Islamkritik in zwei Schritten

Rezensiert von Johann Hinrich Claussen · 10.02.2008
Ibn Warraqs unterzieht den Koran in "Warum ich kein Muslim bin" einer historischen Kritik und weist seine keineswegs göttlichen Ursprünge auf. Und er unterzieht den Islam einer sachlichen Kritik, indem er zu zeigen versucht, dass der Islam mit einem strengen Monotheismus, einem fundamentalistischen Koran-Verständnis und rigiden Rechtsverordnungen ein "totalitäres" Unterdrückungssystem darstellt.
Der Buchmarkt gleicht einem Karussell. Gerade noch haben religiöse Bücher über Päpste oder das Pilgern große Erfolge gefeiert. Nun ziehen Atheisten wie Christopher Hitchens mit antichristlichen Polemiken die Aufmerksamkeit auf sich. Dabei wiederholen sie nur, was jemand wie Bertrand Russell mit seinem berühmten Buch "Warum ich kein Christ bin" vor 50 Jahren vorexerziert hat. Die Rückkehr der Religion in die Medien und auf den Buchmarkt zieht eben auch eine Rückkehr der Atheisten mit sich. Die Theologen sollten sich darüber freuen. Denn mit Gegnern des Christentums lässt sich besser streiten als mit lauen Agnostikern.

Was für die westliche Welt inzwischen ein ganz normaler Vorgang ist, stellt jedoch anderswo immer noch eine Ungeheuerlichkeit dar. Darum ist es gut, dass das Buch "Warum ich kein Muslim bin" von Ibn Warraq nun in zweiter Auflage erscheint. Das passt zur neuen Atheistenwelle und ist doch ein Skandal. Ein Skandal ist dabei allerdings weniger das Buch selbst, das vor zwölf Jahren zum ersten Mal in den Vereinigten Staaten veröffentlicht wurde, sondern die Tatsache, dass es bisher nicht in einem einzigen islamischen Land publiziert werden konnte und sein Autor sich nach wie vor hinter einem Pseudonym verstecken muss.

Der Autor ist etwas, das in der islamischen Welt so nicht vorgesehen ist: ein Abtrünniger. Ein Ereignis erschütterte ihn so sehr, dass er seine Entscheidung gegen den Islam mit diesem Buch öffentlich machen musste. Als 1995 das Khomeini-Regime gegen Salman Rushdie eine Mord-Fatwa aussprach, sah der Autor sich genötigt, sowohl gegen den aggressiven Islamismus wie gegen allzu konziliante westliche Intellektuelle und Politiker zu protestieren. Sein Buch ist ein fünfhundertseitiges Pamphlet, in dem er den Islam radikal kritisiert. Denn:

"Ohne Kritik wird der Islam in seiner dogmatischen, fanatischen, mittelalterlichen Festung unangefochten bleiben und in seiner totalitären, intoleranten, paranoiden Vergangenheit verknöchern. Er wird sich weiterhin lähmend auswirken auf das Denken, die Menschenrechte und den Individualismus und jede Originalität und Wahrheit unterdrücken."

Ibn Warraqs Islamkritik besteht aus zwei Schritten. Er unterzieht den Koran einer historischen Kritik und weist seine keineswegs göttlichen Ursprünge auf. Und er unterzieht den Islam einer sachlichen Kritik, indem er zu zeigen versucht, dass der Islam mit einem strengen Monotheismus, einem fundamentalistischen Koran-Verständnis und rigiden Rechtsverordnungen ein "totalitäres" Unterdrückungssystem darstelle. So widerspricht Ibn Warraq allen Versuchen, zwischen dem Islam und dem Islamismus, also einem an sich guten Kern und fatalen Ausgestaltungen zu unterscheiden. Der Islam selbst ist für ihn anders als das Christentum nicht zu einer Reformation oder Aufklärung fähig.

Das Buch bietet ein Stück Vulgäraufklärung, wie man sie aus dem Europa des 18. Jahrhunderts gut kennt. Der Autor ist belesen, aber nicht gelehrt. Nüchtern betrachtet wirkt manches allzu unwissenschaftlich. Der etwas ungeschickte Aufbau, die vielen Wiederholungen, vor allem die ständigen Werturteile wirken ermüdend. Bevor man als nichtmuslimischer Leser auch nur irgendetwas am Islam verstehen kann, wird man vom Autor schon wieder regelrecht zur Verachtung des Islam gedrängt. Es ist wenig erquicklich, ein Buch lesen, dessen Autor ständig Schaum vor dem Mund hat und der kein Gespür für Zwischentöne oder gar für das eigene Recht von Religion besitzt.

Genau diese polemische Einseitigkeit aber beschert Ibn Warraq begeisterte Rezipienten am Rande unserer Gesellschaft, wie sich inzwischen auf weniger appetitlichen Internet-Seiten feststellen lässt. Auf der anderen Seite ist sein Buch trotz mancher Schwächen ein Gegenmittel gegen einen allzu naiv harmonischen Dialog mit dem Islam, in dem die Schattenseiten zu wenig beleuchtet werden. Dennoch ist Ibn Warraqs Kritik so grobschlächtig, dass man nicht weiß, wohin sie führen soll, wenn nicht zu einer Abschaffung des Islam. Aber ist das tatsächlich ein wünschenswertes Ziel? Besser ist doch, auf eine Reformation und Aufklärung des Islam aus eigener Kraft hinzuwirken. Dazu gibt es immerhin einige, wenn auch noch schwache Ansätze.

Trotzdem, es ist gut, dass dieses Buch erneut vorliegt. Denn es steht mit weitaus größerem Mut als die aktuellen atheistischen Plädoyers von Dawkins und Hitchens für die Religionsfreiheit ein.

"Dieses Buch ist in erster Linie ein Ausdruck meines Rechts, jeden beliebigen Aspekt des Islam zu kritisieren, sogar zu verlästern, zu verspotten, satirisch zu verzerren wie auch zu irren."

Man mag die Thesen von Ibn Warraq ablehnen, aber sein Recht auf Religionskritik ist nicht verhandelbar. Auch weniger brillante Bücher haben eine Existenzberechtigung, zumal dann, wenn sie für die Durchsetzung der Menschrechte stehen. Darum kann man sich nur wünschen, dass Ibn Warraqs "Warum ich kein Muslim bin" auch einmal in der islamischen Welt veröffentlicht und diskutiert wird.


Ibn Warraq: Warum ich kein Muslim bin
Matthes & Seitz Berlin, Berlin 2007