Armutsbericht 2021

Armutsquote erreicht Höchststand

08:16 Minuten
Mutter und Tochter beim Einkauf mit Maske und Handschuhen, der Einkaufswagen ist fast leer.
Die Pandemie und die Inflation machen vor allem die ärmer, denen es auch vorher schon finanziell schlecht ging. © Getty Images / E+ / Phynart Studio
Christoph Butterwegge im Gespräch mit Nicole Dittmer · 16.12.2021
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Vier Fünftel der Bürger haben durch die Pandemie keine finanziellen Einbußen erlitten. Doch zugleich schnellt die Armutsquote auf einen neuen Höchststand. Der Armutsforscher Christoph Butterwegge fordert von der Bundesregierung, gegen die Ungleichheit in Deutschland vorzugehen.
Die Armutsquote in Deutschland hat mit 16,1 Prozent – das sind 13,4 Millionen Menschen – im Pandemiejahr 2020 einen neuen Höchststand erreicht.
Dabei ist das Ausmaß der Armut allerdings im Verhältnis zum wirtschaftlichen Einbruch weniger stark angestiegen, unter anderem deshalb, weil Unterstützungsmaßnahmen wie Kurzarbeitergeld höhere Einbußen verhinderten.
80 Prozent der Menschen in Deutschland hatten sogar gar keine coronabedingten Einkommensverluste.

Für die Armen gab es kaum Corona-Hilfen

Corona-Verlierer sind vor allem die, die schon vor der Pandemie arm waren. Und für die sei während der Pandemie kaum etwas getan worden, kritisiert Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, der den Armutsbericht vorgelegt hat.

Es dauerte bis 2021, bevor endlich allen Menschen in Hartz IV und der Altersgrundsicherung wenigstens einmalig 150 Euro zur Verfügung gestellt wurden, bis die Bundesregierung sich durchringen konnte, Menschen in Hartz IV und in der Altersgrundsicherung wenigstens einmalig einen Gutschein für zehn Masken zu überlassen.

Auch die Selbständigen zählen laut dem Armutsbericht zu den Coronaverlierern. Von ihnen gelten inzwischen 13 Prozent als arm – gegenüber neun Prozent bei den abhängig Beschäftigten.

Hohe Vermögensungleichheit als Problem

Der Armutsforscher Christoph Butterwegge zeigt sich überrascht von dem Befund, dass vier Fünftel der Bevölkerung während der Pandemie keine Einkommenseinbußen erlitten haben:
„Mir schien es so, dass schon im ersten Lockdown viele Menschen, selbst über den Kreis der Armen hinaus, mit ihrem regulären Einkommen nicht mehr auskamen und nach Hilfen des Staates gerufen haben.“
Angesichts der hohen Vermögensungleichheit in Deutschland - wo nach Zahlen des DIW 40 Prozent der Bevölkerung kein Vermögen haben - sei es eher so, "dass die Menschen Schwierigkeiten haben, über die Runden zu kommen“, so Butterwegge.

Die Umbenennung in "Bürgergeld" macht niemanden satt

Von der neuen Bundesregierung fordert der Armutsforscher jetzt ein umfassendes Konzept, um die Ungleichheit in Deutschland zu beseitigen.
„Die Umbenennung des Arbeitslosengeldes II in Bürgergeld macht natürlich keinen Armen satt“, sagt Butterwegge mit Blick auf den Koalitionsvertrag. Und hinsichtlich des von Bundeskanzler Scholz immer wieder ins Gespräch gebrachten "Respekts" müsse man fragen, "ob die Beibehaltung der sehr niedrigen Regelsätze wirklich der Würde dieser Menschen angemessen ist".
Eine Steigerung der Hartz-IV-Sätze um weniger als ein Prozent, wie zum 1. Januar beschlossen, bedeute bei gleichzeitigen Preissteigerungen um vier bis fünf Prozent, "dass die Armen bei uns im nächsten Jahr noch ärmer werden".
(uko)
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