Rechtsschutz vor dem Verfassungsschutz

Von Marita Vollborn · 13.11.2013
Der niedersächsische Landesverfassungsschutz hat von sich aus Dateien über Journalisten gelöscht, die ohne Rechtsgrund angelegt worden waren. Dies hält die Publizistin Marita Vollborn für falsch, weil den Betroffenen dadurch Information und Rechtsschutz vorenthalten würden.
Das Ende des politischen Systems machte sich vier Jahre vor dessen Untergang bemerkbar. Damals, im Sommer 1985, setzte die Staatssicherheit der DDR ihre Spitzel auch gegen andersdenkende Jugendliche und Studenten ein. Die "Informellen Mitarbeiter" sollten subversive Elemente aufspüren.

Mich beispielsweise observierte ein "IM Berlin" über Jahre hinweg - ein Arzt aus Thüringen, noch heute ein Mann mit Ansehen in seinem Heimatort. Jetzt lebe ich in Niedersachsen. Und wieder werde ich bespitzelt. Genauer gesagt, ich hatte einen Verdacht, der durch vage Andeutungen genährt wurde. Wie aber bekomme ich Klarheit?

Die Akten, die von der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen der Staatssicherheit aufgearbeitet werden, darf ich mittlerweile einsehen. Spät, aber immerhin ist jüngst Material über meine Person aufgetaucht. Aber was werde ich vom Innenministerium Niedersachsens erfahren, wenn ich dort um Auskunft ersuche?

Es war schon seltsam, als vor Jahren erst unser Telefon ausfiel und danach meine Schwiegermutter überraschend, Gespräche mithören konnte, die wir mit anderen Leuten führten, ohne dass wir sie selbst zugeschaltet hätten. Von der Telekom erfuhren wir, dass eine Rufumleitung geschaltet war, die so nur staatliche Stellen beantragen dürften.

Wer trieb da sein Spiel mit uns?
Gleichzeitig verschwanden vor unseren Augen E-Mails vom PC-Bildschirm, um Stunden darauf zurückzukehren, als sei nichts gewesen. Und auf dem Server fanden sich Dateien, die wir dort nicht abgespeichert hatten - eigentlich harmlos anzusehen, nur eben ganz und gar fremd: ausgerechnet vom Bundesamt für die Sicherheit in der Informationstechnik. Wer trieb da wohl sein Spiel mit uns? Wir wissen es immer noch nicht. Wollte man es erfahren, müsste man behördliche Klinken putzen gehen, ohne recht weiterzukommen.

Daran wurde ich erinnert, als kürzlich bekannt wurde, dass der Landesverfassungsschutz Niedersachsens Informationen über Journalisten, aber auch über eine Mitarbeiterin des Landtages und einen Rechtsanwalt gesammelt hat - ohne einen jener Gründe, wie sie dafür gesetzlich vorgeschrieben sind.

Sicher, wir wüssten dies nicht, wenn nicht die neu gewählte rot-grüne Landesregierung in Hannover eine Routineprüfung veranlasst und das Ergebnis öffentlich mitgemacht hätte. Das Problem ist nur, vielleicht werden die Betroffenen nie Details erfahren, weil die illegal gesammelten Informationen inzwischen gelöscht wurden - insoweit korrekt aus Gründen des Datenschutzes.

Das Recht auf Auskunft
Doch das hatte zur Folge, dass eine Journalistin, die bereits vor Monaten von sich ausfragte, zur Antwort erhielt, über sie läge nichts vor. Richtig und zugleich völlig falsch, geradezu infam: Es liegt nichts mehr vor. Geheimdienste in einem demokratischen Gemeinwesen dürfen sich der Kontrolle nicht entziehen, auch nicht dem Recht der Bürger auf Auskunft. Da könnte die Stasiunterlagenbehörde zum Modell werden. Personenbezogene Akten und Daten, die ein Geheimdienst nicht mehr nutzen will oder darf, sollten gesperrt, aber nicht gelöscht werden - jedenfalls nicht, bevor die Betroffenen informiert worden sind.

Es ist nicht belanglos observiert zu werden. Es belastet. Es wirkt zerstörerisch. Es nährt Misstrauen. Es denunziert. Es macht Menschen erst zu Objekten, dann zu Opfern, die sich nicht wehren können, nicht einmal dann, wenn der staatliche Zugriff von vorneherein illegal war. Und wir wollen uns wehren, wollen Informationen von der anderen Seite.

Das war das unmissverständliche Signal der DDR-Bürger, als sie die Amtsstuben der Staatsicherheit stürmten: Wir dulden Eure illegalen Spitzeleien nicht mehr. Und wir finden heraus, wer Ihr seid.

Marita Vollborn, 1965 geboren, studierte Agronomie an der Humboldt-Universität zu Berlin sowie Journalistik an der Hochschule für Musik und Theater in Hannover. Sie ist freie Wissenschafts- und Wirtschaftsjournalistin und leitet seit 2001 zusammen mit Vlad Georgescu das international erscheinende Biotech-Webzine "LifeGen.de". Zusammen mit ihm schrieb sie "Die Joghurt-Lüge" und "Kein Winter, nirgends. Wie der Klimawandel Deutschland verändert".
Marita Vollborn
Marita Vollborn© privat
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