Kampf um Datenschutz "ist schon lange verloren"

Richard Gutjahr
Richard Gutjahr © dpa / picture alliance / Erwin Elsner
Richard Gutjahr im Gespräch mit Katrin Heise · 11.11.2013
Die Gedanken seien ohnehin schon komplett auslesbar, es fehlte nur noch die physische Präsenz, der Körper. Deshalb hat der Journalist Richard Gutjahr sein Erbgut im Internet öffentlich gemacht. Sein Motto: "Raus aus dem Nebulösen".
Katrin Heise: Der Journalist Richard Gutjahr hat die Analyse seines Erbgutes, seiner DNA in seinem Internetblog veröffentlicht. Jeder kann sie sich jetzt runterladen. Bevor man das im Blog liest, gibt es noch ein Vorwort vom "FAZ"-Herausgeber Frank Schirrmacher und folgende einleitende Worte des Analysierten selbst: "Die Geheimdienste außer Kontrolle, gewählte Regierung untätig, weil ohnmächtig. Heute wage ich den Angriff nach vorn, mache mich nackt bis auf die Knochen und noch weiter darüber hinaus. "DNA for NSA", mein Erbgut als Public Download. Der Gedanke: In einer Welt ohne Geheimnisse haben die Geheimdienste keine Macht mehr über mich." Ich begrüße jetzt Richard Gutjahr – schönen guten Tag.

Richard Gutjahr: Ja, guten Tag.

Heise: Wie fühlen Sie sich denn so, nackter als nackt?

Gutjahr: Befreit! Tatsächlich befreit, weil ich mir gedacht habe, na ja, alles, was ich schreibe, alles, was ich mache, alle meine Gedanken sind ja sowieso schon mehr oder weniger angezapft. Ich weiß nie, wenn ich vor einem Computer sitze, ob da nicht jemand zeitgleich mit mir auf den Bildschirm schaut oder meine Tasten mit beobachtet, die ich dort drücke. Im Grunde genommen, tatsächlich, unsere Gedanken sind in einer digitalen Welt komplett auslesbar. So, und was dem jetzt noch fehlt, ist die andere Hälfte, die mich ausmacht, nämlich meine physische Präsenz, mein Körper. Und da habe ich mir gedacht, na gut, dann lieferst du denen den Bauplan dazu auch noch mit dazu, und dann kann ich komplett frei aufspielen, weil dann gibt es nichts mehr, was man nicht von mir hat.

Heise: Ja, aber was ist daran jetzt vorwärtsverteidigt? Ich meine, Sie haben eventuell interessierten Geheimdiensten oder – machen wir es mal weniger grell – interessierten Internetunternehmen einfach die Arbeit erleichtert. Wem haben Sie denn die Macht entzogen?

Gutjahr: Na ja, im Grunde genommen ist das einfach: Raus aus dem Nebulösen. Man verlangt immer Transparenz gegenüber dem Staat, aber genau der Staat liefert diese Transparenz eben nicht. Ich weiß nicht, wer welche Daten von mir hat und wer sie durch welche Zusammenführungen zu welchem Cocktail mixt. All das bleibt mir der Staat, bleiben mir die Geheimdienste, auch die Polizeibehörden – Sie müssen sich vorstellen, durch diese Gesetze, die dort verabschiedet worden sind, zusammen zum Beispiel schon mit einer vorweggenommenen großen Koalition im letzten Frühjahr die Bestandsdatenauskunft haben mehr als 250 deutsche Behörden Zugriff auf meine Telefondaten, auf meine Bankdaten, sogar auch auf meine Passwörter für mein Handy. Und diese Daten werden automatisch abgefragt. Das heißt, da muss gar kein Richter mehr irgendwie was unterschreiben oder einsehen, sondern das dürfen die Polizeibeamten, die Zollbehörden et cetera pp. einfach mal so, direkt, per Standleitung zur Telekom oder zu O2 oder zu anderen Telekommunikationsunternehmen.

Heise: Das heißt, Ihre Handy-PIN-Nummer werden Sie jetzt auch demnächst öffentlich machen?

Gutjahr: Ich habe keinen Überblick mehr. Irgendwann mal überlege ich mir auch das, weil ich mir denke, irgendwann mal macht das wirklich keinen Sinn mehr, dieses ganze Ding. Das Problem ist einfach, es gibt niemanden mehr, der das kontrolliert.

