Hannah Coler: "Cambridge 5 - Zeit der Verräter"

Spionage-Legende Philby ist nicht der Letzte

Eine in grün gefärbte, geöffnete Festplatte, im Vordergrund das Cover zum Buch "Cambridge 5" von Hannah Coler
Hannah Coler: Cambridge 5". Kim-Philby-Trauma ins Heute fortgesponnen © (Cover: Limes Verlag; Hintergrund: Picture Alliance / dpa / Matthias Balk )
Von Thomas Wörtche · 20.09.2017
In den 30ern infiltrierten der legendäre Doppelagent Kim Phily und seine Kollegen im Auftrag der Sowjetunion den britischen Geheimndienst - ein bis heute schmerzendes Trauma der Briten. Hannah Coler spinnt die Geschichte im Cambridge-Milieu von heute gekonnt weiter.
Die Cambridge Five waren eine Gruppe von Spionen, die von der Sowjetunion in den 1930er Jahren angeworben worden waren und innerhalb des britischen Geheimdienstes steile Karriere machten. Kim Philby, Donald Maclean, Guy Burgess, Anthony Blunt und John Cairncross gehörten zur Elite des Vereinigten Königreichs, ihr Verrat ist ein immer noch schwelendes Trauma der britischen Gesellschaft. Sie lieferten auch die Blaupause für den zentralen Plot unzähliger Spionageromane – die Suche nach dem sogenannten Maulwurf – wie er sich seit John le Carrés Smiley-Romanen etabliert hat.
Die originalen Cambridge Five flogen in den 1960er Jahren auf, aber das war noch lange nicht das Ende. Hannah Coler, eine unter Pseudonym schreibende deutsche Historikerin, die in Cambridge arbeitet, geht davon aus, dass die sowjetische, später russische Rekrutierungsstrategie bis heute ungestört weiter geht. In ihrem Roman "Cambridge 5. Zeit der Verräter" zielen die heutigen Spione nicht mehr nur auf politischen Einfluss, sondern interessieren sich auch für die Ergebnisse des "neuen Silicon Valley" Cambridge, eine der wichtigsten Hightech-Forschungszentren der Welt.

Mord in der Forscher-Spion-Clique

Coler konstruiert eine Clique von mehr oder weniger exzentrischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die allesamt irgendwie mit Geheimdiensten verbandelt sind und lässt in dieser Peer-Group einen Mord geschehen, der offensichtlich einen politischen Hintergrund hat. Gleichzeitig etabliert sie eine dritte Gruppe junger Studenten, die – vor allem eine deutsche Jungwissenschaftlerin – über die originalen Cambridge Five, insbesondere über Kim Philby forscht, wobei Quellenmaterial auftaucht, das auch den heutigen Spionen gefährlich werden kann. Diese Verknüpfung von drei Generationen macht den Reiz des Romans aus. Auch wenn sich Geschichte nicht wiederholt, ist sie dennoch nicht erledigt.
Die stärksten Passagen des Romans bestehen aus boshaften und maliziösen Streitgesprächen der Figuren untereinander, klassische Konversationspassagen, die auch von Somerset Maugham oder Evelyn Waugh stammen könnten. Die Rekonstruktion von Kim Philbys Biographie hingegen fügt dem Text eine semi-fiktionale Dimension hinzu, die wiederum zu dem "Mordrätsel" in Kontrast steht, das deutlich in die Tradition des klassischen britischen Universitätskrimis (à la Michael Innes oder Edmund Crispin) gehört. Diese formale Inkonsistenz allerdings verleiht der Architektonik des Romans etwas allzu Konstruiertes und Glattes.

In die Funktionale gerutscht

Dennoch sind die Figuren der "zweiten" Wissenschaftlergeneration gut gelungene Porträts von Menschen, deren spätere Karrierewege sich zunehmend von den fortschrittlichen Idealen der 1970er Jahre entfernen, auch weil genau dieser Idealismus Tür und Tor für zynische Manipulationen öffnet.
"Liebe", "Solidarität" und andere menschliche Befindlichkeiten sind in einer auf Effizienz und Zweckrationalität getrimmten Gesellschaft, wie sie uns Coler am Beispiel des Biotops Cambridge vorführt, in die Funktionale gerutscht. Der Widerspruch von Ideal und Wirklichkeit manifestiert sich, wie schon bei Philby & Co., im Verrat. Der erscheint, so gesehen, schon fast als plausibelste menschliche Option.

Hannah Coler: Cambridge 5 - Zeit der Verräter
Limes Verlag, München
416 Seiten, 19.99 Euro

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