Marie Darrieussecq: "Man muss die Männer sehr lieben"

Eine Sehnsucht, die nie erfüllt werden kann

Die französische Autorin Marie Darrieussecq posiert am 12.11.2013 nach der Verleihung des Medicis Literary Prize für ihren Roman "Il faut beaucoup aimer les hommes" in Paris.
Die französische Autorin Marie Darrieussecq posiert nach der Verleihung des Medicis Literary Prize für ihren Roman "Il faut beaucoup aimer les hommes" in Paris. © picture-alliance / dpa / Ian Langsdon
Von Helmut Böttiger · 09.10.2015
Die Heldin von Marie Darrieussecqs Roman ist jung, attraktiv und verkehrt in den hippesten Kreisen. In "Man muss die Männer sehr lieben" garniert die französische Schriftstellerin gängige Klischees und abrufbereite Fantasien stets mit Augenzwinkern und Ironie.
Die 46-jährige Marie Darrieussecq lebt nicht nur als Schriftstellerin, sondern auch als Psychoanalytikerin in Paris. Sie muss also wissen, was sie tut. Als 1997 ihr deutsches Debüt "Schweinerei" erschien, traf es offenkundig voll ins Schwarze: Das Buch umriss auf unverkennbare Weise einen neuen frechen, unabhängigen Frauentyp, mit sexuellen Eskapaden und Lust an Provokation und Geschmacksverletzungen, und lieferte damit eine ideale Klarsichtfolie für die gerade akut werdenden Gender-Studies jenseits aller alten feministischen Moral und Botschaft.
Ihr aktueller Roman weist schon im Titel ein entsprechendes Raffinement auf: "Man muss die Männer sehr lieben" – das ist auf der einen Seite höchst Frauenzeitschrift kompatibel, der wissende Stoßseufzer jeder erfahrenen Frau, auf der anderen Seite aber auch äußerst anspielungsreich. Denn dieser Titel ist nicht nur die direkte Übersetzung eines Satzes von Marguerite Duras, sondern er weist auch philosophisch absolut abgedichtet auf etwas Unmögliches hin, auf eine Sehnsucht, die nie erfüllt werden kann.
Ein Model als perfekte Projektionsfläche
Mit der Hauptfigur Solange, die als Model und Schauspielerin bis nach Hollywood gelangt ist, schafft Darrieussecq eine perfekte Projektionsfläche für den Durchschnitt der Leserschaft entsprechender Magazine. Solange ist jung, attraktiv und verkehrt in den hippesten Kreisen, treibt sich auf exklusivsten Parties der Filmszene herum und spricht davon in einem solch kennerischen, wissenden Ton, als wenn man ihr überhaupt nichts mehr vormachen könnte. Sie kann es sich sogar leisten, den Regisseur Steven Soderbergh abblitzen zu lassen, der genauso unter Klarnamen auftritt wie etwa Matt Damon, mit dem Solange in einem blutigen Science-Fiction-Film gemeinsam aufgetreten ist. Und der geheimnisvolle "George", der immer nur mit Vornamen genannt wird und um den allenthalben ein großes Raunen herrscht, heißt mit Nachnamen unverkennbar Clooney, das kann sich jeder zusammenreimen.
Solange hatte außerdem schon mit 18 eine kleine Rolle bei Jean-Luc Godard! Sie ist also bestimmt kein harmloses, naives Püppchen, sondern verbindet die Glitzerwelt der reinen Oberfläche souverän mit Intellektualität und Durchblick. Aber dann fällt ihr ein schwarzer Mann ins Auge, wie er so auf der Brüstung über einem Canyon steht, und alles ist vorbei. Das liegt vor allem an "einem kraftvollen Selbstbewusstsein, einer Aufwärtsbewegung, die das Kreuz erfasst, den hellenischen Hals – eine antike Statue, in einem Wurf die Menschheit schlechthin."
Keine Angst vor großen Gefühlen
Weiße Frau, schwarzer Mann, keine Angst vor Pathos und großen Gefühlen, abrufbereite Klischees und Fantasien – aber Marie Darrieussecq stellt sämtliche Fallen erstmal bloß auf. Sie tut alles dafür, dass sie als Autorin nicht ständig in sie hineintappt, sondern nur gelegentlich. Es gibt immerfort ein Augenzwinkern, eine selbstironische Koketterie und eine gedankenvolle Problematisierung der Lage. Man kann die Story, die sich vor allem darum dreht, dass der angebetete Mann in seiner afrikanischen Heimat Joseph Conrads "Herz der Finsternis" verfilmen will, vielleicht sogar als Satire lesen, wenn man es denn will, aber gleichzeitig auch als Auseinandersetzung mit Rassismus, mit Rollenzuschreibungen und als postkoloniale Studie.
Für alle Lesarten streut die Autorin penibel ein paar Hinweise ein. Und sie schafft damit schon ein kleines Wunder: Man schämt sich am Schluss gar nicht mehr so richtig, dass man dieses schablonenhaft kalkulierte und effekthascherische Buch gelesen hat. Aber im Vordergrund bleibt doch immer der Stoßseufzer, da geht sie auf Nummer sicher und lässt keine Fragen offen.

Marie Darrieussecq: "Man muss die Männer sehr lieben"
Roman
Aus dem Französischen von Patricia Klobusiczky
Carl Hanser Verlag, München 2015
251 Seiten, 21,90 Euro

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