Rolf Peter Sieferle und sein "Finis Germania"

Eine "fahrlässige und hysterische" Debatte

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Der deutsche Philosoph und Schriftsteller Rüdiger Safranski © picture alliance / dpa / Patrick Seeger
Rüdiger Safranski im Gespräch mit Joachim Scholl · 25.06.2017
Die Schrift "Finis Germania" von Rolf Peter Sieferle hat eine Phalanx von Kritikern auf den Plan gerufen. Der Literaturwissenschaftler Rüdiger Safranski verteidigt den Autor, auch wenn er dessen Positionen nicht teilt - und kritisiert die Kritiker scharf.
Da hatte das Feuilleton einen handfesten Skandfal: Ein Redakteur des Spiegels hatte ein rechtslastiges Buch auf die von einer gemeinsamen Jury zusammengestellte NDR-Bestenliste "Sachbücher des Monats" befördert. Neben seriösen Publikationen war da auch Rolf Peter Sieferles Essayband "Finis Germania" gelandet, eine Ansammlung von Glossen und Polemiken. Erschienen war es bei Antaios, einem Verlag, der mit seinen Veröffentlichungen gezielt das Publikum der Neuen Rechten anspricht.
Er teile die Positionen von Sieferle nicht, betonte der Literaturwissenschaftler Rüdiger Safranski im Deutschlandfunk Kultur. Doch in den öffentlichen Debatten über den verstorbenen Historiker und dessen Buch "Finis Germania" zeige sich "eine Hysterie und eine Unsorgfalt im Umgehen mit politischen Positionen, die einem nicht genehm sind", kritisierte er.
Als Beispiel nannte er, dass Sieferle in die Nähe von Holocaust-Leugnern gerückt würde. Dies sei auf eine "schlampige" und "fahrlässige" Lektüre zurückzuführen, denn bei Sieferle sei vom "Auschwitz-Mythos" die Rede.

Das Genre missachtet

"Im Kern geht es um diese Singularität, dass dieses Auschwitz nicht zu vergleichen ist mit anderen gigantischen Verbrechen des 20. Jahrhunderts, gewissermaßen ein Alleinstellungsmerkmal dieses Großverbrechens", so Safranski. Diese Vorstellung werde von Sieferle dahingehend kritisiert, dass das 20. Jahrhundert voll von Großverbrechen war. "Da kann man dann darüber streiten, man kann aber nicht sagen, hier ist eine rechtsextreme Position, die Auschwitz leugnet."
In ihrem politischen Eifer hätten die Juroren nicht bemerkt, dass das Genre von Sieferles Schrift die "Nachtgedanken" sei: "Da gab es im frühen 17. Jahrhundert den Edward Young, der die Nachtgedanken als literarisches Genre etabliert hat, bis hin zu Heine, 'Denk ich an Deutschland in der Nacht'", so Safranski. "Nachtgedanken, das sind Nachtgedanken, sehr pessimistisch, sehr melancholisch. Sie sind auch zum Teil glanzvoll formuliert."
(uko)

Das Interview im Wortlaut:
Joachim Scholl: Niemand hätte sich wohl um dieses Buch groß gekümmert, wenn es nicht auf einer angesehenen Sachbuch-Bestenliste aufgetaucht wäre: "Finis Germania", Essays, Fragmente, Miszellen aus dem Nachlass des im letzten Jahr verstorbenen Historikers Rolf Peter Sieferle.
Erschienen im Verlag des stramm rechts stehenden politischen Aktivisten Götz Kubitschek, enthalten die Texte entsprechende Passagen über Deutschland, den Holocaust, im Wortsinn: fragwürdige Stellen, die eine hitzige öffentliche Debatte entfacht haben.
Mehrfach haben wir hier im Programm von Deutschlandfunk Kultur darüber berichtet, reflektiert, prominente Publizisten wie Gustav Seibt oder der Politologe Herfried Münkler kamen zu Wort. Und wir wollen jetzt die Meinung von Rüdiger Safranski hören. Der Literaturwissenschaftler, Schriftsteller, Nietzsche-, Heidegger-, Goethe-Biograf ist am Telefon, ich grüße Sie!
Rüdiger Safranski: Ja, ich grüße Sie auch!

Safranski: Das Buch wird auf skandalöse Weise skandalisiert

Scholl: Ist dieses Buch, Herr Safranski, nun tatsächlich ein Skandal oder wird es nur skandalisiert?
Safranski: Nein, es wird nur skandalisiert. Es wird aber allerdings auch auf eine Weise skandalisiert, die ich selber wiederum als Skandal empfinde. Man hat ja dem Buch vorgeworfen, über das man ja auch viel Kritisches sagen kann natürlich, wie über jedes Buch, man hat ihm vorgeworfen eigentlich, es sei rechtsradikal. Herr Münkler hat ja sogar von Strafwürdigkeit gesprochen.
Ich finde das fahrlässig und hysterisch, muss ich sagen. Ein Beispiel: Es wird auch immer gerne zitiert - Auschwitz-Mythos. Nun, die fahrlässige und schlampige Lektüre macht daraus, dass es nah dran ist an der Auschwitz-Leugnung. Es wird nicht begriffen, das sagt ja der Autor hier ganz deutlich, dass … Dieses Ereignis wird nicht geleugnet, es wird aber verbunden mit vor allem pädagogischen Mythen. Es wird ein Mythos daraus gemacht. Das heißt nicht, es wird geleugnet.
Das ist einfach ein Vorgang, der irgendwie ganz selbstverständlich in der politischen Kultur ist: Wir haben die Währungsreform gehabt, ein historisches Ereignis, und das ist zugleich ein Mythos der Begründung der Bundesrepublik. Oder ein harmloses Beispiel: Das Wunder von Bern, Fußballweltmeister für 1954, es wird daraus ein Mythos gemacht in einem ganz bestimmten Sinne. Man müsste … Dieses Missverständnis darf sich ja gar nicht einschleichen, dass damit das Ereignis selbst geleugnet wird.

