Sofia Coppola über "Die Verführten"

Von den ewigen Spannungen zwischen Frau und Mann

US-Regisseurin Sofia Coppola
US-Regisseurin Sofia Coppola hat das Buch "die Verführten" neu verfilmt © Quentin Veuillet / Wostok Press / dpa
Moderation: Ute Welty · 29.06.2017
"Mich interessiert das Geheimnis zwischen Frauen und Männern", sagt Sofia Coppola über ihre Verfilmung des Romanstoffs "Die Verführten". Sie wolle starke weibliche Figuren erschaffen, meint die Regisseurin. Sie möge es aber nicht, in bestimmte Schubladen gesteckt zu werden.
Für ihre Verfilmung von "The Beguiled" nach dem Roman von Thomas P. Cullinan wurde Sofia Coppola bei den Filmfestspielen in Cannes mit dem Preis für die beste Regie ausgezeichnet. Er spielt während des amerikanischen Bürgerkriegs: Eine Gruppe von jungen Frauen pflegt einen verwundeten Soldaten - die Anwesenheit eines Mannes führt zu sexuellen Spannungen und stellt die Frauengemeinschaft auf die Probe.
"Mich interessiert das Geheimnis zwischen Frauen und Männern", beschreibt Sofia Coppola im Deutschlandfunk Kultur ihre Zuwendung zu diesem Stoff. In der ersten Verfilmung aus dem Jahr 1971 von Don Siegel wurde die Geschichte nur aus der Sicht des Mannes erzählt. Sie habe jetzt die Perspektive gewechselt und dabei auch die ursprünglichen Facetten des Buches wieder entdeckt, beschreibt die amerikanische Regisseurin:
"Und ich dachte mir, ich würde gerne diese Geschichte umdrehen und sie aus der weiblichen Sicht erzählen: Wie diese Frauen den männlichen Körper entdecken. Ich war dann sehr erstaunt, als ich die literarische Vorlage zur Hand nahm und las, dass das Buch auch aus der weiblichen Sicht erzählt. Das hat mich motiviert; und die Tatsache, dass 45 Jahre seit dem ersten Film lange genug sind, um sich wieder an den Stoff zu wagen."
In Coppolas Filmen stehen oft Menschen im Mittelpunkt, die auf ihre Einsamkeit zurückgeworfen sind. Sie suche nicht gezielt nach solchen Stoffen, meint Coppola - aber manchmal ergebe sich das einfach:
"Ich kann nicht sagen, dass ich das bewusst suche. Aber nach den Dreharbeiten sehe ich natürlich, dass es am Ende doch wieder der Goldene Käfig geworden ist. Mich interessiert die Frage, wie sich vor allem Frauen eine eigene Identität in einer Umwelt aufbauen, die sie sich nicht selber ausgesucht haben. Die manchmal schön und luxuriös ist, die sie aber dennoch in Haft nimmt."
Sieht Sofia Coppola sich als feministische Filmemacherin?
"Ich mag es nicht, in Schubladen gesteckt zu werden. Aber wenn das bedeutet, dass ich an Gleichberechtigung glaube und starke weibliche Figuren erschaffen möchte, dann ja."

Das Interview im Wortlaut:

Patrick Wellinski: Woher kam eigentlich das Interesse, einen bereits verfilmten Stoff wieder neu zu interpretieren?
Sofia Coppola: Mein Szenenbildnerin Anne Ross hat mir den Don Siegel-Film von 1971 mit Clint Eastwood in der Hauptrolle empfohlen. Ich hab mir "Die Verführten" daraufhin angesehen und fand es sehr seltsam, wie da die Geschichte einer Frauengemeinschaft komplett aus der Sicht eines einzigen Mannes erzählt wurde.
Und ich dachte mir, ich würde gerne diese Geschichte umdrehen und sie aus der weiblichen Sicht erzählen, wie diese Frauen den männlichen Körper entdecken. Ich war dann sehr erstaunt, als ich die literarische Vorlage zur Hand nahm und las, dass das Buch auch aus der weiblichen Sicht erzählt. Das hat mich motiviert; und die Tatsache, dass 45 Jahre seit dem ersten Film lange genug sind, um sich wieder an den Stoff zu wagen.
Wellinski Sie verschieben nicht nur die Perspektive des Films, ich hatte auch den Eindruck, dass Sie die männliche Figur neu angelegt haben. War Clint Eastwood noch ein Macho, der wusste, wie er auf Frauen wirkt, ist Colin Farrell bei ihnen anfangs doch noch recht fragil, sanft und ruhig?
Coppola: In Don Siegels Film ist es ja auch so, dass Clint Eastwoods Figur von vornherein als negative – fast schon böse – Figur gezeichnet wird. Man weiß sofort, dass er der "Bad Guy" ist. Das konnte ich so nicht kopieren. Da ich die Sicht dieser Frauengruppe zeige, muss der verwundete Soldat viel ambivalenter gezeichnet werden.
Sie wissen zu Beginn nicht, ob sie ihm trauen können. Und später schlägt diese Faszination um in Dominanz und schließlich Angst. In diesen Momenten ändert sich auch der Soldat, der zunehmend manipulativer auftritt. Schließlich kämpft er ums Überleben.

