Generalversammlung Reformierter Kirchen

"Die Gemeinschaft als Ganzes"

Büsten des Reformators Johannes Calvin im Internationalen Museum der Reformation in Genève in der Schweiz.
Büsten des Reformators Johannes Calvin im Internationalen Museum der Reformation in Genève in der Schweiz. © picture-alliance/ dpa/dpaweb - Keystone Martial Trezzini
Hanns Lessing im Gespräch mit Philipp Gessler · 02.07.2017
Die Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen trifft sich derzeit in Leipzig zu ihrer Generalversammlung. Dort diskutiert man auch brisante Themen, sagt Organisator Hanns Lessing: Etwa die Frauenordinationen in den Mitgliedskirchen und Kapitalismuskritik.
Philipp Gessler: Etwa 80 Millionen reformierte Christinnen und Christen gibt es weltweit. Ihre Frömmigkeit ist traditionell eher nüchtern: In der Nachfolge der Reformatoren Johannes Calvin in Genf und Huldrych Zwingli in Zürich wird das Evangelium sehr betont. In reformierten Kirchen steht in der Regel die Kanzel im Zentrum. Das Bilderverbot des Alten Testaments wurde zumindest Jahrhunderte lang sehr radikal befolgt.
Reformierte Christinnen und Christen gibt es mittlerweile auf der ganzen Welt. Alle sieben Jahre treffen sich Gesandte dieser Kirchen – dieses Mal ist es in Leipzig, auch wegen der Nähe zu Wittenberg, wo die Reformation ja vor 500 Jahren begann. Ich habe auf dem Messegelände in Leipzig, wo das große Treffen stattfindet – eine etwas sterile Umgebung leider – mit dem Hauptorganisator der knapp zweiwöchigen Generalversammlung gesprochen: Hanns Lessing. Er sagt, er habe vor zwei Jahren mit den Planungen begonnen, und das war schon ziemlich knapp. Meine erste Frage an ihn war, ob man in Leipzig auch das eingeplant habe, womit alles begann: mit einem "Wurstessen".
Hanns Lessing: Ja, das ist ja eine wunderbare reformierte Tradition, geht zurück auf die Reformation in Zürich, wo die Züricher Bürger gesagt haben, wir wollen in der Fastenzeit nicht mehr fasten. Und der Reformator Huldrych Zwingli hat dem zugestimmt, hat gesagt, dass das eine richtige Reaktion auf die Fastenregeln der katholischen Kirche sind. Das spielte eine wichtige Rolle in der Reformation in Zürich.

Skepsis gegenüber Frauenordinationen in den Kirchen

Gessler: Aber es wird nicht gegessen hier.
Lessing: Wir machen kein Wurstessen, was eben auch zeigt, dass sich in den 500 Jahren in den ökumenischen Beziehungen viel verändert hat. Wir sagen inzwischen, reformiert sein heißt ökumenisch sein und meinen damit, dass wir uns nicht im Gegensatz zu anderen Kirchen definieren. Sondern sagen, dass alle Kirchen sich eigentlich ständig nach Gottes Wort reformieren, ob sie das jetzt im Namen tragen oder nicht. Das ist eine Realität in allen Kirchen, dass sie sich damit auseinandersetzen, was die aktuellen Herausforderungen sind, denen wir uns als Christinnen und Christen stellen müssen. Und insofern stellen wir uns nicht mehr im Gegensatz zu anderen Kirchen auf und müssen nicht mehr provozieren.
Gessler: Nun ist das Motto "Lebendiger Gott, erneuere und verwandle uns" ja recht weit. Werden denn auf diesem Weltkongress dann auch konkrete Beschlüsse angestrebt und erwartet, und was könnte so ein Beschluss sein? Sagen Sie doch mal ein Beispiel.
Lessing: Wenn es um Gemeinschaft geht, gibt es zum Beispiel einen ganz wichtigen Prozess, der betont, dass wir gerne Frauenordinationen in allen Mitgliedskirchen die Regeln machen wollen. Also aus traditionellen Gründen gibt es immer noch Kirchen, die der Frauenordination skeptisch gegenüberstehen.
Wir sagen aber und wir hoffen, dass das die Generalversammlung auch so sieht, dass nach reformiertem Verständnis die Berufung Gottes sich nicht nur auf eine bestimmte Gruppe von Menschen, Männern, erstreckt, sondern eben eine Berufung der ganzen Gemeinde ist. Und insofern also die Ämter in der Gemeinde nicht begrenzt sein dürfen durch Geschlecht. Das ist zum Beispiel ein ganz wichtiger Beschluss, der aus dem Gemeinschaftsverständnis hervorgeht.

