Geschlechtergerechte Sprache

Sprache ist kein Kulturdenkmal

Frauentags-Demonstration in Berlin - die Proteste richteten sich gegen Sexismus und Geschlechterdiskriminierung. Auf einem Schild steht "Gleiche Rechte für alle", Demonstrantinnen rufen etwas mit erhobenem Arm
Der erbitterte Widerstand, auf den diejenigen stoßen, die an geschlechtergerechter Sprache arbeiten, verwundert die Philosophin Cornelia Klinger. © imago/Christian Mang
Von Cornelia Klinger · 17.04.2018
Der Streit um geschlechtergerechte Sprachregelungen reißt nicht ab. Philosophin Cornelia Klinger erinnert daran, dass Frauen in männlichen Formen die längste Zeit der Geschichte nicht mitgemeint waren. Sie fragt, woher die Empörung über weibliche Formen rührt.
"Guten Morgen, meine Damen und Herren, liebe Kinder! Willkommen an Bord. Bitte nehmen Sie Ihre Plätze ein! Wir sind startbereit."
Wer Menschen zu einer Reise durch einen wirklichen oder virtuellen Raum mitnehmen will, spricht sie an, bittet um Aufmerksamkeit und schenkt Beachtung, das heißt Anerkennung für die Präsenz und Interaktion von Personen in einem Raum, den sie eine Zeitlang miteinander teilen.
Ein solcher Raum ist unsere Gesellschaft über weite Strecken ihrer Geschichte nicht gewesen. Von Regierungen und Gerichten, von Akademien und hohen Schulen wurden Thesen und Theorien formuliert, Gesetze erlassen und Urteile gefällt, die zwar für alle bindend sein sollten, aber nur von wenigen beraten und beschlossen wurden.

Geschlechterdifferenz in den Sprachstrukturen installiert

Im Zuge des Demokratisierungsprozesses beginnen Arbeiter-, Frauen- und Bürgerrechtsbewegungen um ihren Zugang zu den Institutionen der Macht, des Rechts und des Wissens zu kämpfen. Sie berufen sich auf die Postulate allgemeiner Menschenvernunft und auf das Menschenrecht.
Auf dem historischen Hintergrund überlieferter Herrschaftsverhältnisse ist das allerdings prekär. Gilt der Satz "all men are created equal" wirklich für alle Menschen mit derselben Selbstverständlichkeit wie der Satz "alle Menschen sind sterblich"? Beim dritten Fahnenwort von Aufklärung und Revolution, fraternité/ Brüderlichkeit springt es ins Auge: Nie werden alle Menschen Brüder. Vielmehr wird deutlich, dass den universalen Ideen der Moderne historisch partikulare Vorstellungen zugrunde liegen. Gilt das bereits in Hinblick auf Differenzen zwischen Männern verschiedener Klassen, so gilt es erst recht für die Geschlechterklassen: Die Geschlechterdifferenz ist in den Strukturen der Sprachen installiert.

Nicht mitgemeint oder doch mitgemeint?

Dennoch: In ihren Bestrebungen um Zugang zu den öffentlichen Räumen des Denkens und Handelns haben Frauen sich auf die Geschlechtsneutralität der Vernunft und auf das Wort 'Mensch' als beide Geschlechter umfassenden Begriff berufen. Aber vielfach sind sie abgewiesen worden: "No intention to include women can be deduced from the omission of the word male", heißt es in einem - für diese paradoxe Formulierung berühmt gewordenen - US-amerikanischen Gerichtsurteil aus dem Jahr 1931.
Erst im späten 20. Jahrhundert wendet sich das Blatt. In seiner Neu-Auflage von 1973 will der Duden den Zusammenhang zwischen dem grammatischem und dem biologischen beziehungsweise sozialen Geschlecht lösen. Nun soll das sogenannte generische, soll heißen: geschlechtsneutrale Maskulinum Verwendung finden, wenn "männliche und weibliche Personen gleichermaßen gemeint sind". Frauen sollen sich also angesprochen fühlen, auch wenn sie nicht angesprochen werden. Damit wird ihnen eine Identifikationsleistung abverlangt und - schwups! - im Handumdrehen wird aus der Bringschuld der Inklusion eine Holschuld.

Sprache ist ein Spiegel der Gesellschaft

Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass Wissenschaftlerinnen eine geschlechtertheoretisch motivierte Sprachkritik entwickeln und Aktivisten versuchen, geschlechtergerechte Sprachregelungen durchzusetzen - auch wenn nicht jedes Experiment gelingt.
Anlass zur Verwunderung gibt vielmehr der erbitterte Widerstand, auf den diese Bestrebungen neuerdings wieder verschärft stoßen. Als ob es Sprache ein unantastbares Kulturdenkmal wäre, das bewahrt werden müsste oder könnte, und nicht ein lebendiger Prozess, zu dem alle Sprechenden beitragen. Sprache ist ein Spiegel, in dem sich der - jeweilige - Zustand der Kultur abbildet. Lange ist unsere Gesellschaft durch Herrschaftsverhältnisse und Machtasymmetrien geprägt gewesen. Wenn sich das, wie wir alle wünschen, ändert, zeigt auch die Sprache ein anderes Gesicht.

Cornelia Klinger hat in Köln Philosophie, Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte studiert. Sie ist außerplanmäßige Professorin für Philosophie an der Eberhard Karls-Universität Tübingen. Sie lebt und denkt in Hamburg. Arbeitsschwerpunkte: Politische Philosophie, Ästhetik, Theoriegeschichte der Moderne, Gender Studies im Bereich Philosophie.

Porträt der Philosophin Cornelia Klinger
© privat
Mehr zum Thema