Fakten und Fiktion im Film

Falsche Freunde, echte Feinde und wahre Ereignisse

Der Schauspieler Volker Bruch (l.) in der Rolle des Wilhelm Winter und der Schauspieler Tom Schilling als sein Bruder Wilhelm Winter stehen bei den Dreharbeiten für den inzwischen preisgekrönten Film "Unsere Mütter, unsere Väter" nebeneinander.
Massive Kritik gab es an der deutschen TV-Serie "Unsere Mütter, unsere Väter" vor allem aus Polen. © picture alliance / dpa / Jens Wolf
Von Susanne Luerweg und Sabine Oelze · 21.08.2021
Die Fernsehserie "Weissensee" begeisterte Publikum und Kritiker. Das Geschichtsbild von "Unsere Mütter, unsere Väter" sorgte dagegen für einige Kontroversen. Filme über die Historie boomen, aber wie stark vermischen sich dabei Fiktion und Fakten?
Trailer zur Langen Nacht über Geschichte im Film – mit den Autorinnen Susanne Luerweg und Sabine Oelze:
Berlin, im Sommer 1941: Fünf Freunde feiern eine Abschiedsparty in der Hauptstadt, bevor sie sich trennen, weil sie als Soldaten an der Front oder als Krankenschwester im Lazarett ihrem Land dienen müssen. Ihr Schicksal steht in der TV-Serie "Unsere Väter, unsere Mütter" stellvertretend für die Geschichte, die unsere Mütter, unsere Väter oder unsere Großeltern im Zweiten Weltkrieg erlebt haben könnten.

Ausstellung "Inszeniert. Deutsche Geschichte im Spielfilm"
Eine Ausstellung im Haus der Geschichte in Bonn zeigte wie Spielfilme und ihr Marketing öffentliche Diskussionen über historische Ereignisse initiieren, verschieben, und die Sicht auf Personen und Ereignisse beeinflussen. Zu sehen sind über 500 Exponate, darunter Drehbücher, Plakate, Auszeichnungen und Requisiten sowie zahlreiche Filmausschnitte.

Es gibt ein Verlangen nach Geschichte in Geschichten: Nichts verdeutlicht den Zustand der Welt so gut wie das Schicksal einzelner Menschen, eingesponnen in das Räderwerk kleiner und großer historischer Ereignisse. Wie viel Wahrheit ist nötig und wie viel Fiktion erlaubt, um Geschichte ins Fernsehen zu bringen? Gerade der Film "Unsere Väter, unsere Mütter" löste starke Kritik aus; anderen Filmen über die Geschichte geht es ähnlich. Eine Lange Nacht über Geschichte im Film erzählt an vielen Beispielen.

Lesen Sie das komplette Manuskript zur Sendung in seiner ungekürzten Vorsendungsfassung hier: Manuskript als PDF. Die Webbegleitung zu dieser Sendung ergänzt das Manuskript und die Sendung, bietet einen eigenen Zugangsweg zu dem Thema.

