In der Tradition der Väter

Von Wolfram Nagel · 02.11.2012
Schon als kleines Kind veranstaltete er fiktive Gottesdienste, nun bekommt er eine eigene Gemeinde: Alexander Nachama wird Rabbiner in Dresden - der erste seit über 70 Jahren. Er ist der Sohn des Berliner Rabbiners Alexander Nachama und Enkel des legendären Oberkantors Estrongo Nachama.
Ma towu. Jakob wie schön sind deine Zelte.

Oft hat Alexander Nachama seinen Großvater dieses Gebet am Beginn des Gottesdienstes singen hören. In der Berliner Synagoge Pestalozzistraße.

"Er ist gestorben, als ich 16 Jahre alt war, also, wo ich ihn auch noch ganz aktiv miterleben konnte. Das sind Erinnerungen, die sehr prägend sind, bis heute."

Schon als Jugendlicher habe er neben ihm auf der Bima gestanden, erzählt der neue Dresdner Gemeinderabbiner über seinen Großvater, Oberkantor Estrongo Nachama. Er sei sein großes Vorbild gewesen. Schon als Kind wollte er Vorsänger werden, sagt der 29-Jährige.

"Das war eben stark beeinflusst von meinem Großvater. Schon im Alter von drei, vier Jahren habe ich fiktive Gottesdienste zu Hause gestaltet und ihn ein bisschen nachgemacht, was ihn sehr gefreut hat. Das habe ich dann später in der Synagoge nach meiner Barmizwa einige Male aushilfsweise gemacht. Das gefiel dann den Betern so gut, dass sich das immer wieder fortgesetzt hat, bis ich dann irgendwann einen Arbeitsvertrag bekommen habe."

Auch mit dem Vater, Andreas Nachama, habe er Jahre lang gemeinsam Gottesdienste gestaltet, vor und auch nach dem Kantoren-Studium. So hat Alexander Nachama nicht nur die Liturgie mit den verschiedensten Melodien kennengelernt, frühzeitig hat er es auch verstanden, die Tora auszulegen.

"Deshalb habe ich mich, nachdem ich als Kantor fertig war, entschlossen, am Abraham Geiger Kolleg das Rabbiner-Studium aufzunehmen."

Das Alexander Nachama inzwischen mit einem Gemeindepraktikum in Dresden und einem Master abgeschlossen hat.

Doch es war Zufall, dass sich Großvater Estrongo Nachama nach dem Zweiten Weltkrieg in Berlin niedergelassen und später als Kantor die musikalische Tradition des deutschen Reformjudentums aufgegriffen hat. Aufgewachsen war der griechische Jude mit der sephardischen Liturgie. Die Nazis verschleppten ihn nach Deutschland. Schwer krank überlebte er das Konzentrationslager.

"Mein Vater wurde von der Roten Armee in der Nähe von Nauen befreit und ist dann nach Berlin gekommen, weil es hieß, dass es von dort aus Züge nach Griechenland geben würde, das war aber 1945 nicht der Fall, und insofern ist er dann in Berlin sozusagen hängen geblieben und hat da eine neue zweite Heimat für sich aufgebaut."

Erzählt der Judaistik-Professor und Rabbiner Andreas Nachama über seinen Vater.
Estrongo Nachama hat später nicht nur in Westberlin sondern auch in Ostberlin, Dresden oder Erfurt amtiert. Einmal im Monat übertrug der Berliner Rundfunk eine Shabat-Feier mit dem Oberkantor, sodass seine Stimme auch in der DDR einen Klang hatte.

"Er ist eben in die Tradition der Lewandowschen Musik hineingewachsen und hat sich dann damit identifiziert und auch mit der liberalen und progressiven Form des Gottesdienstes, wo es auch Gebetsgesänge in deutscher Sprache gab, wie die Deutsche Keduscha, die zu den hohen Feiertagen gesungen wurde... "

Die Keduscha aus dem Mussaf-Gebet mit dem "ledor wador nagid gadlecha..."

"Von Generation zu Generation wollen wir deine Größe verkünden"

Dabei wollte Estrongo Nachama ursprünglich Opernsänger werden, sagt Enkel Aleander:

"Wo er dann gesagt hat, nein, er möchte nicht Opernsänger werden, sondern er möchte jede Woche in der Synagoge vorbeten, damit er jede Woche auch das Kadisch für seine Eltern und für seine anderen Verwandten sagen kann."

Die in der Shoa umgekommen sind. Wohl auch in diesem Bewusstsein hat der
1951 in Berlin geborene Andreas Nachama das Werk des Vaters fort geführt. Er hatte zunächst Geschichte an der Freien Universität studiert. Nebenbei betete er als
Jewish Chaplain bei der amerikanischen Armee vor. So aber sei er später in das Rabbinat hineingewachsen, sagt Prof. Nachama, Dekan am amerikanischen Touro College in Berlin.

"Es ist sicher aus der Sicht eines Vaters heraus ein sehr bewegender Augenblick, wenn sich der Sohn entscheidet, wie der eigene Vater sozusagen, wie sein Großvater in einem bestimmten Gebiet tätig zu sein. Er hat das ja frühzeitig gemacht. Er ist ja über 14 Jahre jetzt schon Vorbeter in einer Synagoge gewesen, hier in Berlin. Und insofern steht zu hoffen, dass er jetzt in der neuen Funktion nicht mehr als Vorbeter, sondern auch als Rabbiner eine große Befriedigung findet und auch eine Gemeinde findet, mit der er genauso harmoniert, und die mit ihm so harmoniert, wie das bisher der Fall gewesen ist."

In der reformorientierten Einheitsgemeinde zu Dresden. Oberrabbiner Estrongo Nachama hatte noch in der alten Synagoge am jüdischen Friedhof vorgesungen. Prof. Andreas Nachama nahm vor sechs Jahren an der ersten Rabbiner-Ordination seit der Shoa in der neuen Synagoge am Hasenberg teil. Und Alexander Nachama setzt hier die Tradition der Väter fort. Mit ihm hat Dresden den ersten eigenen Gemeinderabbiner seit über 70 Jahren.
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