Ismail Küpeli zum deutsch-türkischen Verhältnis

Sehnsucht nach einer "Macherfigur"

Ein Aufkleber mit dem Konterfei des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan klebt am 06.01.2017 in Bonn (Nordrhein-Westfalen) neben dem hinteren Kennzeichen auf einem Auto. Foto: Henning Kaiser/dpa | Verwendung weltweit
Erdogan als Aufkleber auf einem deutschen Auto © dpa / picture alliance / Henning Kaiser
Ismail Küpeli im Gespräch mit Anke Schaefer · 06.03.2017
Kommt der türkische Präsident Erdogan nach Deutschland oder kommt er nicht? - Sein Auftritt könnte von der AKP missbraucht werden, um die Stimmung unter den Deutsch-Türken zum Kippen zu bringen, warnt der Politikwissenschaftler Ismail Küpeli. Bisher sei die Frontlinie zwischen Freunden und Feinden Erdogans noch nicht ganz eindeutig.
Anke Schaefer: Es tobt also Streit zwischen Deutschland und der Türkei, Erdogan hat den Deutschen Nazi-Praktiken vorgeworfen, weil eben in Köln und in Gaggenau die Auftritte türkischer Minister verboten worden waren. Nun hat Erdogan schon mal angekündigt: Wenn er in Deutschland auftreten möchte in nächster Zeit und wenn er dann gestoppt werden würde, dann würde er die Welt aufmischen. Er sagt, Deutschland habe in keinster Weise ein Verhältnis zur Demokratie.
Das sind schon relativ scharfe Worte, all das mit Blick auf die Abstimmung über das Präsidialsystem – und diese Abstimmung soll ja am 16. April stattfinden. Sollte dieses Präsidialsystem eingeführt werden, dann bekäme Erdogan in der Türkei ziemlich uneingeschränkte Macht. Und an dieser Volksabstimmung können sich auch im Ausland lebende wahlberechtigte Türken teilnehmen. Und in Deutschland sind das 1,4 Millionen Menschen. Ich bin jetzt verbunden mit dem Politikwissenschaftler und Journalisten Ismail Küpeli. Guten Tag, Herr Küpeli!
Ismail Küpeli: Guten Tag!

Freunde und Feinde Erdogans

Schaefer: Gestern hat der türkische Wirtschaftsminister Zeybekci in Köln gesprochen, hat unglaublich viel Applaus geerntet. Aber inzwischen hat der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland Sofuoglu den Nazi-Vergleich des türkischen Präsidenten Erdogan als Entgleisung kritisiert. Da gibt es also durchaus unterschiedliche Meinungen, wie Erdogans Verhalten, wie Erdogans Auftritte gewertet werden. Wie stehen denn die türkischstämmigen Deutschen derzeit mehrheitlich zum Präsidialsystem in der Türkei und zu Erdogan?
Küpeli: Die Verhältnisse sind durchaus gespannt. Es ist durchaus so, dass in der türkischen Community in Deutschland sehr unterschiedliche Meinungen über das Präsidialsystem, über Erdogan existieren. Der Schritt der Türkischen Gemeinde in Deutschland, sich gegen das Präsidialsystem zu stellen und Erdogan öffentlich zu kritisieren, ist sehr ungewohnt.
Bisher hat die Türkische Gemeinde sich sehr zurückgehalten mit Kritik gegenüber der Türkei. Das ist durchaus eine weitere Stufe, die wir inzwischen erreicht haben. Die Verhältnisse in Deutschland sind insgesamt so, dass die AKP und auch Erdogan hier auf eine große Unterstützung zählen können. Aber auch eine nennenswerte Minderheit von Deutschtürken sind gegen das Präsidialsystem und sind erbitterte politische Feinde der derzeitigen Regierung.
Schaefer: Gucken wir mal auf die Befürworter des Kurses von Erdogan, die in Deutschland leben! Die leben also hier in einem demokratischen, in einem freiheitlichen Land, die müssen ja doch eine gewisse Loyalität zu Deutschland verspüren! Insofern wundert es einen, wie können sie dann Erdogan gut finden an dieser Stelle?
Der türkische Ministerpräsident Erdogan spricht in ein Mikrofon und zeit auf eine türkische Flagge hinter ihm.
Der türkische Ministerpräsident Erdogan am 5. März bei einer Rede in Istanbul.© AFP

