Deutsches Burgenmuseum

Aufräumen mit absurden Klischees

Die Heldburg in Thüringen, Sitz des Deutschen Burgenmuseums
Im rigiden Grenzregime der DDR ein unerreichbarer Sehnsuchtsort: die Veste Heldburg. Heute ist sie Sitz des Deutschen Burgenmuseums. © picture alliance / dpa / Arifoto Ug
Von Henry Bernhard |
Es gibt echte Burgen, Burgen in Romanen, Computerspielen und im Kino. Daher hat jeder so seine Vorstellung, wie es dort zuging. Dabei steht die Burgenforschung noch ziemlich am Anfang. Das Deutsche Burgenmuseum kämpft gegen viele falschen Vorstellungen.
Die Eröffnung des Deutschen Burgenmuseums in der ehemaligen Schlosskirche der Veste Heldburg vor genau einem Jahr war ein Ereignis für die Region. Die kleine Stadt Heldburg im südlichsten, schon fränkisch geprägten Zipfel Thüringens in Sichtweite zu Bayern war fast zugeparkt. Ein Museum von deutschlandweiter Bedeutung ist für einen Ort, der Jahrzehnte im innerdeutschen Grenzgebiet abgeschnitten und auch heute noch in der Peripherie jenseits der Ballungszentren abgeschieden liegt, ein Jahrhundertereignis. Die Veste Heldburg war immer Teil der Identität und der kollektiven Erinnerung in der Region – und dennoch war sie in der DDR mit ihrem rigiden Grenzregime ein nicht zu erreichender Sehnsuchtsort, wie sich Landrat Thomas Müller erinnert.
"Im Norden des Landkreises Hildburghausen war die Veste schon ein Begriff, aber ich habe sie nicht selbst sehen können. Wenn, dann bei gutem Wetter vom Rennsteig aus der Ferne. Dann gab es 1982 den bekannten Brand. Vom Rennsteig aus sah man die Veste Heldburg brennen. Die ‚fränkische Leuchte‘ brannte und war nicht mehr die ‚fränkische Leuchte‘, sondern eine brennende Fackel!"

Wiedererweckung einer Totgeglaubten

Die Burg, in der DDR als Kinderheim genutzt, brannte 1982 aus und stand als traurige Ruine im streng bewachten, für nicht Ortsansässige unzugänglichen Grenzgebiet. Mit der Wiedervereinigung begann die Wiedererweckung der Totgeglaubten: Über 16 Millionen Euro haben Land, Bund und private Sponsoren in die Veste investiert. Und sie als Standort für ein Deutsches Burgenmuseum angeboten. Die Idee für dieses Museum, das sich eben nicht mit der Veste Heldburg, sondern mit der Burg als mittelalterliche Bauform als solche beschäftigt, hat den Kurator der Ausstellung, den Generaldirektor des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg, Ulrich Großmann, schon lange umgetrieben.
"Wie entstehen Burgen, wie werden sie erweitert, wie werden sie verändert, was geschieht eigentlich mit ihnen im Lauf der Generationen? Und nicht: Wie hat sich jetzt die eine Burg entwickelt? Natürlich ist die Heldburg für uns auch ein wichtiges Ausstellungsstück, aber wir zeigen nicht, wie sich die Heldburg entwickelt hat, sondern wir zeigen, wie sich Burgen generell entwickelt haben – egal, ob sie im norddeutschen Flachland oder im Alpenraum liegen."

"Wir wissen erschreckend wenig"

Und so beginnt die Ausstellung konsequent mit Modellen verschiedener Burgen, jeweils idealtypisch für ihre Zeit oder die jeweilige Region. Eine Burg ist zunächst einmal ein wehrhafter Sitz der Herrschaft. Die meisten Burgen entstanden im Mittelalter, zwischen 800 und 1500. Sie konnten aus Holz sein, aus Feldsteinen, aus Backsteinen, konnten in der Ebene stehen oder mächtig auf Felsen thronen, von Wasser oder hohen Mauern umgeben sein. Sie konnten Fürsten gehören, Rittern, aber auch Bischöfen oder Städten. Die Ausstellung zeigt die Werkzeuge zum Bau und die Waffen zu ihrer Verteidigung. Dennoch, so Großmann, wüssten wir noch immer erschreckend wenig über verblüffend viele Burgen.
"Burgenforschung ist etwas, wo wir mit sehr viel Unbekanntem arbeiten. Im mitteleuropäischen Raum haben wir rund 25.000 Burgen in mehr oder weniger erkennbaren Resten. 25.000. Bei Forschungen in einzelnen Regionen hat sich diese Zahl locker verdoppelt. Kommen wir auf 50.000, das ist schon ziemlich viel. Wenn man weiß, dass von diesen – seien es 25-, seien es 50.000 – maximal 20 Burgen einigermaßen klar ist, welche Innenräume es gab und wie die genutzt worden sind: Das wissen wir bei ganz wenigen Burgen. Und da steht die Forschung im Grunde genommen am Anfang."

