Psyche und Gesundheit

Kann Selbstheilung funktionieren?

08:39 Minuten
Eine ältere Dame sitzt im Lotussitz auf einem Steg und streckt die Arme in die Höhe.
In die Natur gehen und sich selbst etwas Gutes tun: Das hilft dabei, gesund zu werden und zu bleiben. © Gettyimages / Halfpoint Images
Joachim Bauer im Gespräch mit Ute Welty · 14.10.2020
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Manche glauben, keine Angst vor Corona zu haben, schütze vor einer Infektion. Falsch, meint der Psychiater Joachim Bauer. Bei anderen Krankheiten hingegen spielt die Psyche eine große Rolle: ob man sie bekommt - und ob man geheilt wird.
Ute Welty: Es sind einigermaßen beeindruckende Experimente, die da heute Abend auf 3Sat im Film präsentiert werden: Allein die Idee von Sauerstoff führt in großer Höhe dazu, mit den Folgen von großer Höhe besser fertig zu werden. "Placebo – Der Arzt in mir", so heißt der Film von Kurt Langbein, und der Filmemacher hat unter anderem Professor Joachim Bauer interviewt, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie in Berlin sowie Neurowissenschaftler und Buchautor. – Ich mach es mal platt: Wenn ich keine Angst habe vor Covid-19, dann kann ich mich auch nicht mit Corona infizieren. Ist es tatsächlich so?
Joachim Bauer: Davon rate ich dringend ab. Ich glaube, dass Corona ein ernster, ernst zu nehmender Virus ist – und dass wir dringend aufgerufen sind, die Regeln einzuhalten, Masken zu tragen, ein bisschen auf Abstand zu halten und Hygienemaßnahmen.
Aber was zum Beispiel in dieser Corona-Diskussion fehlt, ist, dass wir darüber reden: Was können wir denn selber tun? Wir können eine bessere Selbstfürsorge machen, Bewegung, freie Natur, Ernährung sind ganz wichtig. Wir wissen, dass die beiden wichtigsten Faktoren, die Menschen zu Risikopatienten machen, Übergewicht sind und zum Beispiel das Rauchen.
Wir reden viel zu wenig darüber, was wir tun können, um eine gute Selbstfürsorge zu machen, um unsere Widerstandskraft zu stärken, unser Immunsystem zu stärken. Jetzt zum Beispiel wäre ein sehr guter Zeitpunkt, das Rauchen aufzugeben und Gewicht zu reduzieren, weil wir wissen, dass diese beiden Faktoren uns zu Risikopatienten machen, dann, wenn wir den Virus erwischen.
Welty: Aber inwieweit kann denn auch Keine-Angst-Haben physiologisch und biologisch tatsächlich helfen, um nicht krank zu werden? Was genau passiert da im Körper?
Bauer: Das ist richtig. Angst und Depression, also Mutlosigkeit, Verzagtheit – das wissen wir aus der Forschung – sind zwei Einflusskräfte, die das Immunsystem schwächen, die auch Herz und Kreislauf schwächen können. Damit wir Angst und Depression zurückdrängen oder gar nicht erst aufkommen lassen, dabei helfen gute soziale Beziehungen. Also, wir brauchen Menschen. Der Mensch hat ein sogenanntes Social Brain, wie die Amerikaner sagen, ein auf gute soziale Beziehungen ausgerichtetes Gehirn. Gute Menschen um sich zu haben, die einen stützen und stärken, ist ganz wichtig auch für die biologische, medizinische Gesundheit des Menschen.

"Schulmedizin unterschätzt soziale Beziehungen"

Welty: Jetzt bewegen wir uns ja auf einem schmalen Grat, denn es sind schon Menschen gestorben, weil sie allein auf die Kraft der Gedanken vertraut haben – und nicht auf die Kraft der Schulmedizin. Wie geht man am besten mit dieser Verantwortung um?
Bauer: Sie sprechen ja jetzt mit einem Psychiater und Internisten – und ich bin Schulmediziner. Aber ich glaube, dass wir oft Schulmediziner die Bedeutung der guten sozialen Beziehungen für die Menschen und auch die Bedeutung eines guten Arzt-Patienten-Gespräches unterschätzen, dass wir oft in den Kliniken zu wenig Zeit haben. Die Kolleginnen und Kollegen dort stehen selber sehr stark unter Druck. Wir räumen dieser Bedeutung des Gesprächs, der Arzt-Patienten-Beziehung, dem Arzt-Patienten-Gespräch und auch den sozialen Beziehungen, die unsere Patienten in ihrem privaten Umfeld haben, zu wenig Gewicht ein.
Wir wissen jetzt zum Beispiel bei der Corona-Geschichte: Die Depressionen haben zugenommen, schwere Depressionen haben sich vervielfacht. Das ist immer noch in einem niederen Bereich, also bei Menschen unter normalen Zeiten haben etwa um die vier, fünf Prozent eine schwere Depression in der Bevölkerung, aber dieser Prozentsatz hat sich verzwei-, verdreifacht. Bei den leichten Depressionen haben wir auch eine Verdoppelung gesehen.
Depressionen kann man am besten behandeln auch natürlich durch Medikamente. Aber man kann auch selber was tun, zum Beispiel in die freie Natur rausgehen, sich bewegen, mit anderen Menschen gute Beziehungen pflegen. Das sind gesicherte Faktoren, die gut gegen Depression helfen.

