Flüchtlingspolitik

Eine Hasswelle rollt durchs Land

Von Christoph Richter, Landeskorrespondent Sachsen-Anhalt · 07.11.2015
Straftaten gegen Landtagsabgeordnete haben sich in Sachsen-Anhalt innerhalb eines Jahres verdreifacht. Das sei nichts weniger als Angriff auf die Zivilgesellschaft, die sich für Flüchtlinge einsetzt, kommentiert Christoph Richter.
Der Schrecken der Anwohner in der Otto-von-Guericke-Straße in Magdeburgs Innenstadt Anfang dieser Woche war groß. Als sie sahen, dass die große bis zum Boden reichende Schaufensterscheibe eines Wiener Caféhauses – das einst einen jüdischen Vorbesitzer hatte - mit riesigen Worten "Volksverräter Sören Herbst" beschmiert war. Darunter war ein Galgen zu sehen. Ein Schock auch deswegen, weil es brutal an die Ikonografie der Reichspogromnacht von 1938 erinnert, als Nazis jüdische Geschäfte schändeten. Gemeint war hier der Landtagsabgeordnete der Grünen Sören Herbst, der direkt über dem Café wohnt und dafür bekannt ist, dass er sich für Flüchtlinge einsetzt.
Straftaten gegen Landtagsabgeordnete haben sich in Jahresfrist in Sachsen-Anhalt verdreifacht. Für den Einzelnen ein Desaster – denn es zeigt ihnen, wir haben dich persönlich im Blick, wir verfolgen dich. Die Polizei rät dann den Betroffenen, doch lieber ab Einbruch der Dunkelheit zu Hause zu bleiben, unnötige Wege zu vermeiden. Der Hass-Angriff auf das direkte Lebensumfeld und das Wahlkreisbüro von Sören Herbst ist kein Einzelfall, denn in der gleichen Nacht wurde auch der Magdeburger Robert Fietzke von der Linksjugend als Volksverräter diffamiert, das Büro der Landtagsabgeordneten Rosemarie Hein von der Linkspartei mit Steinen beworfen.
Eine neue Stufe der Bedrohung
Die Schmierereien sind das Zeichen einer neuen Stufe von Bedrohungen, denn es geht nicht um Attacken auf politische Mandatsträger, sondern es ist ein Angriff auf die Zivilgesellschaft, die sich für Flüchtlinge einsetzt. Und, wer nun erwidert, dass es Angriffe gegen Politiker schon immer gab, dem muss man sagen: Ja stimmt, aber auch irgendwie nicht. Und zwar deswegen, weil die durchs Land rollende Hasswelle jetzt anscheinend bei einigen Radikalisierten angekommen ist, die die Dinge in die Tat umsetzen. Die Gewaltaufrufe – die insbesondere auf den Pegida-Demonstrationen und im Internet zu erfahren sind, wo von "auf die Fresse hauen, Ratten totschlagen" zu lesen ist, werden wörtlich genommen. Aus digitalem Hass werden reale Angriffe.
Das betrifft nicht nur die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker, den Bernauer Bürgermeister André Stahl oder Bundesjustizminister Heiko Maas der mit Goebbels verglichen wurde, sondern auch viele namenlose Engagierte.
Nun ist die Politik gefragt. Mehr denn je. Doch genau sie ist Teil des Problems: Gerade wenn Politiker in den täglich über den Bildschirm flimmernden Talkshows selbst asylfeindliche Schreckensbilder inszenieren; wenn sie von Wirtschaftsflüchtlingen reden, nur Zahlen ins Spiel bringen, nie von Menschen reden, wenn sie diffuse Ängste fördern, wie es kürzlich erst der Magdeburger Oberbürgermeister Lutz Trümper getan hat. Als er in einer Talkshow des Mitteldeutschen Rundfunks verschwörerisch von schweren und gefährlichen Infektionskrankheiten gesprochen hat, die sich angeblich in Magdeburger Flüchtlingsheimen ausbreiten würden. Eine kurze Nachfrage bei der Stadtverwaltung reichte aus, um zu erfahren: Stimmt nicht. Es gab gerademal zwei Fälle von Krätze und Bettläusen. Nichts Ungewöhnliches. Denn die bringen, das muss man so mal sagen, viele deutsche Urlauber jedes Jahr aus irgendwelchen 2- oder 3-Sterne-Hotels mit. Extremismus-Experten sprechen im Fall Trümper bereits von einem uralten rassistischen Narrativ, dem sich der Magdeburger Kommunalpolitiker annehmen würde.
Integrieren statt hetzen
Was wir nun brauchen sind keine Konferenzen, Asyl-Gipfel – das alles macht die Hetze, den Hass der allenthalben auf Bürgerversammlungen, zumindest in Sachsen-Anhalt zu erleben ist, nicht geringer. Stattdessen braucht Deutschland jetzt einen Flüchtlings-Integrations-Marshallplan. In Anlehnung an die 1950er-Jahre. Es muss ein groß angelegtes Programm kommen, für die Integration der Aus- aber eben auch Inländer. Denn gerade in Ostdeutschland wurde nach 1990 dahingehend viel versäumt, man hat Autobahnen und ICEs gebaut, dabei aber die Menschen vergessen. Hartz IV hat dann sein Übriges getan.
Wir müssen sie wieder reinholen, die sich abgekoppelt, unverstanden oder frustriert fühlen. Sozialwissenschaftler sprechen gar von einem Viertel der Deutschen, die das beträfe. Um sozialen Frieden zu erreichen, die Hasswelle zu stoppen, müssen wir an sie ran. Diesen Menschen eine Perspektive geben, ihnen zuhören, bei demagogischen Reden ins Wort fallen. Dazu braucht es politische Landeszentralen, die viel mehr als bisher, durch die Lande ziehen müssen, um Aufklärung zu leisten. Ob beim Bäcker um die Ecke oder am Stammtisch.
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