Sexismus im Literaturbetrieb

Die subtile Machtausübung der Männer

In Dresden auf dem Neumarkt trägt eine Frau auf einer Veranstaltung auf dem Ruecken ein symbolisches Bild gegen sexuelle Belästigung oder sexuelle Uebergriffe
Auch die kleineren Formen der Rücksichtslosigkeit und der Geringschätzung von Frauen sollten beachtet werden, findet die Schriftstellerin Tanja Dückers. © picture alliance / dpa / Rainer Oettel
Von Tanja Dückers · 24.05.2018
In der #MeToo-Debatte haben sich vor allem Schauspielerinnen zu Wort gemeldet. Von Künstlerinnen anderer Disziplinen war wenig zu hören. Dabei sind auch im Literaturbetrieb Männer mit deutlich mehr Macht ausgestattet als Frauen, sagt Tanja Dückers.
Auf den ersten Blick könnte man meinen, es sei schon vieles erreicht. Heute publizieren mehr Schriftstellerinnen als je zuvor. Doch die Zeiten, in denen männliche Literaturkritiker erstaunt zur Kenntnis nahmen, dass eine ganze Reihe jüngerer Autorinnen in namhaften Verlagen veröffentlichten durften, sind nicht lange her. Ihre Verwunderung über die gewachsene Zahl an guten und erfolgreichen Autorinnen brachten sie um die Jahrtausendwende mit dem Begriff "Fräuleinwunder" zum Ausdruck. Vom "Männleinwunder" hat man angesichts der vielen ebenfalls sehr jungen erfolgreichen Autoren nie gehört.

Strukturen wie im 19. Jahrhundert

Es gibt natürlich Fälle, in denen Schriftstellerinnen sexuell belästigt wurden. Die Autorin dieses Beitrags erinnert sich an beleidigte Verleger und gekränkte Lesungsveranstalter, aber im Literaturbetrieb läuft vieles subtiler ab.
In dem Orchideenfach unter den künstlerischen Disziplinen, das von der medialen Aufmerksamkeit und den monetären Umsätzen nicht mithalten kann mit der Welt der Schauspielerei, der Malerei oder der Fotografie, herrschen vielfach noch patriarchale Strukturen wie im 19. Jahrhundert. Führende Literaturkritiker – nie wurde bisher eine Frau auf diesem Gebiet wirklich berühmt – können unwidersprochen die Meinung äußern, dass Frauen die lange epische Form, der Roman, nicht läge, stattdessen könnten sie aber "hinreißende Kurzgeschichten" schreiben. Am ehesten seien sie doch auf dem Gebiet der Liebesgeschichte oder des Familienromans zuhause.

Menstruationsprosa und schöne Kleider

Bei Romanen mit gesellschaftspolitischem Anspruch heißt es schnell, die Autorin habe sich "verhoben". Bei den männlichen Kollegen wird dagegen die "Welthaltigkeit" und der "Mut ein schwieriges Thema zu bearbeiten" gelobt. Beliebt ist auch die Herabwürdigung einer Autorin durch Lob: Da beginnt die Rezension nicht mit einem Satz über das Buch, sondern über das schöne Kleid oder den interessanten Lidstrich. Da wird einer Autorin gesagt, die Besprechung ihres neuesten Werks sei nur deshalb so gut ausgefallen, weil sich der Rezensent in das Foto der Autorin auf dem Buchrücken verliebt habe - anders sei die gute Kritik nicht zu erklären.
Bei der Verleihung eines Förderpreises an eine Autorin sagt der verblüffte Laudator: "Solch eine raffinierte, intelligente und düstere Geschichte von einer Frau?" Endlose Abhandlungen über Potenz- und Prostataprobleme gelten jedes Jahr als nobelpreisverdächtig, wenn Autorinnen übers Kinderkriegen oder ihren Körper schreiben, wird dies schnell als "Menstruationsprosa" abgetan.

Verheerende Statistik

Die unterschiedliche Stellung von Frauen und Männern im Literaturbetrieb findet sich auch in Zahlen wieder: Schriftsteller verdienen mehr als Schriftstellerinnen. Nach einer Statistik der Künstlersozialkasse liegt das Jahresdurchschnittseinkommen für Autoren bei rund 9.500 Euro, für Autorinnen bei 4.600 Euro – schreibende Frauen verdienen demnach durchschnittlich fast 5.000 Euro weniger als ihre männlichen Kollegen. Diese Kluft hat auch Folgen für die soziale Lage der Schriftstellerinnen: für die Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung.
Karin Graf, Leiterin einer der größten Literaturagenturen, der Agentur Graf & Graf, räumt unumwunden ein, dass Verlage ihr für die Manuskripte von Schriftstellerinnen weniger Geld anbieten als für diejenigen von männlichen Kollegen. Auch meint sie, dass nachgewiesenermaßen Autoren eher ins Hardcover kommen als Autorinnen. Und selbstverständlich gibt es nach wie vor ein eklatantes Missverhältnis, was den Erhalt von großen Literaturpreisen angeht. "Bekommt eine Frau eine wichtige Auszeichnung zuerkannt", sagt die Schriftstellerin Ruth Klüger, "wird das immer noch mit Ausrufezeichen versehen."
Es ist schlimm, wenn Frauen, egal in welcher Branche, sexuell belästigt, gar vergewaltigt werden. Keine Frage. Aber auch die kleineren Formen des Sich-Breit-Machens, der Rücksichtslosigkeit und der Geringschätzung von Frauen sollten Beachtung finden.

Tanja Dückers, geboren 1968 in Berlin (West), Schriftstellerin, Publizistin, Literaturwissenschaftlerin. Zu ihren Werken zählen u. A. die Romane "Himmelskörper", "Der Längste Tag des Jahres", "Spielzone" und "Hausers Zimmer", der Essayband "Morgen nach Utopia" sowie mehrere Lyrikbände und Kinderbücher. Zuletzt erschien der autobiografisch gefärbte Rückblick "Mein altes West-Berlin". Tanja Dückers schreibt regelmäßig über gesellschaftspolitische Themen für die ZEIT Online und das Deutschlandradio. Leitung von Schreibwerkstätten im In- und Ausland, u. A. in Belarus, Indien, Kenia und den USA. Sie lebt mit ihrer Familie in Berlin.

© Anton Landgraf
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