Zentral ist die Geschichte der isolierten Frauen

Wellinski: Der Film spielt während des Amerikanischen Bürgerkriegs. Aber das Kriegsgeschehen an sich verbannen Sie von der Leinwand. Irgendwo ganz weit weg hört man Kanonenfeuer und Schusswechsel. Warum war Ihnen das wichtig?
Coppola: Für mich ist das die Geschichte über diese isolierten Frauen während des Krieges und weniger über den Krieg an sich. Ich wollte ihn dennoch als Hintergrundrauschen in meinen Film einweben und so die Atmosphäre des Krieges spüren lassen. Man sieht auch den Rauch, hört die Schüsse, aber das sollte nicht vom Fokus der Geschichte ablenken, sondern das Eingesperrt-Sein der Frauen noch intensiver erfahrbar zu machen.
Wellinski: Das geht ja dann soweit, dass Sie die Figur einer Sklavin, die es im Buch wie auch im Don Siegel-Film gibt, herausgestrichen haben. Die Sklaverei als ein Kriegsgrund spielt jetzt in "Die Verführten" keine Rolle mehr.
Coppola: Das stimmt. Aber diese Sklaven-Figur ist im Buch und auch im Film ein furchtbares Stereotyp. So eine Figurenzeichnung lehne ich ab. So kann man einen Sklaven heute nicht mehr zeigen. Wenn ich diese Figur benutzt hätte, dann hätte ich diese problematische Haltung thematisieren müssen, doch das wäre dann ein ganz anderer Film geworden.
Ich wollte mich auf den Geschlechterkampf fokussieren und nicht auf das US-Rassenproblem, das zu wichtig ist, als das man es locker auf die Leinwand bringen könnte.
Filmstill mit Schauspielerin Nicole Kidman in Sofia Coppolas Film "The Beguiled".
Nicole Kidman spielt eine der Hauptrollen in Sofia Coppolas Film "The Beguiled" ("Die Verführten")© imago/ZUMA Press/Entertainment Pictures

Verbindungen zwischen "Die Verführten" und dem Debüt "The Virgin Suicides"

Wellinski: Dieser begrenzte Blick auf eine Frauengemeinschaft, die von der Außenwelt abgesperrt ist, das ist ein Motiv, das sie bereits in Ihrem Debütfilm "The Virgin Suicides", in dem es um Teenagerinnen geht, die von ihren Eltern eingesperrt werden, thematisiert haben. Ist "Die Verführten" in gewisser Hinsicht eine Fortführung Ihres Debüts?
Coppola: Ja, das stimmt. Als ich Don Siegels Film zu ersten Mal sah, erinnerte mich die Ausgangslange der Geschichte sehr an "The Virgin Suicides". Und es hat mich schon gereizt, dieses Thema ästhetisch erneut aufzugreifen, doch vielleicht mit einem etwas erwachseneren Ansatz. Schließlich ging es in meinem Debüt ausschließlich um Teenager.
In "Die Verführten" haben wir Frauen aus allen Altersschichten dabei, die alle an einem anderen Punkt ihrer Entwicklung sind. Es gibt also eine Verbindungslinie zwischen diesen beiden Filmen. Mich interessiert das Geheimnis zwischen Männern und Frauen, diese ewigen Fragen, die daraus resultieren.
Und erst neulich hat mich der Schriftsteller Jeffrey Eugenides, der ja die Vorlage von "The Virgin Suicides" verfasste, darauf angesprochen, wie sehr er von Don Siegels Film als Jugendlicher geprägt wurde. Auch das zeigt doch, wie eng meine Filme zusammengehören.

