Kinder und Mediensucht

Nur das Vorbild zählt!

04:14 Minuten
Ein Paar sitzt auf dem Sofa, beide sind mit ihrem Smartphone beschäftigt. Dazwischen sitzt ein kleines Mädchen.
Eltern am Smartphone: Es führt kein Weg daran vorbei, sich selbst an Regeln zu halten, rät Tanja Dückers. © imago images / Panthermedia / Andrey Popov
Ein Standpunkt von Tanja Dückers · 05.09.2019
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Wenn Kinder nur im Netz oder vor der "Glotze" hängen, sorgt das regelmäßig für Familienstreit. Aber statt sich über wirksame Strafen auszutauschen, sollten Eltern zuerst ihren eigenen Medienkonsum bändigen, fordert die Schriftstellerin Tanja Dückers.
Die elterliche Sorge ist berechtigt. Zahlreiche Studien weisen auf den Zusammenhang zwischen der Mediennutzung von Kindern und Hyperaktivität, Konzentrations- und anderen Aufmerksamkeitsstörungen, Übergewicht, Gelenkbeschwerden und anderen psychischen und physischen Beschwerden hin.
Ganz zu schweigen von Mobbing, Betrug, sexueller Belästigung, Kindesmissbrauch und anderen Formen der Internetkriminalität, der Kinder und Jugendliche ausgesetzt sein können.

Medienzeiten von Kindern klar regulieren

Während es bis in die Nullerjahre unter den Pädagogen noch viele Internet-Euphoriker gab, ist die Zahl skeptischer Medienwissenschaftlerinnen und Medienwissenschaftler in den letzten Jahren größer geworden. Dass Kinder weit mehr vom fühlbaren Umgang mit der greifbaren Welt profitieren als vom Konsum digitaler Informationen ist mittlerweile Konsens.
Bei unter zwölfjährigen Kindern ist das Abstraktionsvermögen noch nicht entfernt mit dem eines Erwachsenen vergleichbar. Sie müssen die Welt erst einmal fühlen, hören, sehen, riechen und schmecken lernen. Pädagogen predigen daher: Medienzeiten sollen von Eltern klar reguliert und inhaltlich kontrolliert werden.

Einigkeit von Augustinus bis Jesper Juul

Doch all diesen Erkenntnissen steht eine andere jahrtausendalte Einsicht entgegen: Nichts prägt Kinder so nachhaltig wie das Vorbild der Eltern. So notierte schon der Philosoph Augustinus: "Das Leben der Eltern ist das Buch, aus dem Kinder lesen".
Von dem französischen Philosophen und Essayisten Joseph Joubert ist das Zitat überliefert: "Auf Kinder wirkt das Vorbild, nicht die Kritik." Im 20. Jahrhundert ulkte Karl Valentin: Kinder zu erziehen mache eh keinen Sinn, denn sie machen einem ja sowieso alles nach.
Im 21. Jahrhundert erinnerte der kürzlich verstorbene, renommierte, dänische Familientherapeut Jesper Juul europaweit die Eltern an ihre Vorbildfunktion. Eltern, die den Medienkonsum ihrer Kinder reglementieren möchten, sollten also erstmal bei sich selbst anfangen.
Der tägliche Fernsehkonsum betrug im Jahr 2018 pro Bundesbürger 217 Minuten am Tag. Das sind mehr als dreieinhalb Stunden. Vor 20 Jahren saßen die Menschen täglich noch eine Stunde weniger vor der Kiste. Die Popularität des Internets ist also nicht auf Kosten des Fernsehkonsums gegangen.
Mit Abstand am längsten sitzen die über 50-Jährigen vor dem Fernseher. Auch Online sind die Menschen immer öfter unterwegs: Drei Stunden und zehn Minuten verbringt der Bundesbürger täglich im Internet.

"Heute schon mit Ihrem Kind gesprochen?"

Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat nun ein neues Plakat in Umlauf gebracht: Vater und Mutter starren beide am Frühstückstisch auf ihr Handy, neben ihnen sitzt ein Kleinkind vor seiner Breischale. "Heute schon mit Ihrem Kind gesprochen?", prangt über der Familienszene.
Im Internet beschweren sich Kinder schon seit Jahren über ihre Eltern: Eine Grundschülerin erlangte im vergangenen Januar mediale Berühmtheit, als sie in der Schule einen Aufsatz schrieb mit dem Titel "Ich hasse das Handy meiner Mama".
Den Kindern war die Frage gestellt worden, welche Erfindung sie nicht mögen und warum. Doch statt der Atombombe oder der Landmine fiel dem Kind das Smartphone der Mutter ein.

Kein Handy beim Familienfrühstück

Liebe Eltern, es führt einfach kein Weg daran vorbei: Halten Sie sich selbst an Regeln, was Ihr eigenes Chatten, Surfen, Spielen, Googeln und WhatsAppen betrifft - zum Beispiel an diese: Spiele nicht auf deinem Smartphone herum, während du mit deinem Kind sprichst. Oder: Lass das Handy beim Frühstück aus.
Die Strafe bei einem Regelverstoß dürfen sich dann die Kinder überlegen.

Tanja Dückers, geboren 1968 in Berlin (West), ist Schriftstellerin, Publizistin, Literaturwissenschaftlerin. Zu ihren Werken zählen die Romane "Himmelskörper", "Der Längste Tag des Jahres", "Spielzone" und "Hausers Zimmer", der Essayband "Morgen nach Utopia" sowie mehrere Lyrikbände und Kinderbücher. Zuletzt erschien der autobiografisch gefärbte Rückblick "Mein altes West-Berlin". Tanja Dückers schreibt regelmäßig über gesellschaftspolitische Themen für ZEIT Online und Deutschlandfunk Kultur.

© Anton Landgraf
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