Fragwürdiges Gedenken

Von Rolf Schneider |
Vor 300 Jahren, am 24. Januar 1712, wurde Friedrich der Große, König von Preußen, geboren. In den kommenden Monaten werden unzählige Veranstaltungen an den "aufgeklärten Absolutisten" erinnern, doch der Schriftsteller Rolf Schneider meint, dass wir den Rummel schnell wieder vergessen sollten.
Preußenkönig Friedrich II. war der mit Abständen genialischste aller regierenden Hohenzollern. Auch dies war ein Grund, sich ihm zuzuwenden. Kein Monarch im deutschen Sprachraum wurde mehr beredet und wissenschaftlich häufiger untersucht, nicht bloß bei uns, sondern auch in Großbritannien, von Thomas Carlyle bis Christopher Clark. Er war ein Vorzugsobjekt der schönen Künste. Er trat auf in Theaterstücken, Spielfilmen, Romanbüchern, eine Oper handelt von ihm, es gibt Standbilder, Gemälde, Illustrationen.

Friedrich war belesen. Musikalisch wie literarisch hochbegabt, behagten ihm Johann Sebastian Bach und dessen Sohn Christoph Emanuel gleichwohl nur wenig. Mit dem bewunderten Voltaire verzankte er sich. Mit Lessing konnte er nichts anfangen.

Er ließ die Folter abschaffen, seine Soldaten müssten weiterhin Spießruten laufen. In seinem programmatischen "Antimachiavell" verurteilte er den Krieg; kaum König geworden, überfiel er Schlesien und war insgesamt neun Jahre lang in ruinösen Feldzügen unterwegs. Er gewann Schlachten und verlor Schlachten, letzteres wog schwerer, gleichwohl galt er weithin als bedeutender Feldherr.

Er pflegte das Bild eines bedürfnislosen Menschen, dabei hielt er auf kostbare Tabatieren und teure Mahlzeiten. Er war empfindsam und brutal, liebenswürdig und zynisch, despotisch und tolerant. Er war voller Widersprüche, wie auch, was er vertrat, der aufgeklärte Absolutismus, ein in sich widersprüchliches Ding ist.

Derzeit begehen wir seinen 300. Geburtstag. Abermals gibt es viele neue Publikationen, dazu noch ein Theaterstück, dazu neue Filme im Fernsehen und auf DVD. Das gesamte Jahr 2012 steht in seinem Zeichen. Höhepunkt soll eine Ausstellung sein mit dem etwas abartigen Titel "Friederisiko".

Über die Gründe solch ungebremster Konjunktur darf man nachdenken. Einer ist, dass wir eine vergleichbare Herrscherfigur in unserer Vergangenheit schlechterdings nicht haben. Die Widersprüchlichkeit erlaubt es, die jeweils eigenen Positionen hier zu finden und auszustellen.

Auch andere Staaten verfahren so, man denke an England und Elisabeth, an Frankreich und Henri Quatre nebst Napoleon, an Russland und Peter wie selbst Katharina. Bei uns kommt hinzu, dass Friedrich zur Identifikationsfigur der Nationalbewegung gedieh, als das territorial zersplitterte Deutschland sich unter der Hegemonie von Friedrichs Preußen einigen wollte.

Der Fridericuskult war ein Produkt aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Zuvor, nachdem Preußens Heer und Staat 1806 desaströs unterlegen waren, hatte man seine Person vierzig Jahre lang zunächst verdrängt. Der Jubel um ihn hielt fast ein Jahrhundert, selbst lautstarken Widerspruch gab es, etwa durch Franz Mehring. 1945 lösten die siegreichen Alliierten den Staat Preußen auf, und auch mit Friedrich war es, wie schon 1806, zunächst einmal vorbei.

Sehr allmählich und behutsam kehrte er zurück, in der altbundesdeutschen Historiografie ebenso wie durch Erich Honecker, der Rauchs Fridericus-Denkmal wieder auf die Straße Unter den Linden setzen ließ und respektvoll von Friedrich dem Großen sprach. Das wiedervereinigte Deutschland machte aus der Rückführung seiner Gebeine nach Potsdam dann einen förmlichen Staatsakt.

Werden wir diesen beunruhigenden Schatten also nie mehr los? Eine zarte Hoffnung immerhin gibt es. Unser aktueller Kulturbetrieb neigt dazu, die Objekte seiner Verehrung durch quälendes Übermaß zu beschädigen. Am Ende mag man nichts mehr davon hören. So erging es jüngst Mozart und Schiller, und derart könnte auch der Fridericus-Rummel von 2012 dort enden, wohin er gehört: in die Archive und ins Vergessen.


Rolf Schneider stammt aus Chemnitz. Er war Redakteur der kulturpolitischen Monatszeitschrift "Aufbau" in Berlin (Ost) und wurde dann freier Schriftsteller. Wegen "groben Verstoßes gegen das Statut" wurde er im Juni 1979 aus dem DDR-Schriftstellerverband ausgeschlossen, nachdem er unter anderem zuvor mit elf Schriftstellerkollegen in einer Resolution gegen die Zwangsausbürgerung Wolf Biermanns protestiert hatte. Veröffentlichungen u. a.: "November", "Volk ohne Trauer" und "Die Sprache des Geldes". Rolf Schneider äußert sich insbesondere zu kultur- und gesellschaftspolitischen Themen.

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Rolf Schneider, Schriftsteller und Publizist
Rolf Schneider, Schriftsteller und Publizist© Therese Schneider
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