"Heimat" von Edgar Reitz
Trailer zu "Heimat" (1984) auf Youtube:
Paul Simon kehrt aus dem Ersten Weltkrieg zurück. Sein erster Weg führt ihn in die Dorfschmiede seines Vaters, wo er gleich wieder mithilft, ganz so, als sei er nie weg gewesen. Erst später, als sich die Familienmitglieder um den Esstisch versammeln, nehmen sie von Paul Notiz. Bis dahin vergehen sieben Filmminuten, in denen kaum gesprochen wird.
Das archaische Leben im Dorf Schabbach, die harte Arbeit der kleinen Leute, die Armut erzählt Edgar Reitz mit einer großen Liebe zum Detail in seiner Trilogie "Heimat". Als 1984 der erste Teil im Fernsehen startet, schalten im Schnitt Woche für Woche zehn Millionen Menschen den Fernseher ein. Elf abendfüllende Spielfilme hat der Regisseur gedreht, jede Folge ist unterschiedlich lang.
Hinweis: Neu und restauriert ist "Heimat 1 - eine deutsche Chronik" bei arthaus in einer Director‘s Cut-Fassung auf Blu-Ray sowie als "digital remastered" Version erschienen. Länge: ca. 890 Minuten. Als Blu-Ray kostet sie etwa 40 Euro, als DVD etwa 30 Euro.
Sabine Oelze über die Filme von Edgar Reitz:
Kann der Film eventuell auch mehr als die Geschichtsschreibung, weil er ja auch die Möglichkeit, hat Emotionen zu wecken?
Edgar Reitz: "Da bin ich skeptisch und zurückhaltend. Es geht im Grunde um die Frage: Können wir mit Hilfe des Mediums in die Zeit zurückkehren. Können wir einen wirklichen Blick in vergangene Zeiten werfen? Das ist nicht möglich. Ich würde es nie wagen, wirkliche Geschichtsfakten zu verfilmen. Ich würde es nicht wagen, Persönlichkeiten der Geschichte, große Figuren auftreten zu lassen. Ich könnte es nicht aushalten, einen Schauspieler Hitler oder Napoleon spielen zu lassen."
Trailer zu "Die andere Heimat" (2013) auf Youtube:
Mit "Die andere Heimat – Chronik einer Sehnsucht" ist Edgar Reitz eine weitere persönliche Form der Geschichtsschreibung gelungen, mit der er an die Heimattrilogie anknüpft und einen Bogen schlägt vom 19. Jahrhundert ins 20. Jahrhundert.
Doku-Dramen von Heinrich Breloer
Auch der Kölner Regisseur Heinrich Breloer hat sich jahrzehntelang mit der deutschen Geschichte auseinandergesetzt. Gemeinsam mit seinem Kollegen, dem NDR-Dramaturgen Horst Königstein, gilt der Filmemacher als Erfinder des sogenannten Doku-Dramas. Für seine Filme recherchiert Breloer wie ein Historiker. In seiner Wohnung in der Kölner Südstadt sieht es aus wie in einem Archiv: Aktenordner stehen in den Regalen, Bücher stapeln sich bis unter die Decke. An den Wänden hängen Plakate seiner Filme.
Heinrich Breloer: "Dieser Aufklärungsmodus, wenn sie so wollen eine Weiterentwicklung vom Brechtschen Theater: Dass die Leute verstehen, dass ihre Geschichte hier verhandelt wird und, dass sie nicht in ein süffiges Kino im Sessel versinken und wegträumen. Der Zuschauer wird da nicht allein gelassen, er kriegt da immer so viel an die Hand, dass er das genau unterscheiden kann."

Hinweis: Materialien von Heinrich Breloer kostenlos anschauen
Viele Materialien von Heinrich Breloer können bei der Deutschen Kinematek – Museum für Film und Fernsehen online angeschaut werden. Unter anderem ist auch der zweite Teil seines Doku-Dramas über Herbert Wehner hier in kompletter Länge abspielbar.

