Psychometrie in den Sozialen Medien

"Den Menschen wird die Information eingespielt, die sie hören wollen"

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"Es ist natürlich so, dass wir in einer Art und Weise manipuliert werden durch soziale Medien und neue Technologien, die den Menschen in dieser Form weder bewusst noch gegenwärtig ist." © dpa
Roman Maria Koidl im Gespräch mit Christian Rabhansl · 19.08.2017
Donald Trump sei auch durch den Einsatz sozialer Medien an die Macht gekommen, sagt Roman Maria Koidl. So könne man "heute eigentlich als Einzelkämpfer ohne eine Parteistruktur in höchste Ämter kommen". Koidl fürchtet, das könne in einer technokratischen Diktatur enden.
Christian Rabhansl: Um die Lüge dreht sich die heutige Sendung, und über die Lüge im Netz haben wir gerade schon gesprochen, die ist ja immens erfolgreich. Nicht nur, weil wir Menschen dazu neigen, unsere Vorurteile gern bestätigt zu sehen, sondern auch weil Falschmeldungen, Unwahrheiten und auch verzerrte Wahlbotschaften des politischen Betriebs im Netz mittlerweile ganz persönlich zugestellt werden können, individuell zugeschnitten. Und so merken wir eben gar nicht, wenn derselbe Politiker mir auf meinem Smartphone etwas anderes verspricht als meinem Nachbarn. Erfolgreich Lügen ist also eine Hightech-Kunst, und eine ziemlich bedrohliche. Darum geht es in dem neuen Buch von Roman Maria Koidl. Auf der Vorderseite steht der Titel "Warum wir irre/Irre wählen", und auf der Rückseite steht "Wer gut lügt, gewinnt", und das will ich natürlich genauer wissen. Guten Tag, Herr Koidl!
Roman Maria Koidl: Guten Tag!
Rabhansl: "Wer lügt, gewinnt", schreiben Sie. Und dann steht da noch, "Wer besser lügt, kommt sogar richtig ehrlich rüber". Wie das denn?
Koidl: Es ist natürlich so, dass wir in einer Art und Weise manipuliert werden durch soziale Medien und neue Technologien, die den Menschen in dieser Form weder bewusst noch gegenwärtig ist. Man kann sich das genaugenommen gar nicht vorstellen. Und das ganz große Problem besteht darin, dass auch Politiker und der politische Betrieb das negieren, manchmal auch gar keine genauen Kenntnisse darüber haben und wir in eine Situation geraten, wo die Menschen glauben, das, was ich da in dem Buch erzähle, sei Science Fiction, dabei ist es die Realität.

"Dass es einen Glaubwürdigkeitskern besitzt, bedeutet nicht, dass es wahr ist"