Heise: Jetzt ist natürlich die Frage, ob eine Veröffentlichung dann auch einen Schutz bedeutet. Kommen wir noch mal zu der DNA-Analyse zurück. Sie haben für Ihre DNA-Analyse das Unternehmen 23andMe gewählt, wie übrigens inzwischen 450.000 andere Menschen auch, die sich alle bereits haben analysieren lassen beziehungsweise ihre DNA haben analysieren lassen. 23andMe ist schon familiär verbandelt mit Google, hat Geldgeber, die auch an Twitter und Facebook beteiligt sind. Wie schützen die denn eigentlich diese sensiblen Datensätze? Sie haben da ja nachgefragt?

Gutjahr: Die waren sehr ehrlich. Die haben gesagt, also alles, was wir tun können, tun wir, aber wir sind so redlich, unseren Usern zu sagen, hört zu, wir sind eine Online-Firma, das ist nun mal in der Natur der Dinge, dass sich da manche Dinge unserer Macht entziehen. Was außerhalb unserer eigenen Serverhallen passiert oder so was, das können wir nicht steuern.

Heise: Der Journalist Richard Gutjahr veröffentlichte seine DNA-Analyse. Ich frag noch mal anders, Herr Gutjahr. Dieser ganz offene Umgang mit Ihren persönlichsten, innersten Daten, wie Sie ihn da also praktiziert haben, soll der jetzt ein Vorbild sein, eine Taktik, wie wir der zunehmenden Überwachung quasi begegnen können, oder ist Ihre Aktion eine Provokation, so als abschreckendes Beispiel gedacht? Oh Gott, das alles ist möglich, kommt auf uns zu.

"In fünf bis zehn Jahren sind Sie beim Erbgut"
Gutjahr: Es ist sicherlich, jetzt, heute im Jahr 2013 noch eine Prise Provokation dahinter. Auch eine, ich sage es ganz offen, eine Form von Wut, die ich habe, dass niemand das sieht und dass das alles so gleichgültig hingenommen wird. So irre ist das alles gar nicht, sein Erbgut online zu stellen. Überlegen Sie sich mal, Sie haben Ihren Reisepass, da müssen Sie heutzutage Fingerabdrücke abgeben, damit Sie überhaupt noch ins Ausland können. Vor ein paar Jahren haben wir uns noch darüber beschwert, dass wir diese komischen Fotos machen mussten, wo man nicht lächeln darf, damit die Computer sie auslesen können. Ziehen Sie einfach eine Linie von all diesen Sicherheitsneuerungen, und dann sind Sie in fünf bis zehn Jahren beim Erbgut, natürlich.

Heise: Bisher ist es allerdings so, dass wir über die Fingerabdrücke und die Gesichtskennung noch nicht irgendwelche Krankheiten ablesen können beispielsweise. Ihre Krankenversicherung wird sich sicherlich freuen über Ihre DNA-Veröffentlichung. Die können Ihnen dann gleich sagen, ob Sie beispielsweise eine Zahnzusatzversicherung brauchen, weil schlechte Zähne irgendwie aus dem Datensatz ablesbar sind. Ist das eigentlich praktisch oder gespenstisch?

Gutjahr: Beides. Also, ich sehe durchaus nicht nur Nachteile darin. Stellen Sie sich vor, die Krankenkassen kommen auf Sie zu und sagen, na ja, schauen Sie mal, Sie haben so eine geringe Wahrscheinlichkeit für Alzheimer, wir gehen 20 Prozent runter mit unseren Beiträgen für Sie, ja? Das darf man heutzutage so noch nicht machen – auch in den USA gibt es ein Gesetz, dass einen vor Gendiskriminierung schützen soll.

Heise: Ja, denn die könnten ja genauso gut auch sagen, wir nehmen Sie gar nicht erst auf.

Gutjahr: Das ist genau das Problem, deswegen gibt es eben dieses Gesetz. Die Wahrheit ist nur, genauso wie beispielsweise bei Frauen, wenn es irgendwie um das Thema Schwangerschaft geht. Es gibt natürlich Möglichkeiten, das zu umgehen oder man gibt das nicht so genau an, oder aber, und auch das ist schon offiziell, dass, wenn man langfristige Policen abschließen will, dann gibt es eine Ausnahme von diesem Gesetz. Sprich, hier ist es tatsächlich schon so, dass man aufgrund seiner Gene also beispielsweise keine Pflegeversicherung abschließen kann, wenn man die entsprechende genetische Disposition hat.

