Post-Sowjetunion

Getrieben vom Hunger nach dem nächsten Exzess

Die Altstadt der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku mit Minaretten liegt vor dichtbebauten neuen Hochhäusern.
Grjasnowas Protagonisten reisen gemeinsam nach Baku in Aserbaidschan. © Deutschlandradio / Sven Töniges
Von Edelgard Abenstein |
Liebeswirren, Hingabe, Eifersucht - das sind die Zutaten, mit denen Olga Grjasnowa ihre Geschichte einer Ménage-à-trois erzählt, die sich zu einem grell-bösen Porträt der postsowjetischen Gesellschaft entfaltet. Temporeich und gradlinig aufgeschrieben, mit einem überraschend versöhnlichem Ende.
Für ihr "Der Russe ist einer, der Birken liebt" 2011 wurde die damals 27-jährige Olga Grjasnowa überschwänglich gefeiert. Ihre Hauptfigur war eine jüdisch-aserbeidschanische Immigrantin, wie die Autorin selbst und wie Leyla, die junge Heldin des neuen Romans.
Immer auf der Suche nach dem nächsten Kick streunt sie zwischen Berghain und Dragkneipen durch Berlin. Ein schnelles Leben zwischen Trash und Extravaganz... Nebenbei tanzt sie an der Deutschen Oper als Balletteuse. Sie ist mit Altay, einem gleichfalls aus Baku stammenden schwulen Arzt, verheiratet und unterhält eine Affäre mit der aus New York stammenden Rabbinertochter Janoun, womit ihre Ehe sich zur Ménage-à-trois erweitert. Liebeswirren, Hingabe und Eifersucht bestimmen diese in wechselnden Konstellationen erprobte Versuchsanordnung.
Koks auf Silbertabletts
Das Trio bricht zu einer Reise in den Kaukasus auf, was Grjasnowa an verschiedenen Schauplätzen, in Moskau, Tiflis und Baku, ein grell-böses Porträt der postsowjetischen Gesellschaft entwerfen lässt: neureiche Russinnen, die auf Blutdiamanten stehen, neben ihren kastenförmigen Mafiosi-Männern. "Der Westen hatte sie enttäuscht. Er war ihrer Kaufkraft nicht gewachsen". Koks wird auf Silbertabletts und Sushi mit Essstäbchen aus echtem Gold serviert.
Gelangweilte reiche Sprößlinge fahren Autorennen durch Bakus Innenstadt ("nicht selten kamen dabei Fußgänger ums Leben, was den Charme des Ganzen erhöhte"). Auch Layla fährt mit. Sie gewinnt, weil sie "als Einzige nichts dagegen hatte, ihr Leben zu verlieren." Was sie verliert, ist erstmal ihre Freiheit, im Knast wird sie misshandelt und vergewaltigt, bis Altay sie holen kommt. Am Ende findet das Ehepaar zueinander: "heteronormativ", wie es heißt, belustigt einen Begriff aus der Gendertheorie zitierend.
Es ist die Geschichte über eine junge Generation von Immigranten, die multilingual zwischen Ländern und Kulturen pendelt, ihr Heil in wechselnden sexuellen Orientierungen sucht und keine Wurzeln schlagen kann. Olga Grjasnowa setzt scharfe Kontraste, sie erzählt in atemberaubendem Tempo, ihre Sätze sind knapp, pointiert, ohne jedes Dekor. In kurzen, sich überblendenden Szenen wird die Rastlosigkeit eines Lebensgefühls spürbar, das sich lässig-kosmopolitisch gibt, aber getrieben ist vom Hunger nach dem nächsten Exzess, nach Sex, Drogen - und dem perfekten Körper.
Rotzig-zart mit eigensinniger Handschrift
Wie die Tänzerin Leyla eisern Diät hält - einzeln zählt sie die Körner in den Müslitopf - wie sie ihren Körper zu Hochleistungen treibt, ihn schindet und kasteit, weil sie sonst nichts spürt, das veranschaulicht den modernen Kult, in dem der Schmerz den ultimativen Kick gibt. "Das Selbst wird vom Körper bestimmt", was klingt wie eine Parole aus dem Wörterbuch des Narzissmus, daran scheitert Leyla grandios. Aber dann gönnt ihr die Autorin doch ein überraschend versöhnliches Ende.
Grjasnowa, die erst als 11-Jährige Deutsch gelernt hat, wurde geschult am Leipziger Literaturinstitut, das neuerdings vielgeschmäht wird wegen eines angeblich uniformen Schreibstils. Von Gleichförmigkeit kann man nichts entdecken in diesem rotzig-zarten Roman, der eine eigensinnige Handschrift trägt.

Olga Grjasnowa: Die juristische Unschärfe der Ehe
Carl Hanser Verlag, München 2014
366 Seiten, 19,90 EUR

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