Coronapandemie

Ein funktionierender Sozialstaat verkürzt die Krise

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Illustration, ein Mann verbindet verschiedene Leute mit einem Reißverschluss.
Ein ungeheure wirtschaftliche und psychologische Stabilisierungsleistung habe der Sozialstaat in der Coronakrise bisher erbracht, meint Gustav Horn. © imago images/ John Holcroft
Ein Kommentar von Gustav Horn · 29.04.2020
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Ein Shutdown verhindert Coronatote, aber er bedroht die wirtschaftliche Existenz. Und so wird der Ruf nach Lockerungen lauter. Weil der Sozialstaat verhindert, dass die Menschen ins Bodenlose stürzen, kann man dabei behutsam vorgehen, meint Gustav Horn.
Immer drängender stellt sich die Frage, wann und vor allem wie ihn wieder anlassen, ohne mühsam errungene Erfolge bei der Bekämpfung der Pandemie zu verspielen. Es wäre schön, könnte man den Motor mit einer Handumdrehung durch das gleichzeitige Aufheben aller Beschränkungen wieder starten. Doch dies ist eine Illusion, weil weder die Pandemie spontan enden noch die Ökonomie spontan anspringen wird. Beides sind zähe Prozesse, die einer unterstützenden politischen wie wirtschaftspolitischen Begleitung bedürfen.
Das Verhältnis zwischen medizinischer und ökonomischer Begleitung ist jedoch alles andere als konfliktfrei. Anfänglich, bei Ausbruch der Pandemie, bestand sogar ein ausgesprochen schroffer Gegensatz zwischen beidem. Denn jede wirtschaftliche Tätigkeit, die mit sozialen Kontakten und damit Ansteckungsgefahr verbunden war, musste unterbunden werden, sollte die Ausbreitung des Virus gehemmt werden. Die Entscheidung in diesem Konflikt fiel seinerzeit relativ leicht. Schließlich ging es und geht es um Menschenleben.

Auch wirtschaftliche Sorgen können krank machen

Mittlerweile verschwimmen in der leicht abklingenden Pandemie die Konfliktlinien. Die medizinische Notwendigkeit, soziale Kontakte zu beschränken, besteht zwar weiter, nimmt jedoch ab, während die ökonomischen Schäden mit jedem Tag der Beschränkungen zunehmen. Sie verstärken sich sogar. Denn je länger Unternehmen oder Selbständige ohne Einnahmen bleiben, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass sie insolvent werden und damit auch nach einem Aufheben der Beschränkungen nicht mehr wirtschaftlich tätig sein werden. Im Ergebnis steigt die Arbeitslosigkeit mit Einkommensverlusten für breite Bevölkerungsschichten.
Das hat Folgen auch für die medizinische Lage. Wirtschaftliche und soziale Probleme machen ebenso krank wie gerade bei älteren Menschen eine längere soziale Isolation. Vor allem aber erzeugen wirtschaftliche Depressionen wachsenden Widerstand gegen die medizinischen Maßnahmen, die dadurch an Wirksamkeit einzubüßen drohen. Wie weit dies gehen kann, zeigen die Demonstrationen in den Slums von Brasilien und einzelnen Bundestaaten der USA. Dort wird die Aufhebung der Beschränkungen trotz aller Gefahren für die eigene Gesundheit als Akt der Befreiung gefordert.

Ungeheure Stabilisierungsleistung des Staates in der Krise

Wie löst man diesen Konflikt und bringt die Wirtschaft wieder zum Laufen? Die Antwort lautet: durch einen modernen und effizienten Sozialstaat. Er ist das Scharnier zwischen medizinischen und wirtschaftlichen Anforderungen. Der deutsche Sozialstaat hat von Beginn der Krise im Zusammenwirken mit einer entsprechend ausgerichteten Finanzpolitik eine ungeheure wirtschaftliche und psychologische Stabilisierungsleistung erbracht. Er sorgte dafür, dass die Menschen, die nicht mehr arbeiten durften, nicht ins wirtschaftlich Bodenlose fielen. So hielten die Kurzarbeiterregelungen den Kaufkraftverlust in Grenzen, sodass der Konsum nicht völlig einbrach. Vor allem erhöhte sich die Bereitschaft, die medizinisch notwendigen Beschränkungen zu akzeptieren und erhöhten damit deren Wirksamkeit. Mit anderen Worten, ein funktionierender Sozialstaat verkürzt die Krise.
Mit der Pufferwirkung sozialen Schutzes lässt sich auch unsere Wirtschaft wieder starten. Sie erlaubt es, die medizinischen Bremsen nur langsam zu lockern und das ökonomische Gaspedal nur allmählich durchzudrücken und so die Wirtschaft wieder auf einen stabilen Aufwärtspfad zu bringen.

Gustav A. Horn ist Professor für Volkswirtschaftslehre. Von 2005-2019 war wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung. Horn ist Mitglied der SPD und gehört seit 2019 dem Parteivorstand an.

Gustav Horn 
© picture alliance/ ROPI/ Anna Weise
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