Intensive Diskussionen - auch in den Kleingruppen

Gessler: Und wird das klappen? Wird dieser Beschluss fallen oder ist es noch unsicher?
Lessing: Es wird eine Diskussion geben, und wir haben unseren Tagungsablauf so organisiert, dass wir ganz viel Möglichkeiten schaffen, miteinander zu reden. Es wird jede Frage nicht im Plenum diskutiert, wo dann ja oft Leute mit großem rhetorischem Talent sehr antagonistisch miteinander diskutieren, sondern wir diskutieren alles parallel in Kleingruppen, oft von 25 Leuten. Das sind dann mehre hundert Menschen, die gleichzeitig diskutieren, eine ganz aufwendige Form.
Und wir sammeln die Gedanken, die aus diesen kleinen Gruppen kommen und arbeiten diese Vorschläge in den endgütigen Beschluss mit ein. Das gibt uns sehr viele Möglichkeiten, mit allen Leuten intensiv ins Gespräch zu kommen, auszuloten, was möglich ist, zu versuchen, einander zu überzeugen, aber das eben in einem christlichen Geist. Dass wir eben nicht Beschlüsse fassen wollen, die also dann große Teile der Gemeinschaft ausschließen, sondern wir versuchen, die Gemeinschaft als Ganzes mit auf den Weg zu nehmen und im Konsens zu entscheiden. Das ist sehr ambitioniert, aber wir haben die Hoffnung, dass es gerade in dieser Frage möglich sein wird.

Keine Zentrale, sondern freiwillige Mitarbeit

Gessler: Wie verbindlich sind denn die Beschlüsse, die dann hier gefällt werden?
Lessing: Die reformierten Kirchen auf der Welt haben keine hierarchische Organisation. Es gibt bei uns keine Zentrale wie in der katholischen - den Vatikan -, sondern unsere Gemeinschaft beruht auf der freiwilligen Mitarbeit der Mitgliedskirchen. Wir sagen, wer bei uns Mitglied der Gemeinschaft sein möchte, lässt sich darauf ein, auch in schwierigen Fragen, mit allen anderen im Gespräch zu bleiben. Also wenn wir kontrovers diskutieren, dann hoffen wir, Lösungen zu finden, einen Gesprächsstil zu finden, der es allen ermöglicht, Mitglied der Gemeinsacht zu bleiben, auch wenn sie vielleicht bestimmte Entscheidungen nicht mittragen können.
Das bedeutet, wenn man Mitglied der Gemeinschaft ist, dass man auch dann weiter das Gespräch sucht, wenn man mit der eigenen Position sich nicht durchsetzen konnte, sondern eben akzeptiert, dass die Gemeinschaft als Ganze einen bestimmten Weg geht und versucht, eben auch die Menschen und die Kirchen, die mit bestimmten Dingen Schwierigkeiten haben, im Gespräch zu bleiben.
Gessler: Also das bedeutet, wenn es jetzt einen Beschluss für die Frauenordination gäbe hier, dass dann aber am Ende nicht alle Kirchen folgen müssen.
Lessing: Wir haben keinerlei Entscheidungsgewalt auf die internen Entscheidungswege der einzelnen Mitgliedskirchen. Was wir tun können, ist, Kirchen miteinander ins Gespräch zu bringen, engagiert ins Gespräch zu bringen. Es geht uns nicht um Minimalkonsense, sondern darum, das, was wir meinen, was Gottes Wort im Augenblick von der Kirche erwartet, auch umzusetzen, und wenn es zu Schwierigkeiten führt, auch intern diese Schwierigkeiten auszuhalten und miteinander im Gespräch zu bleiben.