Sehnsucht nach charismatischen Politikern

Küpeli: Die Gründe, warum Erdogan so viel Begeisterung in Deutschland bei den Deutschtürken hier hervorrufen kann, dafür gibt es unterschiedliche Gründe. Zum einen geht es natürlich darum, dass wir in Deutschland wenige charismatische Politikerfiguren haben. Und wenn man danach eine Sehnsucht hat, nach einer starken Macherfigur, dann richten sich die Blicke eher Richtung Türkei, das ist das eine.
Das andere sind aber eher die Fehler der Integrationspolitik, die in Deutschland selbst verwurzelt sind. Wenn wir über 30, 40 Jahre eine Bevölkerungsgruppe eher randständig halten, nicht dafür sorgen, dass sie Teil der deutschen Gesellschaft werden, dann kann man nicht so überrascht sein, dass dann diese Menschen sich ihre Zugehörigkeit woanders holen. Und das tun sie dann derzeit bei der AKP, bei Erdogan, der dann ihnen auch immer wieder schmeichelt und sie darin bestärkt, sich eher als Türken und nicht mehr als Deutsche zu verstehen.

Diskussion um die doppelte Staatsbürgerschaft

Schaefer: Sie sehen also Versäumnisse in der Integrationspolitik.
Küpeli: Richtig.
Schaefer: Wie ist es mit der doppelten Staatsbürgerschaft? Fühlen sich die Menschen, die doppelte Staatsbürgerschaft besitzen, absolut zerrissen?
Küpeli: Ich glaube, dass dort die Bedeutung von Ausweisen und Pässen überschätzt wird. Wenn man sich Deutschtürken anschaut, die nur die deutsche Staatsbürgerschaft haben, auch da ist die Stimmung jetzt nicht so, dass man sagen kann: Wer eine bestimmte Staatsbürgerschaft hat, gehört auch gefühlsmäßig dieser Nation an. Sondern es ist eher eine Frage von: Wozu kann ich mich zählen, zu welcher Bevölkerungsgruppe ordne ich mich selber zu? Und es ist eher keine Frage von Pässen.
Ein deutscher und ein türkischer Pass werden am 15.12.2016 während der Landtagssitzung in Kiel (Schleswig-Holstein) in die Kamera gehalten. Das Thema doppelte Staatsbürgerschaft wird die Parlamentarier in ihrer Sitzung am Freitag beschäftigen.
Ein türkischer und ein deutscher Reisepass nebeneinander. Doch für viele Deutsch-Türken stellt sich das Problem einer doppelten Loyalität. © picture alliance / Carten Rehder
Ich glaube, es macht auch wenig Sinn, tatsächlich die Debatte um Erdogan mit der Debatte um die doppelte Staatsbürgerschaft zu koppeln. Das wäre eher ein Schritt, von dem eher Erdogan und die AKP profitieren, wenn hier das Gefühl erzeugt werden würde, dass Deutschtürken mit doppelter Staatsbürgerschaft gar nicht richtig loyal sein können.

Erdogans Auftritt in Deutschland wäre "sehr relevant"

Schaefer: Erdogan hat ja nun noch nicht sich festgelegt, ob er jetzt nach Deutschland kommen will, …
Küpeli: Richtig.
Schaefer: Er hat ja in früheren Jahren schon in Deutschland gesprochen, aber jetzt hat er sich noch nicht festgelegt. Wenn er es tun, welche Bedeutung würde dieser Auftritt für die türkische Community haben?
Küpeli: Dieser Auftritt wäre sehr relevant. Wenn wir uns jetzt den Auftritt etwa von Yildirim in Oberhausen anschauen, also von dem türkischen Ministerpräsidenten, dann wurden dort nicht die Zahlen erreicht, die eigentlich für die Veranstaltungen von Erdogan üblich sind. Das heißt, damit die Bevölkerung hier mobilisiert werden kann, damit die AKP-Wähler hier mobilisiert werden können, muss Erdogan selbst kommen. Und dafür reichen die Auftritte der türkischen Minister nicht aus, diese bleiben relativ klein und eigentlich auch recht unbeachtet.
Um dafür zu sorgen, dass die Lage eskaliert – was durchaus im Sinne der AKP derzeit ist –, müsste Erdogan selbst kommen und eine Rede halten, die dafür sorgt, dass anschließend darüber diskutiert wird, debattiert wird und es zu einem großen Konflikt in der türkischen Community kommt. Sodass die einen, die noch unentschieden sind, sich dann auf die Seite der türkischen Regierung stellen müssen.
Schaefer: Es ist nicht mehr lange hin bis zum 16. April, dann also soll in der Türkei abgestimmt werden über das neue Präsidialsystem. Wir werden sehen, ob Erdogan kommt, wie das dann sein wird. Das war für jetzt der Politikwissenschaftler und Journalist Ismail Küpeli. Vielen Dank, Herr Küpeli, für das Gespräch!
Küpeli: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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