Viele Themen, die in der "Tagesschau" in Kurzbeiträgen von drei Minuten verhandelt werden, nimmt Breloer genauer unter die Lupe. Beispielsweise die Affäre um die "Neue Heimat", der mysteriöse Tod des CDU-Politikers Uwe Barsche 1987l, die Geschichte eines hingerichteten Metzgers in "Das Beil von Wandsbek" in seinem ersten Doku-Drama oder die Geschichte der Entführung der Lufthansa-Maschine Landshut in "Das Todesspiel".
Trailer "Wehner – die unerzählte Gesichte" (1994) bei Youtube:
Um an brisante Informationen zu kommen, wendet Heinrich Breloer auch ungewöhnliche Methoden an. Als er den Film über Herbert Wehners Zeit in Moskau, im Sagen umwobenen Hotel Lux dreht und seine Verstrickungen in Geheimdienstgeschäfte recherchiert, werden Aktenaufseher auch schon mal mit Naturalien und Geld dazu gebracht, dem Filmemacher und seinem Team zu helfen.
"Wir wollen hochbrisante Akten haben und holen jetzt Spielzeug für die Kinder raus. Dann hatte ich ganz viele Dollar vom WDR in den Taschen. Große und kleine Noten. Rechts war die Akte. Sascha saß neben mir. "Sascha, was steht da?" - "Das ist eine wichtige Akte, die brauchst du." Dann habe ich die nach links getan. 20 Dollar. Dann haben wir mehr oder weniger die wichtigsten Akten gekauft, ohne Unterschrift. Dann wurden wir in einem Raum eingeschlossen und dann haben wir die ganze Akte durch fotografiert."
"Die Partei hat mir einen Auftrag gegeben. Ein kleiner Umbau. Wenn sie die Wahl gewinnen, dann wird sich einiges ändern. Auch für uns."
Eine Szene aus "Speer und Er". Der NS-Architekt Albert Speer inszeniert sich in der Nachkriegszeit als guter Gentleman-Nazi, ein verführter, eigentlich unschuldiger Intellektueller und Technokrat. Um sich ihm anzunähern, lässt Breloer für "Speer und Er" auch die Kinder von Speer zu Wort kommen. Albert Speer Junior ist ein kleiner Junge während des NS-Regimes. Er erinnert sich an Adolf Hitler als einen gütigen Onkel, der Bonbons spendiert und ihm über den Kopf streichelt. Der Obersalzberg ist für ihn und seine Schwester Hilde als Kind ein attraktives Ausflugsziel.
Auch mit "Speer und Er" löst Breloer eine Kontroverse aus. Die Wochenzeitung "Die Zeit" verreißt das Doku-Drama und bezeichnet es als Geschichtsklitterung:
"Wie die historische Gestalt Adolf Hitler im Titel bereits ins Übermenschliche, Legendäre entrückt wird, so bleibt auch bei der stundenlangen Darstellung seines Gefolgsmannes vieles unscharf, manches ganz unberücksichtigt."
Auf die Kritik an dem Dreiteiler "Speer und Er" reagiert Breloer mit einem so genannten "Nachspiel", kein Doku-Drama, sondern eine reine Dokumentation, die an Teil drei anknüpft. Darin kommen Speers Biograph Joachim Fest und der Verleger Wolf Jobst Siedler zu Wort. Beide erzählen, wie sie während ihrer Arbeit am Buch von Albert Speer verführt wurden.
Filme über Ostdeutschland von Christian Schwochow
Trailer zu "Novemberkind" (2008) bei Youtube:
Der junge Regisseur Christian Schwochow gilt als Chronist des Ostens. Als Kind in Ostberlin aufgewachsen, kommt er als Elf-Jähriger ins westdeutsche Hannover. Er verarbeitet in seinen Werken auch sein eigenes Ankommen zu Beginn seiner Zeit in Hannover.
Christian Schwochow: "Weil das eine Erfahrung ist, die jeder aus dem Osten so gemacht hat: Du bekommst plötzlich deine Kindheit erklärt, du bekommst dein Leben erklärt, von Menschen, die dort nie gelebt haben. Ich kam dort in der neuen Schule an und war der erste Ostler. Die Lehrerin, die viele Fächer dort unterrichtete, Religion, Gemeinschaftskunde und noch mehr, erklärte den anderen Kindern, was die DDR ist und das suggerierte, dass das ein unglückliches Kind ist, das da jetzt zu uns gekommen ist. Als wäre ich aus einem katholischen Kinderheim vor 100 Jahren entkommen. Das wollte ich nicht so stehen lassen. Und ich habe versucht, das gerade zu rücken. Ich weiß noch, dass die Lehrerin irgendwann sagte: Dann geh´doch zurück zu deinem scheiß Honecker. Das vergisst man nicht, das prägt einen sehr."
In "Novemberkind", der Abschlussarbeit von Christian Schwochow an der Filmhochschule, fließen Erfahrungen aus seiner eigenen Familie ein. Eine junge Frau wächst im Osten bei ihren Großeltern auf. Sie denkt, ihre Eltern seien tot. Nach der Wende kommt ein Literaturprofessor in ihre Kleinstadt und stellt Fragen. Er nimmt sie mit in den Westen, wo sie erfährt, dass ihr Vater noch lebt, die Mutter in der Psychiatrie gestorben ist.
"Der Turm" von Uwe Tellkamp ist ein Roman, der in der Intellektuellenszene von Dresden spielt. Im Zentrum steht das Leben im Villenviertel "Weißer Hirsch". "Der Turm" galt als unverfilmbar, als "Buddenbrocks des Ostens", zu sperrig und komplex für den Bildschirm. Zentrale Figur ist der Arzt Richard Hoffman, gespielt von Jan Josef Liefers. Er liebt seinen Beruf, seine Frau, seine Geliebte, sein Leben. Im Hause Hoffmann wird musiziert, gelesen, gestritten. Ein bourgeoises Dasein mitten im Sozialismus.

