Robert Pfaller: "Erwachsenensprache"

Eine leicht paranoide Kritik der politischen Korrektheit

Robert Pfaller: Erwachsenensprache
Robert Pfaller: Erwachsenensprache © Fischer Verlag
Von Katharina Döbler |
Die Öffentlichkeit ist in Gefahr, meint Robert Pfaller: Als Ursache dafür hat er in seinem Buch die Bemühungen um Diversität sowie positive Diskriminierung ausgemacht. Doch mit diesem Befund macht es sich der Philosoph zu einfach, meint unsere Kritikerin.
Robert Pfaller ist ein Philosoph, der die Öffentlichkeit sucht: Fernsehen, Kleinkunstbühne, Symposien. Der Professor an der Kunstuniversität Linz bespielt diese Orte gerne mit Nonchalance und mit einem ausgeprägten Gespür für provokante Zuspitzungen. Öffentlichkeit ist bei ihm nicht nur Praxis, sondern spielt auch in seinen Theorien eine wesentliche Rolle: als ein Raum, in dem sich Menschen unter Gleichen begegnen, wo bestimmte Rituale stattfinden, wo debattiert und gehandelt wird.

Der neoliberale Teufel

Diesen idealen öffentlichen Raum sieht er in Gefahr. Zum einem, weil Verbote und eine neue Genussfeindlichkeit ihn beschneiden – darüber hat er sich in seinem vielbeachteten Buch "Wofür es sich zu leben lohnt" ausführlich geäußert.
Als weitere Gefahr für den gemeinsamen Raum der Gleichen benennt Pfaller in seinem aktuellen Band "Erwachsenensprache" das, was eigentlich als großer emanzipatorischer Fortschritt gilt: Diversitäts- beziehungsweise Identitätspolitik. "Political Correctness", erst recht die Förderung und positive Diskriminierung nach ethnischen, religiösen oder Gender-Kriterien sind seiner Ansicht nicht nur für die Katz, sondern des Teufels. Des neoliberalen Teufels.

Ausplitterung der Gesellschaft

Denn der betreibe die postmoderne Aufsplitterung der Gesellschaft in diverse identitäre Gruppen und Grüppchen. Die Postmoderne, so Pfaller kategorisch, "ist nichts anderes als die Ideologie des Neoliberalismus".
Der Philosophie-Professor Robert Pfaller bei einer Diskussion im Juni 2016 auf dem internationalen Philosophie-Festival der phil.cologne in Köln
Der Philosophie-Professor Robert Pfaller im Juni 2016 © picture alliance / dpa / Horst Galuschka
Die Diversitätspolitik, diagnostiziert Pfaller, befasse sich nur mit "Empfindlichkeiten", und gibt so das politische Ziel der Linken preis, Gleichheit und Wohlstand für alle gegen die neoliberale Austeritätspolitik durchzusetzen. Er schreibt: "Beträchtliche Teile der Bevölkerung mit der Frage nach ihrer Identität zu beschäftigen, muss als ein Erfolg neoliberaler Ideologie betrachtet werden."
Diese These ist nicht ganz neu, aber Pfaller formuliert sie so griffig und scheinbar schlüssig, dass sie auf viel begeisterte Zustimmung stößt.

Leicht paranoide Logik

Denn es ist offenkundig, dass Neoliberalismus und Finanzkapitalismus an einer egalitären Gesellschaft nicht interessiert und damit auch nicht vereinbar sind. Das wissen wir alle aus mittlerweile alltäglicher Erfahrung mit auf Ökonomie ausgerichteten öffentlichen Dienstleistungen zur Genüge.
Dass aber Menschen, die für einen lächerlichen Mindestlohn hart arbeiten, mit der Frage nach ihrer Identität beschäftigt wären und deshalb nicht in die Gewerkschaft einträten, ist schlichtweg Unsinn. Pfallers Konstruktion ist ein in sich geschlossenes akademisches Debattenmodell, das aber in seiner Logik etwas leicht Paranoides hat.

Was interessiert das Finanzministerium "die Postmoderne"?

Welche neoliberalen Machthaber propagieren denn "die Postmoderne"? Die Schüler der Chicago Boys bei Goldman Sachs und in den Finanzministerien gewiss nicht. Der Neoliberalismus braucht keine andere Ideologie als sich selbst.
Ein weiter grundsätzlicher Einwand gegen Pfallers These ist, dass am Anfang der "Political Correctness" die Bürgerrechtsbewegung stand, und am Anfang der Gender-Debatten die Frauenbewegung: Kämpfe um Gleichheit, um Teilhabe am öffentlichen Raum.

Emanzipation gegen Gleichheit ausgespielt

Unbestritten ist, dass die Betroffenen nichts davon haben, wenn sie von Behinderten zu "Menschen mit Förderungsbedarf" oder von Schwarzen zu "Afroamerikanern" befördert werden. Nicht, solange das Muster, das Pfaller klar analysiert, das gleiche bleibt: als die Anderen benannt und aus Gemeinschaft der Gleichen hinausdefiniert zu werden. Anerkennung ist ein wesentliches Ziel von Emanzipationsbewegungen – und Anerkennungspolitik nur dann verkehrt, wenn sie zur politischen Schönfärberei wird.
Damit spielt Pfaller die Emanzipation der Ausgegrenzten – zumal in der Geschlechterfrage – argumentativ gegen das Ideal der Gleichheit aus, und hält es damit ganz mit Marx und seiner guten alten Hierarchie der Haupt- und Nebenwidersprüche: Zuerst kommt der Klassenkampf, dann alles andere.
Das aber ist eine Hierarchie, die schon 1968, als es noch keinen Neoliberalismus gab, die Frauenbewegung auf die Palme gebracht hat.

Robert Pfaller: "Erwachsenensprache - Über ihr Verschwinden aus Politik und Kultur"
S. Fischer Verlag, Frankfurt a.M. 2017
256 Seiten, 14,99 Euro

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