Jean Ziegler: "Der schmale Grat der Hoffnung"

Glück für alle ist möglich

Buchcover "Der schmale Grat der Hoffnung" von Jean Ziegler. Im Hintergrund ein Mädchen in einem Slum in Kairo.
Buchcover "Der schmale Grat der Hoffnung" von Jean Ziegler. Im Hintergrund ein Mädchen in einem Slum in Kairo. © Verlag C.Bertelsmann / dpa / Khaled Elfiqi
Von Paul Stänner · 01.04.2017
Fast 83 Jahre ist Jean Ziegler alt: Doch in seinem Einsatz gegen Armut und Ungerechtigkeiten nimmt es der Schweizer Soziologe mit jedem jungen Revoluzzer auf. In "Der schmale der Hoffnung" zieht der Weltverbesserer jetzt eine Bilanz all seiner Kämpfe und Konflikte.
Wenn man die ersten 30 Seiten von Jean Zieglers neuem Buch gelesen hat, neigt man - anders als an gewöhnlichen Tagen - zu radikal linksextremistischen Ideen. Dann hat man Zeilen gelesen wie diese:
Zwischen den extrem Reichen und der anonymen Masse der Ärmsten wächst die Ungleichheit unaufhaltsam an. Die Finanz- und Wirtschaftskraft der 562 reichsten Personen der Welt ist zwischen 2010 und 2015 um 41 Prozent gewachsen, während die der 3 Milliarden ärmsten Menschen um 44 Prozent abgenommen hat.

Ein Prozent gegen 99

2015, schreibt Ziegler, besaß ein Prozent der reichsten Personen der Erde mehr Vermögenswerte als die 99 Prozent der restlichen Menschheit. Ein Prozent gegen 99 Prozent - da müsste sich, denkt man, doch was machen lassen, um die Welt besser zu gestalten. Aber so einfach scheint es eben nicht zu sein. Jean Ziegler zieht in seinem Buch eine gemischte Bilanz:
Meine gewonnenen und verlorenen Kämpfe und die, die wir gemeinsam gewinnen werden.
"Die, die wir gemeinsam gewinnen werden." Das klingt schon ein wenig nach sozialistischem Optimismus à la Bert Brecht - und deshalb eher wie das Pfeifen im Walde. Aber es beschreibt den Grundoptimismus des Politikers Jean Ziegler. Der ist ja nun hinlänglich bekannt als ein Schweizer Professor in Diensten der UNO, ob als "Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung" oder als Vizepräsident des Beratenden Ausschusses des UN-Menschenrechtsrats. Der Politiker und Autor Ziegler hat sich immer wieder mit den mächtigen Personen und Institutionen dieser Welt anlegt.
Jean Ziegler bei der lit.Cologne 2017.
Jean Zieglers Denkweise ist nicht allein politisch und links, sondern auch religiös geprägt.© imago - APress

Viele Auseinandersetzungen, viele Feinde

So haben die Schweizer Bankiers und ihre Politiker ihn hassen gelernt, weil er in der Frage der sogenannten "nachrichtenlosen Konten" die jüdischen Kläger unterstützt hat. Die "nachrichtenlosen Konten" waren die Konten von Juden, die von Nazi-Deutschland ermordet worden waren. Und Schweizer Banken versuchten alles, um diese Gelder behalten zu können. Andererseits haben israelische Politiker ihn hassen gelernt, weil er das Leiden der Palästinenser unter der israelischen Besatzung dokumentiert hat.
Und da wir ihn schon erwähnt haben - Bert Brecht taucht auf, Jean-Jacques Rousseau taucht auf, Friedrich Schiller taucht auf, nicht aber Russlands Putin oder der türkische Erdogan. Und das erzählt uns einiges über das Weltbild des Jean Ziegler.

Auskunft zu religiösen Beweggründen

Ziegler, der sich oft und hartnäckig mit mächtigen Gegnern angelegt hat, gibt Auskunft über seine Motive - ein persönliches Bekenntnis, das zeigt, dass seine Denkweise nicht allein politisch und links ist, sondern auch religiös geprägt:
Ich glaube an die fortschreitende Menschwerdung des Menschen. Im Laufe meines Lebens habe ich so viel Liebe erfahren, dass es mir unmöglich ist, nicht an das Werk Gottes zu glauben. Wir sind nicht zufällig auf dieser Welt, und der Horizont unserer Geschichte ist das Glück aller.
Ziegler beschreibt seinen Kampf mit dem Endziel "Glück für alle" spannend und faszinierend. Viele Akteure der internationalen Politik tauchen auf und werden charakterisiert. Henry Kissinger erhält eine vernichtende Abfuhr. Jassir Arafat ist schon alt und nicht mehr richtig bei Sinnen, Francois Mitterand hat serbische Kriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof beschützt. Kofi Annan dagegen war bewundernswert und wurde auf amerikanisches Drängen durch einen blassen Ban Ki Moon ersetzt.

