Kontroverse um Eugen Gomringers Gedicht

Kunstfreiheit versus Sexismusvorwurf

Eugen Gomringer in einem Treppenhaus.
Der Dichter Eugen Gomringer © Imago / Viadata
Max Oppel im Gespräch mit dem Hochschul-Rektor Uwe Bettig · 01.09.2017
Das Gedicht "avenidas" von Eugen Gomringer schmückt die Fassade der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin. Alleen, Blumen, Frauen, ein Bewunderer kommen darin vor. Der Asta der Hochschule will es entfernen lassen - es sei sexistisch. Ein Interview mit dem Rektor Uwe Bettig.
Auf der Südfassade der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin steht es: das spanische Gedicht "avenidas" von Eugen Gomringer.
Mit folgendem Wortlaut:
avenidas
avenidas y flores
flores
flores y mujeres
avenidas
avenidas y mujeres
avenidas y flores y mujeres y
un admirador
Übersetzt auf Deutsch, heißt es in dem Gedicht:
Alleen
Alleen und Blumen
Blumen
Blumen und Frauen
Alleen
Alleen und Frauen
Alleen und Blumen und Frauen und
ein Bewunderer

Gedicht könnte auch erhalten bleiben

So kam es zu dem Gedicht: Eugen Gomringer hat 2011 den Poetik-Preis der Hochschule bekommen und sich mit "avenidas" bedankt.
Nun haben sich Studierende beschwert, das Gedicht sei sexistisch, und müsse entfernt werden. Der Allgemeine Studierendenausschuss der Hochschule (Asta) schrieb dazu in einem Offenen Brief:
"Dieses Gedicht reproduziert nicht nur eine klassische patriarchale Kunsttradition, in der Frauen ausschließlich die schönen Musen sind, die männliche Künstler zu kreativen Taten inspirieren, es erinnert zudem unangenehm an sexuelle Belästigung, der Frauen alltäglich ausgesetzt sind."
Der Asta hat bewirkt, dass Rektor Uwe Bettig die Fassaden-Gestaltung neu ausschreibt.
"Ich selber halte das Gedicht für völlig richtig und würde mich freuen, wenn es erhalten bleibt", sagt Uwe Bettig im Interview. Er habe lediglich einen Wettbewerb ausgeschrieben, da sei noch alles offen. "Ein Vorschlag wird auch lauten, die Wand wie sie ist, zu erhalten."
"Wir nehmen das natürlich ernst, wenn Studierende sich diskriminiert fühlen", sagt der Rektor der Alice-Salomon-Hochschule. Auf einige wirke das Gedicht sexistisch, weil Frauen mit Blumen und Alleen in eine Reihung gesetzt werden. "Und somit zu einer Sache degradiert werden und nur aufgrund des Frauseins bewundert werden", erklärt Bettig. Dass viele Leute diese Begründung nicht nachvollziehen können, könne er gut verstehen.
Die Schriftstellerin Nora Gomringer
Die Schriftstellerin Nora Gomringer© Judith Kinitz
Tatsächlich stösst die Forderung der Asta auf massive Kritik. So möchte etwa die Tochter von Eugen Gomringer, Nora Gomringer, dass das Gedicht an der Wand bestehen bleibt.
Als Reaktion auf die Studierenden schrieb Nora Gomringer in der Tageszeitung "Welt":
"Geopfert werden dabei: die Autonomie eines Kunstwerks, der Ruf eines Dichters, der droht, zum Sexisten diffamiert zu werden und eine Hauswand."

Hören Sie hier auch Ausschnitte aus Nora Gomringers Plädoyer für den Erhalt des Gedichts:

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