Literaturtipp:
Uwe Tellkamp: "Der Turm", 976 Seiten, Suhrkamp Verlag, 4. Auflage 2010, ISBN: 978-3518461600, Preis für die Taschenbuchausgabe: 9,99 Euro

Trailer zu "Westen" (2014) auf Youtube:
Zusammen mit seiner Mutter Heide Schwochow adaptiert Christian Schwochow den Roman "Lagerfeuer" von Julia Franck für den Kinofilm "Westen". Hier dürften sich viele Ostdeutsche wiederfinden, die schon vor 1989 ausreisten. Der Film erzählt von einer alleinerziehenden Mutter im Auffanglager Marienfelde und ähnelt nicht nur in weiten Teilen der Geschichte der Autorin, sondern erinnert auch an Christian Schwochows eigene Ausreise.
"Ich kriege da unheimlich viel Rückmeldung, weil "Westen" ist natürlich ein Film, der vor dem Hintergrund der deutschen Teilung stattfindet. Es geht um Flucht und die Schwierigkeiten, anzukommen. Das ist etwas, was Deutschland und Europa seit einem Jahr sehr sichtbar beschäftigt, die Flüchtlingsfrage, was müssen Flüchtlinge leisten, um hier aufgenommen zu werden. Aber es ist ein Thema, das immer schon Thema in unserem Lande gewesen ist."

Literaturtipp:
Julia Franck: "Lagerfeuer", 336 Seiten, Dtv 2005, ISBN-13: 978-3423133036, Preis für die gebundene Ausgabe: 14,00 Euro

