip vom Architekten und so, diese Wohnanlage durch einen Doorman bewachen zu lassen. Und deshalb stehen auch diese Häuser da, das eine Haus. Das andere Haus ist ein Müllhaus, eigentlich. Aber die ganze Geschichte rechnet sich hier nicht. Der Aufwand wäre viel zu hoch gewesen, die Sache zu bezahlen. Also wir brauchen hier keine 24-Stunden-Bewachung. Im Prinzip, wir als Eigentümergesellschaft haben diese Sache dann gekippt."
Jetzt ist das Wachhaus verlassen, das Rolltor geht morgens automatisch auf und abends um 10 Uhr wieder zu. Dazwischen kann jeder auf das Gelände, das einst als exklusives sicheres Wohngebiet geplant war.
Sicheres Wohnen verkauft sich dort besonders gut, wo die Mittelschicht Angst vor hoher Kriminalität hat: Die Gated Communities in Südafrika, die Condominhos in Brasilien, jeder, der es sich leisten kann, lebt unter Verschluss.
Aber auch in sicheren Gegenden boomt das Geschäft mit der Angst: In Kalifornien ist nach Angaben von Stadtforschern die Hälfte aller Neubauten „gated“. Und in der Region um Paris entstehen jedes Jahr gleich mehrere sogenannte Ensembles Résidentielles Fermés. Warum funktioniert das Konzept in Deutschland nicht? Manfred Rolfes:
"Wenn wir jetzt, sagen wir mal, die Bild-Zeitung dazu bringen würden, dass sie jeden Tag darüber berichtet, dass die Zahl der Wohnungseinbrüche steigt und das dann von Monitor aufgegriffen wird und dann jeden Abend in der Tagesschau kommt und dann wieder ein Polizeipräsident gehen muss, weil er die Wohnungseinbrüche in seiner Stadt nicht in den Griff bekommt, obwohl die Zahlen sich eigentlich kaum ändern, da kriegt man dann natürlich supergut das hin, dass sowas wie Arcadia massenhaft sprießt und alle denken, sie müssen sich abschotten."
Bis auf ein paar wenige Gated Communities in Leipzig, Aachen und Münster findet die Abgrenzung in Deutschland unterschwelliger statt: In halboffenen Neubau-Projekten kann man sich seine Nachbarschaft aussuchen, sagt der Stadtsoziologe Andrej Holm von der Humboldt-Uni Berlin.
"Das Zurückziehen in die Lebensstil-Enklaven, die wir faktisch beobachten, im Marthashof, aber auch in anderen Bereichen, funktioniert ja nicht über die aktive Abgrenzung, dass man sagt: Ich will nicht mit Arbeitslosen zusammen wohnen oder ich möchte keine türkischen Nachbarn haben. Das sagt heute niemand mehr. Sondern es wird durch eine positive Formulierung einer gewünschten Nachbarschaft hergestellt."
"Positive Formulierung einer Nachbarschaft": Sowas wie der Wunschnachbar aus dem Katalog? Nie Streit um die Mülltonne oder den Rasenmäher? Oder das Grillfest auf der Terrasse? Für viele ein Wunschtraum – und hier, in der „Lebensstil-Enklave“, soll dieser Traum in Erfüllung gehen? Die Bewohner genießen das Stadtleben in kleinen Dosen. Im pulsierenden Berlin, da, wo früher die Mauer stand und in den vergangenen Jahren Aufbruchsstimmung herrschte. Wo heute Straßenkünstler spielen und Hipster in Boutiquen einkaufen. Wem das bunte Leben zu viel wird, der geht durch das Tor in sein Urban Village, das Dorf in der Stadt.
Die sozialen Grenzen sind überall
"Wenn wir einfach über die Sozialstrukturen davon ausgehen, dass in Wohnanlagen wie dem Marthashof eigentlich die Erfolgreichen wohnen, dass da eigentlich die wohnen, die wesentlich zur gesellschaftlichen, intellektuellen Entwicklung der Stadt beitragen, dann wird es gefährlich. Wenn wir feststellen, die bewegen sich eigentlich nur noch in einem Zirkel von ähnlichen Erfahrungen. Vielleicht sind es die Journalisten, die über die Städte schreiben. Vielleicht sind es auch die Planer und Investoren, die die nächsten Siedlungen in der Stadt planen. Also viele von denen wissen schon, dass es Arbeitslose gibt. Aber ich glaube, dass es tatsächlich ein Unterschied ist, ob man so eine Alltagserfahrung, eine Konfrontation mit anderen sozialen Realitäten hat oder nicht."
Beim Widerstand der Anwohner gegen den Marthashof geht es nicht nur um eine geschlossene Tür: Es ist ein Kampf um die Stadt, die immer mehr privatisiert wird. eine Stadt, in der Ausgrenzung Alltag ist. Düstere Zukunftsvision - oder vielleicht schon Wirklichkeit? Der Geograph Manfred Rolfes:
"Wenn ich mir jetzt etablierte deutsche Einfamilienhaussiedlungen anschaue, mit Einbahnstraßen, mit symbolischen Grenzen, wo dann eine andere Pflasterung anfängt, wo dann auch bauliche Grenzen angedeutet sind, und dann sowas wie Arcadia in Potsdam oder eine Gated Community mit richtigem Tor, dann ist wirklich der einzige Unterschied, den ich sehe, diese technischen Differenzen der Abgrenzung."
Ob mit Tor und Wachmann oder ohne: Die sozialen Grenzen sind also überall. Aber sind sie wirklich nicht zu überwinden? Claudia Hering, Anliegerinitiative Marthashof.
"Ich würde mich freuen, wenn Marthashof einfach mal ein großes Fest machen würde und mal alle einlädt. Einfach die Leute da mal zeigen, wir wohnen jetzt hier. Einfach mal locker werden."
"Ja, wir haben alle nichts gegen die! Da geht es doch überhaupt nicht drum. Es geht doch um ein Miteinander."
Das große Miteinander, die Stadt als Schmelztiegel, in dem wir uns alle treffen, und gegenseitig erleben. Das wollen wir doch alle - oder etwa nicht? Stadtsoziologe Holm.
"Die Frage, die damit verbunden ist: Welchen Wert hat diese Mischung? Ist damit irgendein soziales Problem gelöst? Ist unser Leben etwa angenehmer, wenn wir in gemischten Nachbarschaften leben? Und dann wird man relativ schnell darauf kommen, dass soziale Mischung, dass eine Mischung verschiedener Kulturen natürlich auch immer Konfliktstoff birgt. Dass es nicht heißt, dass der planerische Idealzustand der gemischten Stadt ein konfliktfreier wäre."
Und der Marthashof-Investor Stofanel? Der baut gerade sein nächstes Projekt. Fünf Morgen Dahlem Urban Village. 100 Wohneinheiten im Südwesten von Berlin, malerisch gelegen an einem künstlichen See.
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