Französisches Verlagswesen

"Talent allein reicht eben nicht"

Marcel Proust
Keiner wollte den französischen Schriftsteller Marcel Proust verlegen. Der Verlag Gallimard veröffentlichte schließlich 1913 "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit". © imago/Vera Archives Leemage
Von Martina Zimmermann · 25.08.2017
Das berühmteste Opfer des französischen Verlagssystems ist Schriftsteller Marcel Proust. All seine Werke wurden zunächst abgelehnt. Und noch immer haben es unbekannte Autoren in den Pariser Institutionen schwer. Hoffnung verspricht das Internet.
"Als Journalist oder Universitätsprofessor haben Sie leichter Zugang zu den bedeutenden Pariser Verlagen. Einen bekannten Journalisten werden die Verleger eher beachten, selbst wenn sein Buch schlecht ist oder wenn er es gar nicht selbst geschrieben hat, was häufig der Fall ist. Warum? Da gibt es eine Verkaufsgarantie. Mit einem Unbekannten gibt es die nicht!"
Pierre Fréha "spielte immer mit dem Feuer", wie er es ausdrückt: Der Schriftsteller schickte alle seine Manuskripte mit der Post an die Pariser Verlage – eigentlich die Garantie fürs Verstauben in einer Schublade. Sein erstes Manuskript "Anglo-lunaire" über junge Leute, die in Londoner Pubs die Welt neu erfinden, hatte Fréha mit 24 geschrieben. Es gelangte mit der Post zum Verlag Gallimard – und wurde gedruckt. Eine Ausnahme, die die "Regel von Saint-Germain-des-Prés" bestätigt. In diesem Pariser Stadtteil sind die wichtigsten Verlage angesiedelt. Und dort tummeln sich die Kulturschaffenden... die so genannten "Germanopratins".
"So langsam wurde das ein sehr abwertender Begriff, der anspielt auf eine Clique von Schriftstellern, Philosophen und Autoren, die ganz oben sind und im Pariser Leben den Ton angeben. Ohne die geht gar nichts. Das System wird von vielen Leuten kritisiert, weil es in diesem Milieu darum geht, sich gegenseitig einen Gefallen zu tun. Dazu kommt die Arroganz der Pariser – manchmal geht es auch um Talent, aber das Talent allein reicht eben nicht."
…sagt Pierre Fréha.

Richtige Themen zum passenden Zeitpunkt

Es geht auch um die richtigen Themen zum passenden Zeitpunkt. Eine kritische Auseinandersetzung mit der Kolonialzeit etwa hatte lange Zeit kaum eine Chance. Pierre Fréha schrieb zwei Romane, die Algerien zum Thema hatten. Diese wurden in einem kleinen Spezial-Verlag publiziert. Ähnlich ging es dem algerischen Schriftsteller Salah Guemriche. Die ersten Texte des in Frankreich lebenden Autors veröffentlichte Simone de Beauvoir 1971 in "Les Temps Modernes". Seine Bücher, ob Romane, Poesie, Krimis oder geschichtliche Dokumentationen, haben oft einen Bezug zu seinem Heimatland Algerien, handeln zum Beispiel von christlichen Konvertiten in der Kabylei oder von der Schlacht von Poitiers, wo laut Geschichtsunterricht 732 die Araber gestoppt wurden. Er schrieb eine Biografie der in Marokko geborenen französischen Sängerin Sapho und ein Wörterbuch der französischen Wörter mit arabischem, türkischem oder persischem Ursprung. Seine Bücher erschienen nur zum Teil bei großen Verlagen. Guemriche erklärt das so:
"Ich bin nicht der einzige Algerier, der ein Problem mit den französischen Verlegern hat. Anfang des 20. Jahrhunderts gab es eine blühende Literatur, die sogenannte Algerienliteratur, die von Algerienfranzosen mit einem exotischen Blick auf Algerien geschrieben wurde. Bei den meisten Autoren, die heute akzeptiert werden von den meisten französischen Verlegern, frage ich mich, ob es sich nicht um eine Art Neo-Algerienexotik handelt. Diese Schriftsteller schreiben, was man hier von ihnen erwartet."
Ausnahmen bestätigen nur die Regel, behauptet auch Pierre Fréha:
"Ich kenne persönlich Autoren, die ihre Präsenz im Verlagswesen weniger ihrem Talent verdanken, sondern der Tatsache, dass sie zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort auf dem richtigen Cocktail sind. Das kritisiere ich nicht. Aber wer da nicht mitspielt, steht am Rande. Dieses System ist autoritär. Und es beruht auf Pariser Wichtigmacherei."

Opfer dieses Systems – Marcel Proust

Das berühmteste Opfer dieses Systems ist der heutige Klassiker der französischen Literatur, Marcel Proust. Seine Werke wurden von sämtlichen Verlagen abgelehnt, bis Gallimard 1913 den Irrtum korrigierte und "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" verlegte.
"Wir arbeiteten in einem traditionellen Verlag und sahen schnell, dass sehr viele Leute schreiben, – man bekommt phänomenal viele Manuskripte –, aber die Verleger veröffentlichen sehr wenig unbekannte Autoren. Ich fand es frustrierend, dass sehr gute Texte in der Schublade liegen bleiben."
Charlotte Allibert ist die Mitgründerin von Librinova, einem E-Book-Verlag, der Autoren die Möglichkeit bietet, im Selbstverlag im Internet zu publizieren. Wird ein E-Book 1000 Mal verkauft, fungiert Librinova dann als Agentur und Brücke zum traditionellen Verlagswesen. In den dreieinhalb Jahren ihrer Existenz veröffentlichte die Agentur 1200 Texte, 27 davon wurden nach einem Erfolg im Internet auch traditionell gedruckt.
"Die traditionelle Welt der Verleger versteht man nicht leicht, viele wollen rein und es ist schwer, drin zu bleiben."
…sagt Carène Ponte, die Star-Autorin des E-Book-Verlages Librinova. Carène Ponte fand ihre ersten Leser dank eines Blogs. Derzeit schreibt sie an ihrem dritten Roman für den Verlag Michel Lafon. Die digitale Revolution bietet Autoren eine Chance, die sonst keine haben. Das ist neu in Frankreich, wo bisher nur Bestsellerautoren mit Agenten arbeiten und die Verlage Agenten misstrauen, als Außenseitern in ihrem Pariser System. Inzwischen schicken auch große Verlage unbekannte Autoren zu Librinova, um sie im Internet zu testen. Wenn sie dort ankommen, werden Unternehmen wie Librinova als Agenten akzeptiert.
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