"Tannbach" von Gabriela Sperl
"Tannbach" schildert das Leben im Osten direkt nach der Kapitulation der Deutschen 1945. Der Krieg ist zu Ende, Deutschland ist geschlagen, die Siegermächte teilen das Land unter sich auf.
Ein kleines Dorf an der bayerisch-thüringischen Grenze bekommt die Absurditäten der Teilung besonders hart zu spüren. Der Dreiteiler "Tannbach" erzählt von der Grenze, die mitten durchs Dorf verläuft, entlang des Flusses Tannbach, den es tatsächlich gibt. Auch das Dorf existiert wirklich. Allerdings unter dem Namen Mödlareuth, auch bekannt als "Klein Berlin".
Gabriela Sperl ist promovierte Historikerin und damit eine Ausnahme im Filmbusiness. Sie ist nicht nur die Produzentin von "Tannbach", sondern zahlreicher weiterer Geschichtsstoffe im deutschen Fernsehen:
"Es gibt bestimmte Dinge, die sind ganz eindeutig erkennbar, aber man schaut einfach nicht hin. Und man will sie nicht wahrhaben, weil sie auch ungemütlich sind. Insofern hat mich immer interessiert, was sieht man, was erkennt man, was konnte man wann wie nicht wissen."
Gabriela Sperl hat nicht nur in "Tannbach" den Blick nach Osten gewagt. Bereits ihr Zweiteiler "Die Flucht" erzählt vom Einmarsch der Russen, dem Wunsch, in den Westen zu gehen, dem harten Leben auf dem Treck und den Gefahren.
Kritiker bemängeln, dass Realität und Fiktion hier zu stark auseinanderdriften. Zu sehen sind verzweifelte Familien, die sich 1944 von Ostpreußen auf den Weg in den vermeintlich sicheren Westen machen. Die Rote Armee bombardiert die Trecks, viele sterben, Frauen werden vergewaltigt. Was bleibt, ist das Mitgefühl für alle, die ihre Heimat aufgeben mussten, egal, ob es Franzosen, Polen oder Deutsche sind. Obwohl der Film versucht, auf eindeutige Schuldzuweisung zu verzichten, wird am Ende dennoch ein Schwarz-Weiß-Bild gezeichnet: Die Russen stehen als die Bösen da, so das Ergebnis einer Studie der Hochschule Magdeburg.
Sperl über ihre Vorgehensweise: "Ich glaube, man kann historische Stoffe nur erzählen, wenn man eine klare Haltung hat, weil sie sonst in der Masse des Materials ertrinken. Und dann ordnet sich diese Vielfalt der Quellen. Und wenn sie sich widersprechende Quellen haben, dann geben sie diese verschiedenen Haltungen einfach verschiedenen Figuren und lassen die aufeinander prallen. Und auch dann kriegt es wieder eine große Authentizität, dadurch, dass manche Menschen Dinge wissen und andere nicht."
Verfilmung der NSU-Attentate
Beate Zschäpe (v.l.), Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos
Die Terroristen Beate Zschäpe (v.l.), Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos standen im Mittelpunkt der hochgelobten NSU-Triologie. © picture alliance / dpa / Foto: Frank Doebert
Gabriele Sperl und Christian Schwochow haben gemeinsam einen Teil der von Kritikern hochgelobten NSU-Trilogie verfilmt. "Die Täter", "Die Opfer" und "Die "Ermittler" heißen die Fernsehfilme, die den Werdegang und den Tod der NSU-Terroristen aufrollen.
Auszug aus "Die Täter – Heute ist nicht aller Tage" (Regie: Christian Schwochow/Produktion Gabriele Sperl): "Die Gauleitung in Berlin ist stolz auf Thüringen. Das sind Anleitungen zum Aufbau eines Schulungsnetzwerks. Wir kümmern uns schon um die Ausländer. Und um die Schwulen kümmert sich Aids."
Sperl: "Wie kommt es dazu, dass Jugendliche in Ostdeutschland sich nach der Wende so in einem Vakuum befinden und so offen sind für Radikalisierungen? Und an dem Täter-Film zeigen wir ja auch, dass jeder Jugendliche, ob Junge oder Mädchen, auch eine Möglichkeit hatte, sich dagegen zu entscheiden."
Die NSU-Trilogie ist Geschichtsfernsehen, das sich auf dünnem Eis bewegt. Die Ermittlungen gegen Beate Zschäpe laufen noch. Ein Ende ist nicht in Sicht. Immer neue Ermittlungspannen kommen ans Licht.
"Weissensee" von Annette Hess
Trailer zu "Weissensee" (2010) auf Youtube:
Die ARD-Fernsehserie "Weissensee" kommt bei den Kritikern gut an: "Nie wurde das Politische so gut mit dem Privaten verbunden", schreiben begeisterte Kritiker.
Das Publikum liebt die Serie, die im weitesten Sinne an Shakespeares Romeo und Julia erinnert, nur eben mit Ostprotagonisten. Zwei Familien bilden den dramaturgischen Rahmen von "Weissensee". Die Kupfers: linientreu. Die Hausmanns: Opfer der DDR. Vater Kupfer ist ein hochrangiger Stasi-Oberst, Mutter Hausmann seine ehemalige Geliebte und eine kritische Liedermacherin des Ostens, die in ihren Werken kein Blatt vor den Mund nimmt. Als sich ihre Tochter in einen Kupfer-Sohn verliebt, plagen die Mutter Ängste.
Susanne Luerweg über "Weissensee":
Drehbuchautorin Annette Hess: "Ich habe gerne eine Initialzündung, die liegen kann in einem historischen Ereignis, aber noch viel mehr in einer Atmosphäre, in einer Zeit."
Annette Hess beschreibt die Mentalität jener Zeit und den langsamen Verfall der DDR in "Weissensee", ohne je hämisch zu werden. Ihre Geschichte verfasst sie fernab vom Großstadttrubel. Sie lebt auf dem Land in Niedersachsen:
