Chancengleichheit

Setzt die Erbschaftssteuer herauf!

04:24 Minuten
Eine halb leergeräumte Altbauwohnung, Möbel stehen in der Ecke und ein Fernseher leuchtet auf dem Fussboden.
Aus eigener Kraft schaffen es auch die Fleißigsten heute oft nicht mehr zu Wohlstand und sozialem Aufstieg. Stattdessen herrsche das Prinzip "Wer hat, dem wird gegeben", sagt Christian Baron. © imago images/viennaslide
Eine Forderung von Christian Baron · 17.02.2021
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Wenn auch ein guter Abschluss nicht mehr zu einem gutbezahlten Job führt, wird "Chancengleichheit durch Bildung" zur hohlen Phrase, meint Christian Baron. Über Wohlstand und Erfolg entscheidet oft geerbtes Vermögen. Mit welchem Recht eigentlich?
Schulden zurückzahlen: Das kenne ich gut. Ich bin in einer armen Familie aufgewachsen. Meine Mutter war Hausfrau, mein Vater ungelernter Hilfsarbeiter. Beide sind tot, und vererben konnten sie mir nichts als Schulden. Seit sieben Jahren lebe ich als Journalist in Berlin. Ein Beruf, in dem die Arbeitsbedingungen immer prekärer werden – und in einer Stadt, in der das Wohnen immer teurer wird. Hier kommen sie zum Tragen, die feinen Unterschiede.
Einige meiner Kolleginnen und Kollegen bekamen von ihren Eltern oder Schwiegereltern eine Eigentumswohnung geschenkt. Der Geburtszufall oder die Partnerwahl haben ihnen eine Sicherheit beschert, die jemand wie ich aus eigener Kraft wahrscheinlich nie erreichen kann. Wenn solche Zufälle über die ökonomische Perspektive eines Menschen entscheiden, dann ist die in der Politik so beliebte Rede von der Chancengleichheit nur noch eine hohle Phrase.
Dabei ist vielen ihr Privileg gar nicht richtig bewusst. Dazu ein Gedankenexperiment: Wer eines Morgens aus dem Nichts eine Million Euro auf seinem Konto hat, der wird erst ungläubig staunen. Dann wird er vielleicht beginnen, das Geld auszugeben und zu bestimmen, wer davon etwas haben darf und wer nicht. Wenn später jemand kommt, zum Beispiel der Staat mit seiner Erbschaftssteuer, und ihm einen Teil davon oder sogar alles wegnehmen will, dann betrachtet er das als eine Art Diebstahl und wird sich dagegen wehren. Heutzutage wahrscheinlich noch viel mehr als vor Jahrzehnten. Denn inzwischen geht es bei Erbschaften nicht mehr nur um Geld, sondern vor allem um Lebenschancen.

Eine Erbschaft verbessert Chancen erheblich

In der Bildungsexpansion der Siebzigerjahre war es möglich, dass viele Menschen aus Nicht-Akademiker-Haushalten studieren und sich einen gewissen Wohlstand erarbeiten konnten. Das hat eine "neue Mittelklasse" entstehen lassen, die laut dem Soziologen Andreas Reckwitz heute etwa ein Drittel der Gesellschaft ausmacht. Nun bietet ein abgeschlossenes Studium allein längst keine Garantie mehr für ein Leben in materieller Sicherheit. Die unteren 50 Prozent verfügen praktisch über kein Vermögen. Wenn deren Auto morgen in die Werkstatt muss, kriegen sie ernsthafte Probleme.
In dieser Lage werden Erbschaften für die "neue Mittelklasse" zu einem Wettbewerbsvorteil. Ein Vorteil, den der Staat derzeit noch unterstützt. Denn wer erbt, zahlt nur geringe Steuern: So müssen Ehepartner bis zu einem Betrag von 500.000 Euro keine Erbschaftssteuer zahlen. Und Kinder können 400.000 Euro erben, ohne dass Steuern anfallen. Bei Schenkungen können diese Freibeträge sogar alle zehn Jahre neu ausgeschöpft werden. Es gilt hier also das Prinzip: Wer hat, dem wird gegeben.

2019 betrug die Erbschaftssteuer knapp sieben Milliarden

Knapp sieben Milliarden Euro hat der deutsche Staat im Jahr 2019 über die Erbschaftssteuer eingenommen. Sehr viel Geld, keine Frage. Doch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung schätzt, dass hierzulande jährlich zwischen 250 und 400 Milliarden Euro vererbt werden. Nehmen wir die niedrige Zahl der DIW-Schätzung zum Maßstab, dann entspricht der Anteil der Steuereinnahmen gerade einmal 2,8 Prozent.
Fazit: Eine Erhöhung der Erbschaftssteuer wäre machbar. Sie würde Geld in die leeren Kassen des Staates spülen, und sie würde für mehr Gerechtigkeit sorgen. Denn die Politik löst das Versprechen des sozialen Aufstiegs durch Bildung kaum noch ein. Für immer mehr Menschen ist es quasi unmöglich, durch eigene Arbeit Rücklagen zu bilden. Damit private Ressourcen die gesellschaftliche Spaltung nicht noch weiter vorantreiben, müsste der Staat hohe Erbschaften endlich viel konsequenter besteuern. Nicht nur in Zeiten der Coronakrise, sondern dauerhaft.

Christian Baron ist freier Autor und lebt in Berlin. 2020 veröffentlichte er im Claassen-Verlag sein literarisches Debüt "Ein Mann seiner Klasse". In Kürze erscheint, ebenfalls bei Claassen, die von ihm mitherausgegebene Anthologie Klasse und Kampf. Weitere Infos: www.christian-baron.com

Porträt des Journalisten und Autoren Christian Baron.
© Hans Scherhaufer / Ullstein Verlag
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