Heise: Ich habe Sie aber durchaus richtig verstanden, dass Sie da auch Vorteile in der Durchleuchtung sehen. Ist es also ein Wunderland oder die Apokalypse?

Gutjahr: Beides. Wenn Sie in der Familie eine Krankheitsgeschichte haben, wo eine Erbkrankheit, eine schlimme Erbkrankheit vorhanden ist, dann können Sie natürlich schauen, was für ein Erbgut haben unsere Kinder mitbekommen und können der entsprechend entgegenwirken, wenn es sich um eine therapierbare Krankheit handelt …

Heise: Herr Gutjahr, das ist ja ganz klar, die Vorteile, eventuellen Vorteile einer DNA-Analyse, die meine ich jetzt aber nicht mit meiner Frage, sondern die Veröffentlichung beziehungsweise das Mit-Drauf-Gucken von Leuten, die das überhaupt nichts angeht, das meine ich.

Gutjahr: Das wiederum führt uns zurück zum ersten Thema, was wir hatten: keine medizinische, sondern eben diese Überwachungsthematik. Nein, es ist ganz einfach tatsächlich mein Angebot zu sagen: Liebe Geheimdienste, liebe Polizei, hier ist es, ja. Das Problem ist doch nur, dass ich nicht möchte, dass nur eine, wie soll man sagen, kleine Gruppe geheim Zugang zu diesen Informationen hat. Dann doch lieber alle.

Heise: Die Gemeinschaft, die Sie gerade angesprochen haben, die haben Sie vorher aber so geschildert, dass die sich ja nach und nach verändert und sich eigentlich immer mehr daran gewöhnt, so durchleuchtet zu werden und die Bedenken langsam aber sicher über den Haufen wirft. Finden Sie es eigentlich schlimm, dass wir diese ganze Durchleuchtung gar nicht mehr so schlimm finden?

Gutjahr: Ja, das ist genau das, wo ich mich gerade wiederfinde, dass ich im Grunde genommen sehe, dass es Vorteile hat und dass es mehr oder weniger auch darauf hinauslaufen wird. Ich glaube auch, dass wir in fünf oder in zehn Jahren Gentests beispielsweise ganz natürlich als Standard bei Geburt haben werden. Und dass wir auch die Vorteile darin sehen und sagen, na ja gut, dann hat halt irgendein Staat oder hat halt irgendeine Behörde Zugriff in Zukunft auch auf diese Daten. Aber ich will wenigstens auch wissen, ob ich später mal Krebs bekommen könnte oder wie hoch die Wahrscheinlichkeit für mich ist. Das Problem ist doch, wenn die anderen es eh haben, dann möchte ich es schon auch wissen.

Heise: Wünschen Sie sich denn auch ob Ihres Symbols, das Sie da gesetzt haben, einen verstärkten Kampf doch noch gegen eine solche Zusammenfügung hinter Ihrem Rücken oder glauben Sie der, ja – da ist der Tanz schon getanzt, das ist sowieso nicht mehr zu verändern?

Gutjahr: Dieser Kampf ist schon lange verloren. Es geht einfach nur darum, Bewusstsein zu schaffen uns zu sagen: Passt auf, Freunde, macht euch keine Illusionen, das ist die Welt, in der wir leben, und wir werden sie nicht mehr zurückdrehen können. Noch einmal, ich sehe das gar nicht so defätistisch, dass das irgendwie alles schlimm ist, ich sage nur, es ist so, und wir werden es nicht ändern können. Wir werden, glaube ich, nur alle miteinander nur lernen müssen, das Beste daraus zu machen und innerhalb dieser neuen Welt vernünftige Entscheidungen zu treffen.

Heise: Der gläserne Mensch war gestern, morgen schaut jeder bis ins Erbgut. Der Journalist Richard Gutjahr hat diese Vision schon vorgeholt und seine DNA-Analyse veröffentlicht in seinem Blog. Herr Gutjahr, danke schön für dieses Gespräch.

Gutjahr: Danke Ihnen.

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