Jens Jessen über Demokratie

"Man braucht einen mittleren Pegel öffentlicher Erregung"

Jens Jessen
Jens Jessen ist Redakteur bei der Wochenzeitung "Die Zeit". © picture-alliance/ dpa / Steffen Kugler
Jens Jessen im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 20.09.2017
Wie viel Polarisierung tut einer Demokratie gut? Zeit-Redakteur Jens Jessen ist überzeugt: Wenn Widersprüche heruntergedimmt werden, wirkt das entpolitisierend. Andererseits mache zu viel Zuspitzung Kompromisse unmöglich, auf die die Demokratie angewiesen sei.
US-Präsident Trump poltert vor den Vereinten Nationen, droht mit der "Zerstörung Nordkoreas" und bezeichnet Kim Jong Un als "Raketenmann auf Selbstmordmission". Seine Rede hat ein weltweites Echo. Währenddessen warnt Bundespräsident Steinmeier vor dem "Fieber des Autoritären" und vor Klamauk in der Politik. Seine Botschaft bleibt weitgehend ungehört. Jens Jessen meint, das könne man Steinmeier schlecht vorwerfen:
"Das liegt daran, dass er selber und die Institution, die er verkörpert, für die Leute, die hier Krawall machen, einfach belanglos ist. Steinmeier ist für die AfD-Anhänger ein typischer Vertreter der - wie sie immer im Jargon der Weimarer Republik sagen - 'Altparteien'. Er hat einfach keinen Kredit, er kann sagen, was er will, das ist denen völlig Wurst."

Demokratie ist auf Kompromisse angewiesen

Steinmeier als Aushängeschild einer funktionierenden, tendenziell aber langweiligen Demokratie? Demokratische Öffentlichkeit müsse "ausgepegelt" werden, meint Jessen: "Es ist entpolitisierend, wenn man die Widersprüche herunterdimmt und auf zu viel Wut und Geschrei und Empörung verzichtet." Am Ende werde auch ein Wahlkampf langweilig - "wie wir es ja erlebt haben". Andererseits sei eine Zuspitzung zwischen einem großen rationalen Block und den Populisten schlecht. Diese Zuspitzung entstehe sofort, wenn sich der rationale Block herunterdimme:
"Aber man darf die Zuspitzung natürlich und den Hass und die Polarisierung auch nicht zu hoch eskalieren lassen, weil dann der Gedanke verschwindet, man könnte je wieder einen Kompromiss finden. Darauf ist aber Demokratie ja leider angewiesen. Anders geht es nicht. Das heißt, es muss irgendwie (…) so eine mittlere Pegelstellung der öffentlichen Erregung erreicht werden."
(bth)
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