Journalistenmorde in Mexiko

Permanente Angst, dass es die letzte Recherche sein könnte

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Eine TV Reporterin mit geschminkter Totenmaske im Gesicht in Tijuana, Mexico. 30. Oktober 2020. (Symbolbild)
Seit dem Jahr 2000 wurden in Mexiko mehr als hundert Reporterinnen und Reporter ermordet (Symbolbild) © Getty Images / Francisco Vega
Anne Demmer im Gespräch mit Katja Bigalke und Dennis Kogel · 19.12.2020
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Drogenkartelle, Gewalt und Korruption: Mexiko gilt als das weltweit gefährlichste Land für Journalisten. Die Zahl der Morde ist seit Jahren gleichbleibend hoch. Trotzdem gibt es weiter Reporter, die unter Einsatz ihres Lebens recherchieren.
Seit dem Jahr 2000 wurden in Mexiko mehr als hundert Reporterinnen und Reporter ermordet. Das Land gilt weltweit als das gefährlichste für Medienschaffende. Die Verbrechen werden selten geahndet, die Täter fast nie gefasst. In 99 Prozent der Fälle gibt es überhaupt keine Urteile. Wer sind die Opfer und was treibt die Journalistinnen und Journalisten in Mexiko an, sich den Bedrohungen und der reellen Gefahr für sich, Familien und Freunde auszusetzen?

Plakate mit Drohungen

Opfer der Gewalt seien oft Lokaljournalisten, die investigativ arbeiteten und die Verbindungen zwischen dem organisierten Verbrechen, Politik und Polizei sowie Militär aufdeckten, sagt die ARD-Korrespondentin in Mexiko, Anne Demmer.
Die Journalisten erhielten Drohungen, ihre Autos würden in Brand gesteckt, die Büros beschossen. Am Straßenrand hingen Plakate mit Drohungen gegen sie und ihre Familien. "Das geht natürlich an niemandem spurlos vorbei", sagt die Hörfunkjournalistin.

Weitermachen – trotz der Gefahr

Ein Opfer ist der Journalist Javier Valdez. Er wurde im Mai 2017 ermordet. Valdez hatte über das Sinaloa-Drogenkartell recherchiert, das in Teilen Mexikos mächtiger ist als der Staat.
Vor seiner Ermordung hatte Valdez noch für eine Konferenz in Mexiko-Stadt eine Rede geschrieben, in der er erklärte, warum er trotz der Bedrohungen weitermachte: "Aufzuhören mit dem Schreiben, für mich wäre das, als müsste ich aufhören zu gehen, zu fühlen, das Leben zu erfahren. Es wäre Sterben für mich. Schweigen wäre eine Form der Komplizenschaft – und des Todes. Und ich, ich bin weder Komplize, noch bin ich tot."
Seine Rede konnte er nie halten, denn er wurde drei Wochen vor der Konferenz auf offener Straße erschossen, mutmaßlich im Auftrag des Sinaloa-Drogenkartells.

Menschen, die für ihre Ideale ihr Leben aufs Spiel setzen

"Viele Journalisten leben mit der permanenten Angst, dass es die letzte Recherche sein könnte", sagt Demmer. Trotzdem gebe es weiterhin journalistischen Nachwuchs:
"Das sind junge Menschen, die in dieser Realität aufwachsen, die etwas verändern wollen. Das sind Menschen mit wirklich großen Idealen, die dann auch ihr Leben aufs Spiel setzen. Es sind aber letztlich nur eine Handvoll junge Journalisten, die diesen Weg einschlagen und tatsächlich auch investigativ arbeiten. Viel verdienen tut man damit natürlich nicht. Die meisten haben auch noch einen anderen Job."

Das Kartell-Projekt
Um die Geschichten ihrer ermordeten Kollegen weiter zu verfolgen und zu veröffentlichen, hat das internationale Journalisten-Netzwerk "Forbidden Stories" das "Kartell-Projekt" ins Leben gerufen.
Unter dem Motto "Killing the journalist won’t kill the story" recherchierten sie in 18 verschiedenen Ländern über die weltweit agierenden mexikanischen Kartelle und ihre politischen Verbindungen. Die Geschichten erschienen in Deutschland in der ZEIT, der Süddeutschen Zeitung, dem NDR und dem WDR.

Es gibt in Mexiko inzwischen auch Bestrebungen Journalistinnen und Journalisten zu schützen. So wurde eine Behörde eingerichtet, die sich mit der Unterdrückung der Presse und deren Vertreter befassen soll – das "Fiscalía Especial para la Atención de Delitos cometidos contra la Libertad de Expresión​".

"Woher weiß ich, dass die Polizei mich wirklich schützt?"

Doch kam es laut der Nichtregierungsorganisation Articulo 19 bei 1140 Untersuchungen zwischen 2010 und 2018 zu lediglich zehn Verurteilungen. Zudem sei die Zahl der Morde seit Jahren gleichbleibend hoch, sagt Demmer. Rund 800 Journalistinnen und Journalisten sind auch Teil staatlicher Schutzprogramme. Doch in den vergangenen Jahren wurden mindestens sieben von ihnen trotzdem ermordet.
"Und auch da sagen Journalisten: Woher weiß ich denn, dass die Polizei mich wirklich schützt oder nicht im Gegenteil am Ende eine Bedrohung für mich ist? Weil auch dieser Polizist, der vor meiner Tür steht, doch auch Teil der korrupten Strukturen ist?", so Demmer.

Mexikos Präsident diskreditiert Journalisten

Der mexikanische Präsident Andrés Manuel López Obrador sei zwar mit dem Versprechen angetreten, die Gewalt im Land einzudämmen und die Korruption zu bekämpfen. Aber gerade im Kampf gegen das organisierte Verbrechen gelinge es ihm nicht, Erfolge aufzuweisen. Nach wie vor würden in Mexiko jeden Tag hundert Menschen getötet. Daran habe auch die Pandemie nichts geändert.
Der mexikanische Präsident Andrés Manuel López Obrador am 15. September 2020 in Mexico City.
Andrés Manuel López Obrador © Getty Images / Hector Vivas
Zu Journalisten habe der Präsident ein sehr schwieriges Verhältnis, sagt Demmer. "Diejenigen, die ihn kritisieren, diskreditiert er. Er hat sogar mal eine Liste mit Namen von Journalisten veröffentlicht, die ihm missfallen. Das ist natürlich quasi eine Einladung an diejenigen, die gegen die Presse vorgehen wollen. Das kann in Gewalt enden."
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