Eine stilvolle Villa als Hintergrund des Beziehungsdramas

Wellinski: Neben dieser Frauengruppe und dem verletzten Soldaten spielt die Villa, in der sich die gesamte Handlung abspielt, eine wichtige Rolle. Sie bietet eine sehr stilvolle Bühne für das Drama, aber sie filmen es auch sehr bewusst. Dieses Haus lädt sich atmosphärisch auf, man könnte es den Sofia Coppola-Touch nennen?
Coppola: Die Atmosphäre eines Films ist mir immer sehr wichtig. Das ist richtig. Und das Haus musste das alles fast allein stemmen: Die Villa musste den ganzen vergangenen Glanz einer untergegangen Ära zeigen. Ein Ort, an dem früher rauschende Partys gefeiert wurden, der jetzt ein isoliertes Refugium für ein paar Frauen ist.
Die Natur wuchert bereits an jeder Ecke. Pflanzen und Moos kriechen über die Giebel und Wände. Und dann das Licht! Ich wollte, dass der Look des Films Pastell-Töne hat und sehr feminin und zart wirkt und auch etwas Harmloses hat, das sich aber dann im Verlauf der Geschichte ändert.

Der "Goldene Käfig" als Thema vieler Filme Coppolas

Wellinski: Das ist ja auch ein Goldener Käfig. Das zieht sich durch alle ihre Filme. Menschen in Hotels, in Villen oder Palästen, die auf ihre Einsamkeit zurückgeworfen werden. Suchen Sie diese Orte bewusst oder kommen sie zu Ihnen?
Coppola Ich kann nicht sagen, dass ich das bewusst suche. Aber nach den Dreharbeiten sehe ich natürlich, dass das am Ende doch wieder der Goldene Käfig geworden ist, wie Sie sagen. Mich interessiert die Frage, wie sich vor allem Frauen eine eigene Identität in einer Umwelt aufbauen, die sie sich nicht selber ausgesucht haben. Die manchmal schön und luxuriös ist, die sie aber dennoch in Haft nimmt.
Wellinski: Ist der Goldene Käfig vielleicht auch eine autobiographische Erfahrung, die Sie auf der Leinwand aufarbeiten?
Coppola: Nein, nein. Aber ich kann natürlich gewisse Dinge nachvollziehen. Ich bin privilegiert aufgewachsen, deshalb kenne ich dieses Grundgefühl und habe erfahren, was die Gesellschaft von Frauen erwartet.

Aufwachsen in der Künstlerfamilie Coppola

Wellinski: Wie hat Sie denn das Aufwachsen in einer Künstlerfamilie geprägt?
Coppola: Ich wurde immer ermutigt, mich zu entfalten und auch auszuprobieren, denn ich hatte das Glück, in einem künstlerischen Umfeld aufzuwachsen. Als ich jünger war, habe ich mich zum Beispiel sehr für Mode interessiert und wollte unbedingt etwas machen, das noch niemand in meiner Familie macht.
Dann bin ich aber zur Kunstschule gegangen, weil ich Malerin werden wollte. Aber da fehlte mir dann doch das Talent dazu. Also begann ich mich für Fotografie zu interessieren und drehte meinen ersten Kurzfilm.
Und das war der Moment, in dem ich merkte, dass ich mich im Medium Film am besten ausdrücken kann, weil alle meine Interessen wie Mode, Musik, Fotografie hier eine Rolle spielen. Außerdem konnte ich auch Geschichten erzählen, die mir selbst im Kino gefehlt haben. Also endlich mal Geschichten mit Frauenfiguren im Mittelpunkt. Das ist etwas, das ich damals im Kino kaum gesehen habe.
Wellinski: Würden Sie sich denn als feministische Filmemacherin bezeichnen?
Coppola: Ich mag es nicht, in Schubladen gesteckt zu werden. Aber wenn das bedeutet, dass ich an Gleichberechtigung glaube und starke weibliche Figuren erschaffen möchte, dann ja.

"Die Verführten"
USA 2017. Regie: Sofia Coppola
mit Colin Farrell, Elle Fanning, Kirsten Dunst
Länge: 93 Minuten, FSK ab 12

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