Kristine Bilkau: "Eine Liebe, in Gedanken"

Träumen und erinnern

"Eine Liebe in Gedanken" von Kristine Bilkau
Buchcover "Eine Liebe in Gedanken" von Kristine Bilkau © Verlag Luchterhand/imago/Westend61
Von Ursula März · 06.04.2018
Was wäre wenn? So lässt sich wohl "Eine Liebe in Gedanken" von Kristine Bilkau zusammenfassen. Die Tochter findet Briefe und Fotografien ihrer verstorbenen Mutter und begibt sich auf die Suche nach der damaligen Jugendliebe. Das ist mit großem Taktgefühl gegenüber den Figuren erzählt.
Eine junge Frau sortiert nach dem Tod ihrer Mutter deren Hinterlassenschaft. Sie findet Briefe und Fotografien, aus denen sie die Liebesgeschichte rekonstruiert, die ihre Mutter erlebte, als sie selbst, die Ich-Erzählerin, noch nicht auf der Welt war. Die Rahmengeschichte des zweiten Romans von Kristine Bilkau, deren 2016 erschienenes Debüt "Die Glücklichen" beim Publikum wie bei der Kritik großen Anklang fand, wirkt auf den ersten Blick etwas konventionell. Dieses Nachspüren in die Biografie der eigenen Eltern, ausgelöst durch Dokumente und Bilder, kennt man aus zahlreichen Büchern, es ist ein bewährter Topos der Generationenliteratur. Allerdings ist Kristine Bilkaus Roman ein Beispiel für den Auftritt des Bewährten in origineller Gestalt.

Nichts, so scheint es zunächst, steht ihnen im Weg

Das liegt zum einen an der kraftvollen und zugleich elegischen Liebesgeschichte, die Kristine Bilkau erzählt. Sie beginnt im Jahr 1964. Antonia und Edgar, beide Anfang zwanzig, beide begierig darauf, ihr Leben in die Hand zu nehmen und frei zu gestalten, verlieben sich Hals über Kopf ineinander. Nichts und niemand, so scheint es zunächst, kann ihrer Leidenschaft im Weg stehen; nicht die strenge, noch den 50er-Jahren verpflichtete Moral der Eltern, nicht Edgars Karrieresprung. Er ergreift das Angebot seiner Firma, in Hongkong ein Büro aufzubauen. Antonia soll, so ist es vereinbart, ein paar Monate später nachkommen. Aber unmerklich löst sich der Plan in Luft auf. Die gemeinsame Zukunft gerät immer weiter außer Reichweite, ohne dass die Liebenden dies wirklich wollten.
Nicht der Mangel an Gefühl, sondern der Mangel an Entschiedenheit bringt das Paar auseinander, wohl auch die Indifferenz einer historischen Zwischenepoche, die Kristine Bilkau so plastisch wie einfühlsam darstellt. Die Lebensmodelle der Nachkriegszeit sind verbraucht, die der 68er-Revolte bislang nur zu erahnen. Antonias Bereitschaft, sich dem Abenteuer auszuliefern, geht ins Leere. Sie wird zu einer Frau, die in Träumen und Erinnerungen lebt und noch Jahrzehnte später jedes Jahr mit dem Auto an Edgars Elternhaus vorbeifährt, um zu schauen, ob er zu Besuch ist.

Auf der Suche nach Edgar

Zum anderen aber verschränkt der Roman auf elegante Weise die Vergangenheit mit der Gegenwart, Antonias Liebe zu Edgar mit dem Verhältnis der Ich-Erzählerin zu dieser Mutter, deren Leben immer etwas Provisorisches, Ungeordnetes, Ruheloses anhaftete. Sie selbst steht mit beiden Beinen fest auf dem Boden, führt ein intaktes, wenn auch ein wenig pragmatisches Familienleben. Die seelischen Achterbahnfahrten der Mutter sind ihr fremd – aber auch deren Ideale und Illusionen. Je intensiver sie sich mit der Geschichte der Mutter befasst, desto mehr beginnt sie, sich nach deren "Liebe in Gedanken" zu sehnen. Und sie begibt sich schließlich auf die Suche nach Edgar, führt sogar ein Treffen mit dem nun alten Mann herbei, der unter anderen Umständen ihr Vater hätte werden können.
Kristine Bilkaus zweiter Roman besticht wie ihr Debüt durch einen federnden, unaufdringlichen Sprachstil, durch literarische Intelligenz und durch außerordentliches Taktgefühl gegenüber ihren Figuren.

Kristine Bilkau: "Eine Liebe in Gedanken"
Verlag Luchterhand, München 2018
253 Seiten, 20,00 Euro

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