Wirtschaftliche Gerechtigkeit

Gessler: Ein großes Thema ist das Thema wirtschaftliche Gerechtigkeit weltweit. Warum ist das so wichtig?
Lessing: Weil mehr als drei Viertel unserer Mitgliedskirchen im globalen Süden lokalisiert sind, von 89 fast 60 Millionen. Sie sind also in allen Erdteilen, in allen Ländern der Welt. Und oft eben nicht in den Eliten, in den Zentren, sondern in abgelegenen Orten von Gemeinden ohne große Verbindung nach außen.
Das heißt, wenn die Weltgemeinschaft reformierter Kirchen von wirtschaftlicher Gerechtigkeit spricht, spricht sie nicht aus ideologischer Überzeugung alleine, sondern bringt die Lebenserfahrung der Mitglieder in den Mitgliedskirchen zum Ausdruck.
Gessler: Das heißt, der globalisierte Kapitalismus wird kritisch gesehen, um es auf den Punkt zu bringen.
Lessing: Der globalisierte Kapitalismus wird sehr kritisch gesehen. Nicht, weil wir was gegen Wirtschaften haben, sondern weil wir denken, dass die Konsequenzen der Armut und der Marginalisierung und der Ausbeutung, die der globale Kapitalismus hervorbringt, nicht zu akzeptieren sind.
Gessler: Aber mehr als Appelle können Sie dann am Ende auch nicht verabschieden.
Lessing: Wir gehen davon aus, dass unsere Stimme in der Zivilgesellschaft gehört wird. Und wir merken immer wieder, dass wir also auch von Regierungen als Gegenüber ernst genommen werden. In schwierigen Konfliktsituationen bittet man uns, bei Friedensgesprächen sich zu beteiligen und an Versöhnungsprozessen mitzuwirken.

Ein "tief verwurzelter Sinn für Schönheit"

Gessler: Nun ist ja die reformierte Kirche traditionell eher skeptisch, was Bilder angeht. Wir leben aber gleichzeitig in einer Welt, in der Bilder auch für die jüngere Generation immer wichtiger werden. Ist das ein Problem bei der Mission oder Evangelisierung, dass man tatsächlich vielleicht junge Leute nur mit dem Wort nur noch schwer erreicht?
Lessing: Dieser Punkt wird in der Außenwahrnehmung oft übertrieben. Wir haben im Zusammenhang dieser Generalversammlung ein Buch veröffentlicht über die Schönheit der reformierten Tradition, dass also - wenn auch nicht also Bilder explizit sind -, dass architektonisch raumgestaltungsmäßig also unglaublich wunderbare Kleinode von Architektur und Gestaltung in der reformierten Tradition zu finden sind.
Also insofern ist es uns ganz wichtig, zu sagen, dass - auch wenn die reformierte Kirche manchmal skeptisch ist gegenüber Bildern: Sie hat einen ganz tief verwurzelten Sinn für Schönheit. Die Skepsis gegenüber Bildern halten wir gerade in der heutigen Zeit für relevant, weil wir merken, dass viele Bilder das sind, was man in der Bibel als Götzenbilder bezeichnet, dass also Menschen sich organisieren in einer Weise, die für diese Welt, für diesen Planeten nicht gut ist.
Wenn es also um politische Symbole geht, wenn es um Symbole in der Werbung geht und so weiter, dann sagen wir nicht, das ist alles verkehrt, das darf nicht sein, aber wir sagen aus unserer biblischen Überzeugung: Wir müssen damit kritisch umgehen, wir brauchen eine kritische Distanz, damit die Bilder Ausdruck unserer Gestaltung der Welt sind und uns nicht beherrschen.
Der Schweizer evangelisch-reformierte Theologe Karl Barth.
Der Schweizer evangelisch-reformierte Theologe Karl Barth.© picture alliance / dpa

