Das Problem mit der Milch

Molkereien sind Konzerne und Bauernhöfe Fabriken geworden

Eine hornlose Milchkuh liegt auf einer Weide.
Milchkuh auf einer Weide in Wupperfürth © picture alliance / dpa / Horst Ossinger
Von Kerstin Schweizer · 09.06.2016
Vom Jahr 2000 bis heute hat sich die Zahl der Milchkuhhalter annähernd halbiert. Die Menge der erzeugten Milch aber ist gestiegen. Macht das Sinn? Nein, denn mit den kleinen Höfen verliere auch die Landschaft ihren Reiz, meint die Journalistin Kerstin Schweizer.
Erstaunlich, was sich heute alles haargenau steuern lässt. Der Löschtermin im Hamburger Hafen ist gebucht, noch bevor das Containerschiff in Shanghai überhaupt ablegt. Selbst im fernen Weltall schafft man es, millimetergenau zu arbeiten. Nur das mit der Milchmenge, das bekommen wir irgendwie nicht in den Griff.
Meist ist zu viel Milch am Markt. Manchmal schluckt es der Export. Manchmal nicht. Dann haben wir die Überproduktion, den Preissturz, das Gejammer und am Ende immer die Staatshilfe. Die sichert dann einigen das Überleben.
Doch am Großen und Ganzen ändert sich nichts. Nach der Krise ist vor der Krise. Und irgendwie haben wir uns an das ganze Theater von Trecker-Paraden und ausgekippten Milchbottichen auch schon gewöhnt. Das ist nicht gut.

Erhalt des ländlichen Raumes als größte Herausforderung

Vielleicht sollte man noch mal neu darüber nachdenken, über was man redet, wenn man über Milch redet. Vielleicht sollten alle mal kurz die Augen schließen und sich ein Deutschland vorstellen, in dem es keine klassischen Bauernhöfe mehr gibt. Denn die, auch das scheint ein Naturgesetz, werden von Jahr zu Jahr weniger.
Bauern tragen zwar nur zu einem winzigen Teil zum Bruttoinlandsprodukt bei. Doch keine andere Branche ist derart landschaftsprägend. Monotone Äcker oder kleinteilige Strukturen? Abgeschottete Riesenställe oder, im besten Falle, gemütlich grasende Kühe? Das entscheidet der Landwirt. Beziehungsweise die Landwirtschaftspolitik. Besser: wir alle.
Der Erhalt des ländlichen Raumes ist vielleicht die größte Herausforderung der kommenden Jahre.
Eine gepflegte Landschaft, die Angestellte und Beamte gern als Kulisse für ihre Freizeit nutzen, trägt maßgeblich dazu bei, ob eine Region als attraktiv empfunden wird oder nicht. Haben sich der Landwirtschaftsminister Christin Schmidt und der Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel darüber schon mal unterhalten?
Leider ist es so: Kleine Höfe arbeiten teurer. Weidegang ist umständlich. Es rechnet sich nicht, in einem Markt, der allein über den Preis bestimmt wird. Doch genau das ist seit Jahren die Politik. Milch wird als Rohstoff interpretiert - nicht als Marke. Bauern sind in dieser Kette nichts als gesichtslose Zulieferer.

Bauer mit Regionalmarke versus Fabrik mit Export

Mit Forderungen nach mehr regionalen Marken und nach besserer finanzieller Förderung kleinteiliger Strukturen rutscht man schnell in die Alm-Öhi-Ecke - nett, aber hoffnungslos von gestern. Aber bitte: Was hat die ganze Politik von Effizienz in der Landwirtschaft eigentlich gebracht? Vom Jahr 2000 bis heute hat sich die Zahl der Milchkuhhalter annähernd halbiert. Die Menge der erzeugten Milch aber ist gestiegen. Macht das Sinn?
Deutschland produziert weit mehr als für den Eigenbedarf, etwa 50 Prozent geht in den Export. Doch gerade die Orientierung auf den Weltmarkt macht die Preise so anfällig. Länder wie Neuseeland produzieren günstiger und geben den Takt vor.
Nun ist es so: Der Weltmarkt ist da, die Grenzen sind offen. Molkereien sind zu Konzernen geworden, Bauernhöfe zu Milchfabriken. Das bekommt man nicht mehr weg.

Geförderte Koexistenz anstelle von Subventionen

Aber es gäbe eine faire Möglichkeit zur Koexistenz. Wer sich als Landschaftspfleger sieht, sollte diesen Weg mit verlässlicher Förderung im Rücken auch gehen können. Mehr regionale Vermarktung unter eigener Marke würde Milch zudem wertvoller erscheinen lassen.
Ich glaube daran, dass Verbraucher dafür mehr bezahlen. Es würde zumindest helfen, die noch verbliebenen kleinen Höfe zu stabilisieren. Wer auf Effizienz in Großställen setzt und sich den Wind des Weltmarktes um die Nase wehen lassen möchte - bitteschön. Ich finde allerdings: Mit meinem Geld muss das diese Treiben nicht gefördert werden.
Es ist eine Milchmädchenrechnung, zu glauben, dass die Krise mit 100 Millionen Euro irgendwie entschärft wird.

Kerstin Schweizer, Jahrgang 1968, Journalistin und Buchautorin studierte Geschichte, Germanistik und Soziologie in Berlin und Frankreich. Nach dem Abschluss der Berliner Journalistenschule arbeitete Kerstin Schweizer unter anderem für den MDR, ORB, "Die Zeit", "taz" und "Financial Times Deutschland". Heute arbeitet sie als Reporterin und Redakteurin im Wirtschaftsressort der Deutschen Welle TV.

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