Rabhansl: Und die Realität, die besagt zum Beispiel, Sie zitieren eine Zahl, das Wahlkampfteam von Donald Trump habe am Tag des dritten TV-Duells gegen Hillary Clinton automatisiert rund 175.000 verschiedene Versionen seiner Argumente gestreut, immer hübsch individuell zugeschnitten. Das klingt aber wirklich nach Science Fiction.
Koidl: Das ist professionell gemacht gewesen. Die Firma, die das umgesetzt hat, heißt Cambridge Analytica, und interessanterweise hat sie auch dafür gesorgt, dass der Brexit so ausgegangen ist, wie dieser Plebiszit eben ausgegangen ist, nämlich für die "Leave"-Kampagne. Den Menschen wird tatsächlich genau die Information eingespielt, die sie hören wollen. Und das Perfide daran ist, es basiert sogenannten Psychometrics, das heißt, eine genaue Analyse liegt dem zugrunde, wie Ihre persönliche Angststruktur aussieht, worauf also Sie persönlich am allermeisten reagieren, was Sie am allermeisten emotionalisiert. Und darauf geht die Kampagne ein und triggert dieses Gefühl mit einer auf Sie passgenau, auf Ihre Ängste, auf Ihre sozusagen Triggerpunkte, passgenau zugeschnittenen Botschaft.
Rabhansl: Trotzdem schreiben Sie aber auch, das Erfolgsgeheimnis von faustdicken Lügen, aber eben auch bewussten Falschmeldungen, das bestehe darin, nicht nur Vorurteile zu bestätigen, sondern eben doch auch einen Glaubwürdigkeitskern zu besitzen. Funktionieren also dann solche Lügen, die irgendwie doch ein bisschen stimmen, noch besser als Wahrheiten?
Koidl: Dass es einen Glaubwürdigkeitskern besitzt, bedeutet nicht, dass es wahr ist. Das ist ja der semantische Unterschied. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Heute ist es wirklich relativ warm, und stellen Sie sich mal vor, jemand kommt zu Ihnen und sagt, möchtest du einen schönen warmen Tee. Da werden die meisten Menschen empört ablehnen, weil ihr Instinkt ihnen sagt, also jetzt wäre doch eher ein Kaltgetränk angesagt. Dabei ist ein warmer Tee das Beste, was Sie für Ihren Organismus, Ihren Körper und Ihr Wohlbefinden bei Hitze tun können. Ihr Instinkt funkt aber wacker das Gegenteil. Man muss es wissen. Man muss es gelernt haben, man muss da mal hin gereist sein nach Arabien zum Beispiel. Halb Arabien trinkt warmen Tee zur Vermeidung von Gastritis. Man muss es eben erfahren haben. Und dieser Trigger, den ich da beschreibe, der aktiviert einen, ich nenne das einen Mind-Chip im Kopf des Konsumenten und funkt eben da eine Botschaft, die wir alle für logisch halten, die aber in Wirklichkeit nicht einem rationalen Argument zugrunde liegt.

Der Autor Roman Maria Koidl
Der Autor Roman Maria Koidl© Hoffmann und Campe Verlag

"Zum Vorteil ihres eigenen Machterhalts"

Rabhansl: Das ist jetzt ein relativ harmloses Beispiel gewesen. Ich muss aber sagen, in Ihrem Buch, Sie kleckern ja nicht, Sie klotzen so richtig. Und Sie schreiben, wir seien auf dem direkten Weg in eine technokratische Diktatur. Eine stille Machtübernahme. Wie funktioniert diese technokratische Diktatur?
Koidl: Das ist nicht geklotzt, das ist die Realität. Das ist – nur von jenen wird das geleugnet, die ein mangelndes technisches Verständnis haben. Alle, die diese technischen Hintergründe kennen, wissen ganz genau, dass das der Fall ist. Es funktioniert so, dass bei Ihnen auf dem PC, auf dem Rechner, sich ein kleines Progrämmchen befindet, dass dort jede Webseite platziert, die Sie besuchen. Man nennt das Cookie, einen Keks. Und der liest ab da alles mit, was Sie machen, was Sie besuchen, aber auch, was Sie abspeichern, und wenn Sie so Copy-Paste machen, also Sachen in andere reinkopieren, das wird alles ausgelesen, mitgelesen und in Profilen zusammengeführt, die man selbstverständlich als Profil unter Ihrem Namen wiederfinden kann. Das heißt –
Rabhansl: Cookies sind aber nun eine Technologie, die gibt es seit Dekaden, und wir sind immer noch nicht in einer Diktatur. Was macht Sie so sicher, dass wir auf dem Weg in eine technokratische Diktatur sind?
Koidl: Mich macht das deshalb so sicher, weil Milliardäre dabei sind, diese Daten, die da über Jahre gespeichert wurden, nun über algorithmische Modelle zum Nachteil der Menschen zu verwenden und zum Vorteil ihres eigenen Machterhalts oder, man muss es wirklich so nennen, Machtergreifung. Denn das, was da stattfindet, ist eine so perfide Möglichkeit, die Menschen zu manipulieren, ihnen Wahrheiten vorzuspielen oder Realitäten, die in der wirklichen Wirklichkeit gar nicht bestehen. Dass wir uns Gedanken langfristig über eine Erosion unserer demokratischen Grundordnung machen müssen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel, wenn Sie möchten. Diese Psychometrie, das heißt, die Analyse, wie Sie persönlich funktionieren, dafür brauche ich nur 70 Likes von Ihnen bei Facebook. Mit 150 Likes weiß ich schon besser über Sie Bescheid als Ihr Arbeitskollege. Und wenn ich 300 Likes analysiert habe, kenne ich Sie besser als Ihre Mutter.