Die Tradition der Prädestinationslehre

Gessler: Eine zweite große Tradition ist ja die Prädestinationslehre, die für unsere Ohren etwas ziemlich Hartes sagt, nämlich, dass es eigentlich von Gott vorgegeben ist, wer die Gnade erhält, wer gerettet wird und wer nicht. Kann man mit solchen Botschaften die Leute noch erreichen?
Lessing: Auch in diesem Fall kann man sagen, das ist ein Aspekt der reformierten Tradition, der bereits seit über 100 Jahren verstärkt sehr kritisch auch bearbeitet wird. Also man wird heute an den reformierten Universitäten kaum noch jemanden finden, der in der Deutlichkeit die Prädestination, dass Gott eben auch verwirft, lehrt in der Weise, wie das vielleicht im 18. Jahrhundert gemacht worden ist. Wir gehen eher davon aus, in der Tradition von Theologen wie Karl Barth, dass natürlich in der Berufung des Menschen auch eine Deutlichkeit zum Ausdruck gehört, was Gott auf dieser Welt nicht will. Das bedeutet aber nicht, dass Menschen mit ihrem Leben verworfen werden, sondern wir verstehen es als göttliche Leitung, als göttliche Gnade, uns auf den Weg zu weisen, der der richtige ist.
Gessler: Wie weit lässt sich eigentlich die reformierte Kirche darauf ein, dass die Liturgie, zumindest in der lutherischen Kirche, ja oft etwas, sagen wir mal: sinnlicher wird, etwas mehr mit Zeichen und mehr mit Musik zu tun hat, vielleicht kann man sogar sagen: etwas katholischer wird – geht die reformierte Kirche diesen Weg auch?
Lessing: Die Gottesdienste, die hier auf der Generalversammlung, sind ganz stark von der Bewegung der liturgischen Erneuerung getragen, die eben davon ausgeht, dass wenn es Gottesdienst ist, es auch sehr menschlich ist und menschliche Erfahrung zum Ausdruck bringt. Das ist eine ganz alte reformierte Tradition.
Das Psalmensingen ist ja das zentrale Element des reformierten Gottesdiensts schlechthin, und in den Psalmen hat man eben auch diese ganz menschlichen Erfahrungen. Der Herr ist mein Hirte – man fühlt sich gleich behütet, man hat ganz elementare Aussagen von Angst, die also bis in die Eingeweide geht und die Eingeweide zusammenzieht.
Also diese Sache, dass also im Gottesdienst auch ganz elementare menschliche Erfahrungen zum Ausdruck kommen, ist eine ganz alte reformierte Tradition. Und heute wird die eben stark und bewusst ausgelebt mit viel Freude, mit viel Farbe, mit viel Gesang, was aber immer bedeutet mit Rückbindung auf die Bibel und auf eine ganz starke Beziehung auf Gottes Wort.
Gessler: Das heißt, das Wort bleibt doch im Zentrum und Zeichen werden eher vermieden? Kann man das sagen?
Bundespräsident Steinmeier spricht zur Eröffnung der Weltausstellung Reformation in Lutherstadt Wittenberg.
Bundespräsident Steinmeier ist Mitglied der reformierten Kirche und hat am Willkommensgottesdient der diesjährigen Generalversammlung in Leipzig teilgenommen. .© dpa / Jan Woitas

Bundespräsident Steinmeier beim Gottesdienst

Lessing: Das Wort kann man auch singen und tanzen und durch Zeichen ausdrücken, aber die zentrale Referenz dabei bleibt immer der biblische Text.
Gessler: Der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ist auch reformiert. Gibt es da bestimmte Hoffnungen, dass das auch den reformierten Kirchen vielleicht einen gewissen Schub geben könnte hier in Deutschland?
Lessing: Wir sind sehr froh und dankbar über das große Interesse des Bundespräsidenten und dass er also zu uns in den Willkommensgottesdienst gekommen ist, also wirklich ein großes Geschenk auch für die Generalversammlung.
Weil er ja nicht mit großer Distanz über kirchliche Dinge spricht, sondern kenntnisreich und persönlich überzeugt. Das ist für viele Delegierten aus unserer Mitgliedskirche sehr wichtig, weil die ja oft in Ländern sind, wo man also entweder überhaupt keine Unterstützung durch die Regierung hat oder die Regierung den Kirchen ausgesprochen feindlich gegenübersteht. Und das Gefühl zu haben, dass es also Beispiele gibt, dass man also ein positives Verhältnis zu einem Staat und zu einer Gesellschaft haben kann, ist also sehr wichtig für Leute, die in ihrer kirchlichen Arbeit mit sehr prekären und schwierigen Verhältnissen konfrontiert sind.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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