Sieferle geht es um die Frage der Singularität von Auschwitz

Jetzt ist nur die Frage - darüber kann man jetzt streiten -: Welche Art Wahrheit wird damit verknüpft? Da hat Sieferle in seinem Text eine bestimmte Position entwickelt, über die kann man sich also dann natürlich auch streiten.
Im Kern geht es um diese Singularität, dass dieses Auschwitz nicht zu vergleichen ist mit anderen gigantischen Verbrechen des 20. Jahrhunderts, gewissermaßen ein Alleinstellungsmerkmal dieses Großverbrechens… Wird kritisiert im Hinblick darauf, dass dieses 20. Jahrhundert so voll von den Großverbrechen war. Also, da kann man dann darüber streiten, man kann aber nicht sagen, hier ist eine rechtsextreme Position, die Auschwitz leugnet.
Also, so was, muss ich sagen, erregt mich, selbst wenn ich die Positionen von Sieferle nicht teile. Ich finde darin auch eine Hysterie und eine Unsorgfalt im Umgehen mit politischen Positionen, die einem nicht genehm sind.

Jüdisches Selbstverständnis als "auserwähltes Volk"

Scholl: Aber sagen Sie, Herr Safranski, der Ton macht ja dann oft die Musik bei solchen Büchern, bei solchen Texten, bei solchen Überlegungen. Und da findet man bei Sieferle ja doch Wendungen wie: Die ominösen sechs Millionen ermordeter Juden, die Gräuel, die ihnen widerfahren seien, also das Verbrechen als Schicksal, oder eine, wie ich finde, einfach schaurig klingende Analogie vom Mord an Christus und dem Mord an den Juden.
Das ist eine Position, wie sie Gustav Seibt und Herfried Münkler einfach als intellektuell unredlich eingestuft haben und damit auch nicht diskutabel. Sie sind da anderer Meinung. Warum?
Safranski: Ich bin da anderer Meinung. Vielleicht auch gerade dieses letzte Beispiel, wo er also von dem auserwählten Volk schreibt, über die Juden, der Sieferle. Das ist eine Passage, wo er das gläubige jüdische Selbstverständnis referiert, und da ist es nun mal so, dass es eine Selbsterfahrung, eine religiöse Selbsterfahrung als auserwähltes Volk gibt, und daran knüpft nun Sieferle diese andere These, dass im allgemeinen Diskurs Auschwitz gewissermaßen als der Höhepunkt der Offenbarung des Bösen gedeutet werden kann, als das monströse Modernitätsverbrechen.

Rückgriff auf eine metaphysische Deutungsebene

Ich neige auch zu dieser Auffassung, dass Auschwitz ein monströses Modernitätsverbrechen ist. Ich sehe auch, dass Sieferle auf eine bestimmte Argumentation hinaus will, dass nämlich in der allgemeinen Überlieferung sich dann ein auserwähltes Volk und das extrem Böse, das Deutsche, sich gewissermaßen gegenübersteht, auf einer metaphysischen Deutungsebene. Die kann man auch ganz beiseitelassen. Wenn man sie mal intellektuell ernst nimmt, dass man es so sehen kann – so hat es übrigens Hans Jonas gesehen, ein jüdischer Gelehrter, ein jüdischer Philosoph –, dann muss man sich damit auseinandersetzen und kann nicht jetzt kommen und solche Gedanken unter Tabu stellen.
Scholl: Jetzt hat es dieses Buch, Herr Safranski, durch die Diskussion von der Empfehlungsliste auf die Beststeller-Verkaufslisten geschafft. Wenn Sie "Finis Germania" jetzt jemand schenken würden, mit welchen Worten würden Sie das machen?
Safranski: Ich würde sagen … Erst einmal würde ich es nicht verschenken, sondern ich würde dann von Sieferle das sehr, sehr gute Buch über das Migrationsproblem schenken. Aber wenn ich jemand was dazu sage, dann würde ich sagen, und das haben leider unsere Juroren auch nicht bemerkt: Das Genre dieser Schrift sind die Nachtgedanken.

"Ein bedauerlicher Fehltritt"

Da gab es im frühen 17. Jahrhundert den Edward Young, der die Nachtgedanken als literarisches Genre etabliert hat, bis hin zu Heine, "Denk ich an Deutschland in der Nacht". Nachtgedanken, das sind Nachtgedanken, sehr pessimistisch, sehr melancholisch. Sie sind auch zum Teil glanzvoll formuliert. Dieser politische Eifer dieser Juroren hat das gar nicht bemerkt, das ist ja auch ein Punkt der ästhetischen Desensibilisierung, bei so Leuten wie Seibt … Ist doch ein bisschen schade, ich finde das bedauerlich, diesen Fehltritt. Also, ich würde sagen, das ist ein Beispiel für Nachtgedanken aus dem 20. Jahrhundert, denn diese Schrift ist ja in den letzten 20 Jahren entstanden.
Scholl: Zur Debatte um "Finis Germania", dem Buch des Historikers Rolf Peter Sieferle. Vielen Dank, Rüdiger Safranski, für dieses Gespräch!
Safranski: Ja, ich danke Ihnen auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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