Graeme Macrae Burnet: "Der Unfall auf der A35"

Ein rätselhafter Tod auf der Autobahn

Buchcover "Der Unfall auf der A35" von Graeme Macrae Burnet, im Hintergrund eine Autobahn
Der verschachtelte Krimi erinnert an einen Maigret-Roman. © Europa Verlag / dpa / Felix Hörhager
Von Kolja Mensing · 25.05.2018
Ein Mann verunglückt mit seinem Auto auf der Autobahn. Was in Graeme Macrae Burnets "Der Unfall auf der A35" zunächst wie ein tödlicher Verkehrsunfall aussieht, entpuppt sich als verzwickter Kriminalfall und intellektuelles Rätselspiel.
Vor zwei Jahren legte der schottische Schriftsteller Graeme Macrae Burnet einen Galaauftritt auf der internationalen Literaturbühne hin. Sein vertrackt gebauter historischer Kriminalroman "Sein blutiges Projekt" tauchte vollkommen überraschend auf der Man-Booker-Shortlist auf: "Schottisch" ist im Umfeld dieses renommierten Preises eher selten, "Krimi" kommt dort eigentlich überhaupt nicht vor. Burnet hat seitdem auf jeden Fall einen guten Lauf, auch mit einer kleinen Reihe von – ja, tatsächlich! - Elsaß-Krimis rund um die Kleinstadt Saint-Louis.

Zwei Fährten

Band zwei ist gerade unter dem Titel "Der Unfall auf der A35" erschienen: Der angesehene Rechtsanwalt und Notar Bertrand Barthelme ist mit seinem Mercedes tödlich verunglückt. Auf den ersten Blick sieht es aus wie ein tragischer Unfall, eine Routineangelegenheit für Polizeikommissar Georges Gorski, den wir schon aus "Das Verschwinden der Adèle Bedeau" kennen.
Doch dann legt Burnet gleich zwei Fährten für seine Leser und Leserinnen aus: Kommissar Gorski glaubt an einen Zusammenhang zwischen dem Autounfall und einem rätselhaften Frauenmord in Straßburg – und der Sohn des Rechtsanwalts, Raymond Barthelme, macht sich auf die Suche nach der geheimnisvollen Geliebten seines Vaters.

Der intellektuelle Bastelkönig der Krimiwelt

Mehrere ungeklärte Todesfälle, ein untreuer Ehemann, dazu das provinzielle Setting: "Der Unfall auf der A35" könnte ein klassischer Whodunnit sein – wenn nicht Graeme Macrae Burnet seine Hände im Spiel hätte. Der schottische Schriftsteller ist nämlich der intellektuelle Bastelkönig der Krimiwelt: Er liebt das Spiel mit literarischen Puzzleteilchen, Zitaten und versteckten Querverweisen. Dass er die eigentliche Geschichte in eine Herausgeberfiktion verpackt – ein Mann namens Graeme Macrae Burnet gibt ein lange verschollen geglaubtes Manuskript des französischen Autors Raymond Brunet heraus -, das ist schon fast Standard bei ihm. Dann aber der Nachname des vermeintlichen Mordopfers: "Barthelme", das ist natürlich ein Augenzwinkern in Richtung der literarischen Postmoderne. Der Amerikaner Donald Barthelme ist einer ihrer bedeutendsten Vertreter und gilt als Großmeister der Intertextualität. Eines seiner bekanntesten (und allesamt ziemlich komplizierten) Bücher trägt den Titel "Der tote Vater" – und genau darum, um einen toten Vater geht es natürlich auch bei Graeme Macrae Burnet.
Wenn man einmal angefangen hat, auf diese Art zwischen die Zeilen des Textes zu schauen, entdeckt man immer mehr Spuren: Der junge Raymond Barthelme liest Zolas Roman "Die Beute" und hat auffällige Ähnlichkeit mit Zolas Protagonisten Maxime Rougon, er selbst identifiziert sich allerdings mit Matthieu aus Sartres "Die Wege der Freiheit", und, Entschuldigung, aber: Ist der Mord in Straßburg nicht aus einem Film von Claude Chabrol geklaut? Richtig – erklärt uns "Herausgeber" Burnet in einem editorischen Nachwort, eine Anspielung auf den Film "Vor Einbruch der Nacht".

Wie aus einem Maigret-Roman

Das Tolle an diesem verschachtelten Roman ist, dass er auf beide Arten funktioniert: Als intellektuelles Rätselspiel, das den Leser zum Literaturdetektiv macht, und als angenehm altmodisch erzählter Krimi, in dem Kommissar George Gorski am Ende einen der beiden Mordfälle einfach nur durch eine geduldige, geschickt geführte Unterhaltung mit einem Verdächtigen löst. Die Szene könnte einem Maigret-Roman entsprungen sein. Auch dieser Hinweis steckt natürlich schon im Text: Eine Straße, die in "Der Unfall auf der A35" eine wichtige Rolle spielt, trägt nämlich den Namen "Rue Saint Fiacre", und Simenon-Leser wissen, dass die Kleinstadt Saint Fiacre der Geburtsort von Jules Maigret ist.

Graeme Macrae Burnet: Der Unfall auf der A35
Aus dem Englischen von Claudia Feldmann
Europa Verlag, München 2018
300 Seiten, 18,40 Euro

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