Armut und psychische Krankheit

"Dauernd prekär leben erzeugt ein Klima von Angst und Stress"

08:06 Minuten
Ein dunkelhaariger junger Mann mit Brille steht vor einem großen Wohnblock.
Sein Aufwachsen in prekären Verhältnissen hat Olivier David in dem Buch "Keine Aufstiegsgeschichte - warum Armut psychisch krank macht" beschrieben. © Jan Lops
Olivier David im Gespräch mit Julius Stucke · 12.02.2022
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Wie viel Stress Armut für die Betroffenen bedeutet und sie krank macht, hat der Journalist Olivier David als Kind selbst erlebt. Dabei könnte es sich ein Land wie Deutschland leisten, Menschen ohne Arbeit nicht in Armut zu halten, sagt er.
Armut habe ihn psychisch krank gemacht, sagt der Journalist und Autor Olivier David. Aufgewachsen ist er ohne Vater in einem Haushalt, in dem ständig das Geld knapp war. Die Mutter möchte ihren Kindern den sozialen Aufstieg ermöglichen und schickt sie auf eine Waldorfschule. Dort hat der Junge Probleme, er fällt durch aggressives Verhalten gegenüber Mitschülern auf, und bei ihm wird ADHS diagnostiziert.
"Ich bin mit Wut aufgewachsen, und ich glaube, das hat mit einem dysfunktionalen Elternhaus zu tun", sagt David. "Ich habe Gewalterfahrungen gemacht, meine Mutter hatte psychische Erkrankungen."

Ohnmachtsgefühle schlagen in Gewalt um

Seine Ohnmachtsgefühle habe er damals in aggressives Verhalten umgesetzt - ein typisches Jungs-Phänomen, wie er sagt: „Ich erinnere mich daran, dass ich auf dem Schulhof zu älteren Mitschülern gegangen bin, Streit gesucht und denen ins Gesicht geschlagen habe.“
Seine Erlebnisse als Kind und Jugendlicher hat David jetzt in einem Buch verarbeitet. Es heißt "Keine Aufstiegsgeschichte - warum Armut psychisch krank macht". Denn inzwischen ist er davon überzeugt, dass zwischen beidem ein Zusammenhang besteht.

Armut erzeugt permanenten Stress

Nicht umsonst gebe es unter armen Menschen viel mehr psychische Erkrankungen als in anderen Gesellschaftsschichten: „Dauernd prekär leben, jeden Euro umdrehen, zu gucken, wie lange funktioniert die Waschmaschine noch, und das alles sorgt für ein Klima von Stress, von Angst vor der Welt, von Deprivilegierung."

„Von der Hand in den Mund – wenn Arbeit kaum zum Leben reicht“: Das ist das Thema der Deutschlandradio-Denkfabrik 2022. Das ganze Jahr über beschäftigen wir uns in Reportagen, Berichten, Diskussionen und Interviews mit der Lage der Arbeitswelt in Deutschland. Alle Beiträge dazu können Sie hier nachhören und nachlesen.

In einem reichen Land wie der Bundesrepublik müssten solche Zustände nicht sein, sagt der Journalist.
„Es ist eine Frage der Gerechtigkeit, ob Geld immer weiter nach oben strömt oder ob wir das als Gesellschaft verhindern und sagen: Der Ausschluss, den wir dadurch produzieren, der erfordert so viele Kosten, auf sozialer, auf persönlicher Ebene, das wollen wir als Gesellschaft nicht weiter tragen.“

Bürgergeld ist nicht viel besser als Hartz IV

Auch die Pläne der neuen Bundesregierung, Hartz IV durch ein Bürgergeld ersetzen, verbessern die Situation nach Einschätzung Davids nicht.
"Es gibt ein bisschen bessere Möglichkeiten, selber Geld dazuzuverdienen, aber letzten Endes wird das Bürgergeld nicht so aufgestockt, dass die Leute aus der Armut befreit werden", sagt er. "Ich muss kein Politiker sein, um zu sehen, dass Bürgergeld dasselbe in Grün ist und nicht viel besser. Ich glaube, wir können es uns leisten, Leute nicht in Armut zu halten, die keine Arbeit haben.“
(uko)

Olivier David: "Keine Aufstiegsgeschichte - warum Armut psychisch krank macht"
Eden Books 2022
240 Seiten, 16,95 Euro

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