Achtsamkeit hat Auswirkungen auf die Gene

Welty: Welche Möglichkeiten haben Menschen, ihren biologischen Gesundheitszustand über die Psyche aktiv zu gestalten?
Bauer: Wir sind immer wieder bei den guten sozialen Beziehungen, aber man kann auch für sich selber was Gutes tun. Wir haben eine Studie von einer Kollegin aus Amerika, Barbara Fredrickson, die hat sehr schön gezeigt, wenn Menschen sagen, ich möchte gut für mich sorgen, ich möchte mich gut ernähren, mich bewegen, auf mich aufpassen – so eine innere Haltung der Achtsamkeit, man nennt das eudaimonische Haltung, das kommt aus der alten griechischen Philosophie, also sich bemühen, ein gutes Leben zu führen, auf sich zu achten, eudaimonisch zu leben.

Joachim Bauer, geboren 1951, ist Psychiater, Internist und Autor zahlreicher Sachbücher. Bis zu seiner Emeritierung 2017 lehrte er als Professor an der Universität Tübingen. Seit 2017 ist er Gastprofessor an der International Psychoanalytic University, Lehrtherapeut und Supervisor an einem Psychotherapie-Institut sowie als Arzt und Psychotherapeut tätig.

Wer so eine Haltung hat, bei dem verändern sich genetische Aktivitäten, und zwar so, dass gefährliche Aktivitäten, die das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, für Krebserkrankungen, für Demenzerkrankungen erhöhen, dass diese Gene durch eine eudaimonische Haltung runtergeschaltet werden.
Das heißt, eine innere Haltung – ich möchte gut für mich sorgen, ich möchte auf mich achten –, so eine Haltung ist ein gesicherter Faktor, der Gesundheit erhält. So weit sind wir heute in der Forschung, und das sollten wir auch den Menschen sagen: Achte auf dich, ernähre dich gesund, bewege dich, geh in die freie Natur, reduziere dein Gewicht und lass das Rauchen sein. Und wenn du auf dich gut aufpasst, dann hast du auch eine höhere Chance zum Beispiel in so einer Krise wie jetzt, dieser schrecklichen Epidemie, dann, wenn dich der Virus erwischt, resistenter zu sein, dein Immunsystem besser aufgestellt zu haben und dann eben auch nicht zu der Risikogruppe zu gehören. Wir sollten die Schulmedizin um den Faktor der Selbstfürsorge ergänzen.

Auf eine gute Selbstfürsorge kommt es an

Welty: Lässt sich das erklären, oder inwieweit können Sie das erklären, dass es tatsächlich zu diesen genetischen Veränderungen kommt?
Bauer: Ja, das kann man heute erklären. Die Neurowissenschaften wissen, dass es im Gehirn ein hierarchisch aufgebautes System gibt. Da gibt es sozusagen zwei Kommandoebenen: Da gibt es die untere Kommandoebene, dazu gehören das sogenannte Belohnungssystem, das Stresssystem, das Angstsystem. Die produzieren Botenstoffe, mit denen Herz-, Kreislauf-, Immunsystem beeinflusst werden. Und da gibt es eine obere Kommandoebene, das ist das sogenannte Selbstsystem, da ist die innere Aufstellung: Was denke ich über mich? Was glaube ich, was gut für mich ist?
Das ist das Selbstsystem, das sitzt im Stirnhirn, und wenn dieses Selbstsystem gut aufgestellt ist, hat es Top-down-Effekte auf die untere Kommandoebene, die dann günstige Botenstoffe, also weniger Stressbotenstoffe, weniger Angstbotenstoffe, mehr Glücksbotenstoffe in den Körper schickt. Von den Glücksbotenstoffen und von den Stressbotenstoffen wissen wir, dass sie das Herz-Kreislauf-System und das Immunsystem beeinflussen können.
Wir sollten versuchen, Top-down, also von der ersten Kommandoebene, vom Selbstsystem aus uns eine gute Selbstfürsorge zu machen, dass jeder für sich beschließt, ja, ich will mein Leben gut führen, ich will gut auf mich achten. Dann können wir aus der Forschung sagen, das hat Effekte, die in den Körper, bis in jede Zelle gehen.

Drei bis fünf Stunden in der freien Natur

Welty: Wer ist besonders empfänglich für das eigene Placebo, wer eignet sich mehr, wer eignet sich weniger?
Bauer: Alle Menschen eignen sich dafür. Jeder Mensch ist so aufgestellt, dass gute Selbstfürsorge, achtsames Leben, sich gut zu ernähren, sich zu bewegen, viel raus in die Natur zu gehen – das ist so ein Faktor, das ist nicht nur Gerede. Wir haben Studien, die zeigen: Wenn wir uns jede Woche drei bis fünf Stunden in der freien Natur aufhalten, hat das günstige Einflüsse auf das Herz-Kreislauf-System und auf das Immunsystem. Das heißt, das ist auch so eine Ansage gerade jetzt in Corona-Zeiten: Mensch, geht raus, bewegt euch, macht Wanderungen, macht Spaziergänge. Das ist was, was wirklich gesund hält und die eigene Gesundheit stärken kann. Das ist nicht ein Gegen-die-Schulmedizin, sondern wir brauchen eine Ergänzung der Schulmedizin um den Faktor, was kann ich selber tun, um gesund zu bleiben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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