"Psychometrie ist eine Methode, die problemlos funktioniert"

Rabhansl: Das habe ich bei vielen Leuten schon in einer Woche zusammen, locker.
Koidl: Aber Sie unterschätzen, dass große Konzerne zum Beispiel in Ihren Personalabteilungen, in ihren sogenannten Human Ressources Departments, heute schon darauf setzen, diese Likes zu analysieren, weil man sagt, diese Analyse ist viel präziser über einen potenziellen Kandidaten, der bei uns arbeiten soll, als wenn wir da jemanden hinsetzen, der sich den anguckt. Das heißt, Psychometrie ist eine Methode, die ganz problemlos und wunderbar funktioniert. Wenn ich aber ganz genau weiß, wie alle Menschen funktionieren, dann bin ich auch in der Lage, denen Informationen einzuspielen, die eine maximale Wirkung erzeugen. Und dabei stellt sich die Frage: Wer ist dazu in der Lage? Natürlich derjenige, der über diese Daten verfügt. Und da können Sie die üblichen Verdächtigen an einer Hand abzählen. Das fängt bei Facebook an und endet nicht bei Google.
Rabhansl: Und das nutzt man natürlich oder kann man dann eben auch nutzen für sehr gezielte Wahlwerbung, und das ist dann eben Wahlmanipulation letzten Endes. Und damit sind wir beim Titel Ihres Buches: "Warum wir irre wählen". Dieser Titel ist ja clevererweise auf das Cover in großen Druckbuchstaben gedruckt, das heißt, ich kann nicht erkennen, schreiben Sie eigentlich das "irre" mit einem kleinen i, also "mein Wahlverhalten ist irre", oder schreiben Sie es mit einem großen "I" – "ich wähle irre Politiker"?
Koidl: Es ist natürlich beides gemeint, und Sie haben vollkommen recht: Es ist nicht nur die Frage, warum wählen wir irre, als Verb sozusagen, sondern durchaus auch missverständlicher Weise, warum wählen wir eigentlich Irre? Und da muss man doch mal ganz ehrlich sagen, wenn man heute ins Weiße Haus guckt, wenn man die Situation in Polen, wenn man die Situation in Ungarn, wenn man die Situation in der Türkei ansieht, dann muss man sagen, die Menschen sind doch gut beraten, einmal ganz genau hinzugucken, wer eigentlich wessen Geistes Kind beziehungsweise welcher psychischen Konstitution der Kandidat ist, den man da eigentlich wählt. Man muss doch eines konstatieren: Donald Trump ist in erster Linie durch den Einsatz sozialer Medien an allen Parteistrukturen vorbei, die ja auch in der Vergangenheit immer dafür gesorgt haben, dass es einen Auswahlprozess gab. Über Jahrzehnte wurden die Leute dort geprüft, sie mussten sich dort beweisen, sie mussten Plakate kleben, sie mussten Mehrheiten gewinnen und so weiter. Und soziale Medien begünstigen im Prinzip, dass man heute eigentlich als Einzelkämpfer ohne eine Parteistruktur in höchste Ämter kommen kann. Und da sind die Menschen noch mal gut beraten, genauer hinzugucken und zu sagen, ist der eigentlich aufgrund seiner psychischen Konstitution in der Lage, uns als Volk zu vertreten.
Rabhansl: Sonst wählen wir irre. So lautet der Buchtitel von Roman Maria Koidl: "Warum wir IRRE wählen". 176 Seiten für 16 Euro. Das Buch ist erschienen bei Hoffmann & Campe. Herr Koidl, ich danke Ihnen für das Gespräch!
Koidl: Herzlichen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.