"Natürlich lesen, ohne Ende. DVDs gucken, Filme gucken auch aus der DDR. Dann natürlich Zeitzeugen, sofern das möglich ist. Was das Lesen angeht, so weniger chronologische Werke, sondern private Texte, Briefe und Tagebücher, weil das auch wieder viel von der Umgangssprache der Zeit transportiert und eben von Sorgen und Nöten der normalen Menschen. Ich will eigentlich menschliche Geschichten erzählen."
Berlin, Berlin, Berlin...
Ernst Reuter: "Völker dieser Welt, schaut auf diese Stadt."
Keine andere Stadt spiegelt so deutlich die Umwälzungen in der deutschen Geschichte wie Berlin. Mit Gründung der UFA im Jahr 1917 befindet sich in der deutschen Hauptstadt die größte Filmfirma, außerdem werden hier die meisten Filmzeitschriften verlegt. Und schon immer interessieren sich Regisseure, Drehbuchautoren und Produzenten für die Stadt als Zeitgeistphänomen und inszenieren Geschichten und Geschichte in Berlin. Eine kleine Auswahl:
>> "Symphonie einer Großstadt" (1927): Das pulsierende Leben in der Großstadt beschäftigt die Drehbuchschreiber schon vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, wie das Beispiel "Symphonie einer Großstadt" von Walter Ruttmann aus dem Jahr 1927 zeigt, oder ein Jahr später "Asphalt" von Joe May.
>> "Die Mörder sind unter uns" (1946): Unmittelbar nach dem Krieg, inmitten von Bombentrichtern und Trümmerbergen, entsteht in Berlin der erste Spielfilm über eine Vergangenheit, die noch ganz frisch ist: "Die Mörder sind unter uns" in der Regie von Wolfgang Staudte. Eine junge Jüdin kehrt aus dem Konzentrationslager zurück nach Hause. In ihrer Wohnung im zerbombten Berlin lebt der Arzt Hans. Traumatisiert vom Krieg bilden die beiden eine Notgemeinschaft. Sie versuchen in der zerstörten Stadt zu überleben und das Erlebte zu verdrängen. Die Vergangenheit holt sie aber immer wieder ein.
>> "Ehe im Schatten" (1947): Der - hier im "Spiegel" besprochene - Film von Kurt Maetzig erzählt die wahre Geschichte des Schauspielers Joachim Gottschallk. Er trennte sich nicht von seiner jüdischen Ehefrau Meta und wählte mit ihr und dem gemeinsamen Sohn 1941 den Freitod. "Ehe im Schatten" wird am 3. Oktober 1947 uraufgeführt. Die Premiere findet gleichzeitig in allen vier Berliner Sektoren statt.
>> "Eine auswärtige Affäre" (1948): Der Film erzählt die Geschichte einer jungen, republikanischen Kongressabgeordneten, die nach Berlin kommt und eine Stadt in Ruinen vorfindet. Gemeinsam mit einer Delegation soll sie die Moral der amerikanischen Truppen überprüfen. Sie entdeckt, dass die Nachtklubsängerin Erika von Schlütow, gespielt von Marlene Dietrich, einst gute Kontakte zum Naziregime hatte und nun von einem hochrangigen amerikanischen Offizier geschützt wird.
>> "Berlin Alexanderplatz" (1980): Rainer Werner Fassbinder verfilmt den Roman "Berlin Alexanderplatz" von Alfred Döblin und sorgt damit für großes Aufsehen. Fassbinder legt den Finger in eine Wunde, die auch 35 Jahre nach Kriegsende noch nicht verheilt ist. Wie kann sich der Nationalsozialismus ab 1933 so rasant in Deutschland ausbreiten? Die Verfilmung von "Berlin Alexanderplatz" ist Geschichtsunterricht und Melodram in einem. Der Regisseur selber nennt es seine Doktorarbeit.
Inzwischen dreht ganz Hollywood in der deutschen Hauptstadt. Auch, wenn in US-Produktionen wie "Operation Walküre" oder "Stauffenberg" die Orte meist nur als Hintergrund herhalten, nutzen deutsche Filmemacher das große Interesse an Berlin, um die einzigartige Geschichte der Metropole in Szene zu setzen.
UFA-Fiction-Produzent Benjamin Benedikt: "Sie gehen in New York in einen Apple Store und die Leute sagen nicht: "Mensch wie schön ist New York", sondern "Ich wäre so gerne in Berlin", anekdotisch verkürzt. Die Faszination ist sicher weltweit."
"Unsere Mütter, unsere Väter" von Stefan Kolditz
Die Figuren in "Unsere Mütter, unsere Väter" (2013) auf Youtube:
Die Miniserie "Unsere Mütter, unsere Väter" startet mitten in den Kriegswirren. Die Geschichte, die der Autor dem Drehbuch zugrunde legt, ist eigentlich ganz einfach: Fünf Freunde geraten in die Fänge des Nationalsozialismus. Jeder von ihnen auf seine Weise. Im Berlin des Sommers 1941 nehmen sie Abschied voneinander: Die Brüder Wilhelm und Friedhelm müssen als Wehrmachtsoldaten an die Ostfront, Charlotte folgt ihnen im Freiwilligeneinsatz als Krankenschwester. Greta möchte Sängerin werden. Ihr Freund Viktor, der fünfte im Bunde, ist Jude. Schon Weihnachten 1941 wollen sich alle wieder in Berlin treffen. Doch dazu kommt es erst nach Kriegsende. Zwei von ihnen sind dann tot. "Unsere Mütter, unsere Väter" orientiert sich an US-amerikanischen Geschichtsfilmen und kommt mit seiner Umsetzung von Krieg und Gewalt beim Publikum gut an.