Lob an UN-Mitarbeiter der zweiten Reihe

Ich habe nicht mit wissenschaftlicher Präzision Statistik geführt, aber mir scheint, dass die Figuren in der ersten Reihe durch die Bank eher egozentrische Machtmenschen sind als Weltverbesserer. Die Spezialisten in der zweiten und dritten Reihe, die Informationen zusammen tragen, die Gutachten erstellen, die im Menschenrechtsrat die Vorlagen erarbeiten, die die Logistik in Krisengebieten organisieren - sie erscheinen nach der Lektüre des Buches als die Aktivposten der UN. Und in der Tat - die Welt wird besser!
Täglich sind Erfolge zu verzeichnen, die wir der multilateralen Diplomatie und damit der UNO verdanken. Egal, ob es sich um die großen Impfkampagnen der Weltgesundheitsorganisation handelt ( ... ) oder um internationale Arbeitsabkommen zum Schutz der Arbeitnehmer vor Ausbeutung. Diese Erfolge sind das Ergebnis geduldiger, hartnäckiger und häufig im Verborgenen geleisteter Arbeit von Mitarbeitern der UN-Sonderorganisationen.
Schnell lassen sich die Feinde von Jean Ziegler ausmachen: Da sind die Geierfonds, die überschuldete Staaten ausplündern, und die multinationalen Finanzkonzerne, die mittlerweile mehr Macht haben als die vorgeblich souveränen Nationalstaaten. Neben den "Beutejägern", wie Ziegler sie nennt, sind da noch die Vertreter "imperialer Strategien", die auf Beherrschung setzen statt auf den Ausgleich durch multilaterale Diplomatie. Henry Kissinger wird gleichsam als Leitfigur dieser "imperialen Strategen" angeführt.

Vetorecht im Sicherheitsrat ist kontraproduktiv

Das aktuelle Problem und der Hemmschuh der UNO: Das ist das Veto-Recht, das - wie das Beispiel Syrien und das Verhalten der Schutzmacht Russland zeigen - das Handeln der Weltgemeinschaft zum Erliegen bringen kann und sie dazu verurteilt, dem Morden zuzusehen. Wer hilft? Nach Zieglers Einschätzung ist das nicht die Europäische Union, deren ...
... schäbige Bürokraten in Brüssel ( ... ) Hunderttausende verfolgter Menschen in Elend und Verzweiflung zurückstoßen.
Einzig die Stärkung und Verbesserung der UN bringt der Welt Fortschritt auf dem Wege des Menschen zur Menschwerdung.
Jean Zieglers Sicht ist herausfordernd eurozentristisch. Russland taucht nicht auf, China nur am Rande. Im Zentrum stehen die europäischen Länder und die USA - wenn man so will, die westliche Wertegemeinschaft, die sich von der christlich-religiösen Grundlage herleitet, auf der auch Ziegler steht.

Strategie der subversiven Integration

Es ist wie im Krimi: Verbrechen lassen sich immer dramatischer schildern als die Aufklärung der bösen Tat. So lesen sich Zieglers Ausblicke auf die Zukunft, die Reformierung der UN und sein Appell, nicht nachzulassen im Kampf für eine vernünftige und bessere Weltordnung bei Weitem nicht so farbig wie die Schilderung der verbrecherischen Skandale.
Aber sie bieten uns Lesern eine gewisse Erleichterung, weil wir von einer kompetenten Person erfahren, dass die Zukunft nicht verloren ist. Man liest das Buch gern, man fühlt sich informiert und motiviert. Und vielleicht kann man sich sogar mit Jean Zieglers Strategie anfreunden, mit der er die Bösen einfangen will:
Ich befinde mich häufig in fragwürdiger Gesellschaft. Trotzdem mache ich weiter. Ich praktiziere etwas, was ich subversive Integration nennen möchte.

Jean Ziegler: Der schmale Grat der Hoffnung. Meine gewonnenen und verlorenen Kämpfe und die, die wir gemeinsam gewinnen werden
Aus dem Französischen übertragen von Hainer Kober
C.Bertelsmann Verlag, München 2017
320 Seiten, 19,99 Euro

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