Von wegen kalte Burgen

Nun könnte man meinen, dass es in vielen der Burgen und Burgruinen Ausstellungen mit Ritterrüstungen, Hellebarden, Schwertern, historischen Möbeln und archäologischen Funden gibt. Außerdem hat ja jeder so seine Vorstellung, wie es auf einer Burg zuging. Gerade darin sieht Großmann auch ein Problem:
"Millionen von Besuchern schauen sich jährlich Burgen an, echte Burgen und darüber hinaus auch Burgen in Romanen und Kinderbüchern. Viele sitzen vor Kinoleinwänden und Bildschirmen und freuen sich über die Filme und Computerspiele, die ihnen präsentiert werden, ohne zu bemerken, wie ihnen oft absurde Klischees vorgesetzt werden. So heißt es, die Burgen waren kalt, die Ritter schmutzig, man warf beim Essen die Knochen hinter sich … Als hätte ein Rumpsteak einen Knochen! Kinder durften nur Wein und Bier trinken, weil das Wasser zu schlecht war … Was müssten sie, lieber Herr Schuchardt, für eine Todesrate auf der Wartburg haben, und sie servieren heute noch das Bier aus der historischen Fernleitung – ähh, das Wasser aus der historischen Fernleitung."
Zwei Ritterrüstungen sind im Deutschen Burgenmuseum hinter einer Vitrine in Kampfstellung angeordnet.
So schmutzig, wie man meint, waren Ritter in Wahrheit gar nicht. Gekämpft haben sie sehr wohl.© Deutschlandradio – Henry Bernhard
Zehn Jahre hatte es von der Zusage bis zur Eröffnung des deutschen Burgenmuseums in der Heldburg gedauert, da kann man dem Kurator schon mal verzeihen, wenn er Bier und Wasser verwechselt. Im Museum dann ist man eben im Saal bemüht, die historische Esssituation an der Tafel zu zeigen.
"Im Regelfall saß man bei Hofe nicht wie heute bei uns einander gegenüber, sondern man saß an einer Seite des Tisches. Von der anderen wurde bedient. Und man saß gegenüber dem herrschaftlichen Ehepaar oder dem Herrscher. Und man saß in Rangfolgen: Die wichtigsten am ersten Tisch, die nächsten am zweiten usw. Darüber sind wir recht gut über Hofordnungen informiert, die es seit dem späten 15. Jahrhundert gibt."

Besonders seltene Stücke

Beim Blick auf Teller aus Baumrinden geht dann auch viel Ritter-Gloria verloren, wenn man lernt, dass nur der Fürst vom silbernen Teller aß und auch jeder sein eigenes Besteck, seinen eigenen Trinkbecher mitbringen musste.
Exemplarisch zeigt das Burgenmuseum auch den jeweils privatesten Bereich einer Burg, Stube und Kammer. Stolz ist Ulrich Großmann auf besonders seltene Stücke wie eine Sturmwand, einen Schutzschild zur Belagerung von Burgen, mit Einschusslöchern von Bogenpfeilen und Armbrustbolzen. Und daneben, fast ein Unikat, eine Sturmleiter.
"Diese Strickleiter besteht aus Eisenstäben mit Seilen. Die Stäbe steckt man ineinander und dann hakt man die oben in die Mauer ein…"
… mit dem Haken, der am obersten Stab befestigt ist…
"…zieht daran und die Einzelstäbe zerfallen in Sprossen. Und wenn das so 50 nebeneinander machen, haben ein paar eine Chance, eine Mauer zu erstürmen."
Natürlich geht es auch um Ritter, um deren gesellschaftliche Stellung, deren Turniere, Rüstungen, Waffen – aber auch um deren Religiosität.
Die aktuelle Sonderausstellung auf der Veste Heldburg könnte nicht besser ins Reformationsjahr passen: "Eine feste Burg ist unser Gott" beschäftigt sich mit dem bekanntesten protestantischen Kirchenlied, der "Marseillaise der Reformation".
"Niemand hat sich eigentlich damit beschäftigt: Warum stellt Luther dieses Bild der Burg so in den Mittelpunkt? Der Psalm, an dem er sich orientiert hat, heißt ein bisschen anders. Da ist das Wort ‚Burg‘ nicht genannt, sondern eher ein ‚sicherer Platz‘. Aber Luther hat es mit ‚Burg‘ identifiziert. Mag sein, dass die Erfahrung der Wartburg, wo er ja 1521 ein dreiviertel Jahr war, dazu beigetragen hat, aber vielleicht auch, weil einfach das Thema Burg für jemanden in dieser Zeit so offensichtlich war."

Burg oder Schloss?

Die Ausstellung zeigt das älteste Manuskript, den ältesten Druck des Liedes, listet dutzende Übersetzungen auf und zeigt historische Ansichten aller 30 Burgen, auf denen sich Luther nachgewiesenermaßen aufgehalten hat. Zu Besuch bei den Fürsten, zum Predigen oder eben, um sich zu verstecken.
Am Ende des Rundgangs durch das Deutsche Burgenmuseum, der mit vielen Vorurteilen aufräumt, bleibt eine Frage: Was unterscheidet Schloss und Burg?
"Am liebsten gar nicht!"
… meint Ulrich Großmann.
"Ich sag dann immer: Wenn ich den Titel ‚Von der Burg zum Schloss‘ – in einem betreffenden Buch habe ich mal einen Aufsatz geschrieben – ins Englische übersetze, heißt das ‚from the castle to the castle‘. Und dann merkt man, dass es andere Sprachen gibt, die sich diesen Versuch der Differenzierung nicht antun. Bei uns ist es im Sprachgebrauch. Burg ist Mittelalter, Schloss ist Neuzeit."
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