Die Kritik ist allerdings gespalten. "Unsere Mütter, unsere Väter" versucht einen anderen Blick auf den Krieg im Osten zu werfen und auch, die Kriegsverbrechen zum Thema zu machen. So zeigen die drei Teile unter anderem die Erschießung eines sowjetischen Kriegsgefangenen oder Zivilisten, die in Minenfelder getrieben werden.
Im Sommer 2016 müssen sich die Macher des Kriegsdreiteilers sogar in Krakau vor Gericht verantworten. Der Weltverband der Soldaten der polnischen Heimatarmee wirft der Produktionsfirma Ufa Fiction und dem ZDF vor, mit der Serie über Deutsche im Zweiten Weltkrieg die Persönlichkeitsrechte der Soldaten verletzt zu haben.
Benjamin Benedikt, Produzent der Serie, und Drehbuchautor Stefan Kolditz haben nicht mit so heftigen Vorwürfen gerechnet:
Kolditz: "Ich verstehe, dass die Polen mit dieser unglaublichen Leidensgeschichte auch, was die Deutschen betrifft, auch, was die Sowjetunion und die Russen, aber vor allem die Deutschen betrifft, sich im Grunde von Deutschen nicht ihren eigenen Antisemitismus vorhalten oder nachsagen lassen wollen. Ich muss aber auch sagen, dass ich finde, dass die Kritik zum Teil sehr eindimensional ist und dass die Behauptung, dass die Deutschen sich im Film eigentlich zu Opfern machen und sich quasi mehr oder weniger die Polen zu Tätern erklären, dass das, wenn man sich den Film genau anguckt, nicht berechtigt ist."
"Ku’damm 56" von Annette Hess
Trailer zu "Ku‘damm 56" (2016) auf Youtube:
"Rumba ist nichts anderes als ein Balztanz. Cha Cha Cha hat nur ein Ziel: Die Aufforderung zum Beischlaf. Aber die Krönung von allem ist dieser Rock’n Roll. Da springt die Dame dem Herrn breitbeinig auf den Schoss. Nein, nein. Nicht in meiner Tanzschule."
Anfang 2016 entwickelt sich "Ku’damm 56" zu einem Quotenhit, als Sittengemälde aus der Frühzeit der Bundesrepublik. Der Dreiteiler setzt Berlins Prachtboulevard der Nachkriegszeit glamourös in Szene. Hauptschauplatz ist die dort ansässige Tanzschule "Galant". Geleitet wird sie von einer alleinerziehenden Tanzlehrerin, die nebenbei versucht, ihre drei Töchter standesgemäß unter die Haube zu bringen. Das Drehbuch zu diesem viel gelobten Dreiteiler stammt aus der Feder der Autorin Annette Hess, die schon mit "Weissensee" ihr Können bewiesen hat:
"Ich wollte weg aus dieser Trümmerzeit. Klar waren da noch viele Ruinen zu dieser Zeit, aber der Aufbruch war schon deutlich zu sehen. Und dann war es historisch ungeheuer wichtig, weil der Rock´n Roll eine große Rolle spielt. Wann kam der denn wirklich? Wann hat der noch diese Brisanz und Sprengkraft gehabt? Das war 58/59 schon nicht mehr so."
Der Ku’damm ist Mitte der 50er-Jahre die pulsierende Ader des Westens, eine Art Schaufenster des Wirtschaftswachstums. Der Kalte Krieg hat die Welt geteilt. In keiner anderen deutschen Stadt spüren die Menschen die Angst vor einem dritten Weltkrieg so sehr wie in Berlin. Zwischen Prüderie und Emanzipation verläuft die Gefühlsskala. Annette Hess:
"Ku’damm 56" leuchtet auch die unaufgearbeiteten Seiten der 50er-Jahre aus, mit all ihren Verstrickungen in die NS-Zeit. Ausgerechnet ein Jurist mit besten Karrierechancen treibt sich nachts unter der Löwenbrücke im Tiergarten herum. Ein Ort, an dem sich damals verbotenerweise die Homosexuellenszene trifft."
"Deutschland 83" von Jörg und Anna Winger
Trailer zu "Deutschland 83" (2016) bei Youtube:
"Unsere deutschen Serien-Helden erobern die USA" titelt die Bildzeitung, als die Serie "Deutschland 83" im Juni 2015 in den USA gezeigt wurde. Auch die "New York Times" zeigt sich nach der Ausstrahlung im US-amerikanischen Privatfernsehen begeistert.
"Hier handelt es sich um fiktionale, aber durchaus realistische Blickwinkel auf die jüngere Geschichte, die aufregender sind als aufgeblasene amerikanische Erfindungen wie die Serien "Scandal" oder "House of Cards", die beide im Weißen Haus spielen."
Der Achtteiler "Deutschland 83" hat alles, was spannendes Eventfernsehen mit historischem Tiefgang braucht: gesamtdeutscher Hintergrund, Spione aus West und Ost, Kalter Krieg, Wettrüsten.
Jörg Winger ist der Produzent der Serie; zusammen mit seiner Frau Anna Winger hat er auch das Drehbuch geschrieben.
Anna Winger: "Es ist Living History, die Leute leben noch, man kann mit so vielen Leuten sprechen über ihre Erinnerungen. Man lernt so viel über diese Zeit bei Diskussionen mit den Leuten."
Vom Röhrenfernseher, in dem Helmut Kohl und Ronald Reagan historische Ansprachen halten, über angesagte 80er-Jahre-Pophits, die illegal in der DDR gehört werden, bis hin zur Schlaghose oder auch exklusiveren DDR-Modetrends: Sowohl der Osten als auch der Westen Deutschlands werden mit großer Liebe zum Detail dargestellt. Die Schaltzentrale der Stasi in Ostberlin rückt genauso in den Fokus, wie das in der 80ern noch im Vergleich zu heute wenig glamouröse Berlin oder das beschauliche Bonn, das noch Hauptstadt ist.

