Kurz und Kritisch

Von Ernst Rommeney |
Als "dummer Soldat" hielt Ullrich nicht mit Wahrheiten aus der NVA hinterm Berg, Bieneck beschreibt die Leiden im Arbeitslager im Nord-Ural und Kai Dieckmann deckt das Geschäft mit dem Menschenhandel in der DDR auf.
Briefe aus der NVA kosteten Eckhard Ullrich das Volontariat
Eckhard Ullrich hatte sich vorgenommen, ein Armeetagebuch zu schreiben. Aber er kam nicht dazu während der anderthalb Jahre seines Grundwehrdienstes in der NVA. Stattdessen schrieb er Briefe an seine Eltern, an Freundinnen und ehemalige Mitschüler, auch an die Suhler Zeitungsredaktion, bei er 1971 als Volontär vorgemerkt war.


Rückblickend hält er sich für einen dummen Soldaten, der den Riesenunterschied nicht begriffen habe, einen Befehl zu verweigern oder ihn nicht auszuführen, der vor allem nicht bedachte, dass er geheime Mitleser hatte. So erhielt er dann doch nicht das Volontariat und verlor erst einmal seine Studienzulassung.

Offen kritisierte er Drill und Demütigungen, Schindereien und Strafen – das alles bei schlechtem Essen, schrieb unbefangen über den Dienstalltag, sorgte sich, aus Langeweile zum Alkoholiker heruntergekommen zu sein, las irgendwann wieder Bücher, verfasste Gedichte und Kurzgeschichten, dachte über sich nach.

So überstand er den "Ehrendienst", studierte Philosophie, wurde Literaturkritiker und Publizist. Jetzt hat er die alten Texte wieder hervorgeholt, weil es an authentischen Zeugnissen von Soldaten der DDR mangelt.

Cover Eckhard Ullrich: "Kulturschock NVA"
Cover Eckhard Ullrich: "Kulturschock NVA"© Ch. Links Verlag
"Kulturschock NVA". Eckhard Ullrichs Briefe eines Wehrpflichtigen 1971-1973, Ch. Links Verlag, 224 Seiten, 19,90 Euro.


Ein Telefonbuch brachte Horst Nieneck ins Arbeitslager
Innerhalb von 20 Minuten war er zu 20 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden – von einem sowjetischen Militärgericht in Deutschland, nach nächtelangen Verhören, erst in Einzelhaft gesperrt, dann zusammengelegt mit einem Zellengenossen, der ihn bespitzelte.

Vor allem wusste Horst Bienek nicht, warum ihm das geschah. Der 20-Jährige gehörte zu einer Gruppe surrealistischer Literaten, war Schüler Berthold Brechts, der nicht nach ihm suchte, als er plötzlich verschwand. 1952 war er verhaftet worden. Spionage und antisowjetische Hetze wurden ihm vorgeworfen, weil er seinem ehemaligen FDJ-Führer ein Telefonbuch aus Potsdam besorgt hatte. Der alte Bekannte hatte nämlich als CIA-Agent in West-Berlin angeheuert.

Fast vier Jahre lang musste er unter Tage in einer Kohlegrube schufen, im Schacht 29 von Workuta am polaren Nord-Ural, wurde vorzeitig in die Heimat entlassen, behielt starke Rückenschmerzen zurück, arbeitete fortan als Schriftsteller, Künstler und Filmemacher, und starb 1990 in München. Auf seinem Schreibtisch fand sich ein nüchterner Bericht über die Zeit im sowjetischen Arbeitslager. Ein Jahr später wurde das Strafurteil als Unrechtssache kassiert.

Cover Horst Bienek: "Workuta"
Cover Horst Bienek: "Workuta"© Wallstein Verlag
Horst Bienek über "Workuta", Wallstein Verlag Göttingen, 80 Seiten, 14,90 Euro, auch als ebook erhältlich.


Kai Diekmann schreibt über das unmoralische Geschäft mit dem Humanitären
Es sei ein unschöner Handel gewesen, den die beiden deutschen Staaten zwei Jahren nach dem Mauerbau vereinbarten. Ludwig Rehlinger erinnert sich an bittere Zeiten, als er aus Listen politische Gefangene auszuwählen hatte, die anschließend die Bundesrepublik aus Haftanstalten der DDR freikaufte – gegen Geld oder Waren.

Das zwiespältige Gefühl, aus humanitären Gründen an einem unmoralischen Geschäft teilzunehmen, nahm bis zur deutschen Einheit eher zu als ab, es begleitete ihn ein Beamtenleben lang vom Referenten bis zum Staatssekretär im Bundesministerium für innerdeutsche Angelegenheiten.

Kai Diekmann, Chefredakteur der "Bild"-Zeitung, und ein Autorenteam zitieren ihn und viele andere, erzählen von einzelnen Schicksalen, beschreiben den Menschenhandel der DDR – für alle Phasen reich bebildert. Noch nachträglich widert die Kehrseite des Humanitären an, das korrupte und zynische Verhalten der Staatssicherheit.

Willkürlich setzte sie Kopfgelder fest, verkaufte schon mal Kriminelle, Rentner oder erfundene Personen. Ja, in der Schlussphase kam Rehlinger der Verdacht, es würden Gefangene extra fürs einträgliche Geschäft gemacht. Die Unterhändler verdienten ausgesprochen gut, der Bereich Kommerzielle Koordinierung unter Alexander Schalck-Golodkowski blühte auf und ermöglichte der sozialistischen Funktionärselite Konsum auf Westniveau.

Cover Kai Diekmann: "Freigekauft"
Cover Kai Diekmann: "Freigekauft"© Piper Verlag
"Freigekauft". Kai Diekmann über den DDR-Menschenhandel, Piper Verlag München, 208 Seiten, 17,99 Euro.