Produktion dieser Langen Nacht:
Autorinnen: Sabine Oelze und Susanne Luerweg, Redaktion: Dr. Monika Künzel, Regie: Jan Tengeler, Sprecher: Tom Jacobs, Martin Schaller und Christoph Wittelsbürger, Ton und Technik: Ernst Hartmann und Christoph Schumacher, Webvideo- und Webproduktion: Jörg Stroisch

Über die Autorinnen Sabine Oelze und Susanne Luerweg:
Sabine Oelze studierte in Saarbrücken, Paris und Valladolid und machte ihren Magister der Kunstgeschichte und Romanistik an der Universität zu Köln. Als Kulturkritikerin und Redakteurin arbeitet sie für verschiedene Print- und Onlinemedien und für den Hörfunk, unter anderem auch für den Deutschlandfunk, Deutschlandradio Kultur, die Deutsche Welle und den WDR. Sie war als Kuratorin tätig und gibt auch Künstlerbücher heraus. Sie hat als Dozentin Dozentin für Journalismus an den Universitäten Duisburg/Essen und Bochum unterrichtet.
Susanne Luerweg studierte Romanistik und Anglistik in Aachen, Köln sowie Santa Cruz de Tenerife und Barcelona. Danach schlug sie eine klassische Journalistenlaufbahn ein. Heute ist sie als Radio- und Fernsehautorin und auch als Moderatorin tätig, unter anderem für den Deutschlandfunk, Deutschlandradio Kultur, den WDR und die Deutsche Welle. Ihre Themenschwerpunkte sind Fernsehkritiken, Medien- sowie Kulturthemen an der Schnittstelle von Hoch-und Popkultur.

Diese Sendung ist eine Wiederholung vom 02.12.2016.

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