Der Bandera-Kult

Die problematische Seite des ukrainischen Nationalismus

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Fackelzug von rechten Aktivisten und der OUN (Organisation Ukrainischer Nationalisten) zum 113. Geburtstag von Stepan Bandera am 1. Januar 2022 in Kiew
Fackelzug von rechten Aktivisten und der OUN (Organisation Ukrainischer Nationalisten) zum 113. Geburtstag von Stepan Bandera am 1. Januar 2022 in Kiew © picture alliance/dpa/TASS / Anna Marchenko
Von Martin Sander · 13.04.2022
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Wegen seines Kampfes gegen die Sowjetherrschaft wird er in Teilen der Ukraine bis heute als Held verehrt: der 1959 ermordete Anführer der Organisation Ukrainischer Nationalisten, Stephan Bandera. Doch das war nur ein Teil seiner politischen Agenda.
Das Ende kam plötzlich, aber nicht unerwartet. Am 15. Oktober 1959 tötete ein sowjetukrainischer KGB-Agent den Anführer der Organisation Ukrainischer Nationalisten Stepan Bandera. Eine Giftpistole vor seiner Münchener Wohnung wurde Bandera zum Verhängnis. Der Ukrainer Bandera hatte nach dem Zweiten Weltkrieg in München sein Exil bezogen.

In München zog er vor allem publizistisch gegen die Versklavung der Ukraine durch die Sowjetunion zu Felde. Unterstützung fand er bei diversen westlichen Nachrichtendiensten. Die Sowjets hatten Bandera in Abwesenheit zum Tode verurteilt.

Bandera bis heute als Held verehrt

Bis heute wird Stepan Bandera in Teilen der Ukraine als Held verehrt, vor allem wegen seines Kampfes gegen die Sowjetherrschaft in seiner Heimat. Doch das war nur ein Teil seiner politischen Agenda.

„Man kann ihn sowohl als radikalen Nationalisten als auch als Faschisten bezeichnen.“ Der in Berlin lebende Historiker Grzegorz Rossoliński-Liebe hat eine Bandera-Biografie verfasst. Das Buch liegt bereits auf Englisch, Polnisch und Ukrainisch vor, nicht jedoch auf Deutsch:

„Er wurde von den faschistischen europäischen Diskursen geprägt. Offiziell haben ukrainische Nationalisten die Bezeichnung Faschismus nicht benutzt. Aber die inneren Diskurse und auch die Kontakte zu Mussolini, zu Hitlerdeutschland, die machen klar, dass die OUN den transnationalen Faschismus rezipiert hat, erst aus Italien, dann aus Deutschland und dann ihren eigenen ukrainischen Faschismus erfunden hat.“

Seit den 30er-Jahren in der Führung der OUN

Stepan Bandera wurde als Sohn eines griechisch-katholischen Priesters 1909 in Stryj Hryniw geboren, südlich von Lemberg. Der heutige Westteil der Ukraine gehörte damals, vor dem Ersten Weltkrieg, zur Habsburger Monarchie. Danach kam er zu Polen. 1939 besetzten die Sowjets die Westukraine. Nach drei Jahren deutscher Besatzung schlugen sie das Territorium dauerhaft der Sowjetukraine zu.

Bandera stieg in den 30-Jahren in den engeren Führungszirkel der OUN auf, der Organisation Ukrainischer Nationalisten. 1934 verurteilte ihn ein polnisches Gericht für seine Beteiligung an einem Attentat auf den polnischen Innenminister zum Tode. Die Strafe wurde in Haft umgewandelt.

Radikalnationalistisch und antisemitisch

Nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs kam Bandera frei. 1940 spaltete sich die OUN. Bandera stand nun an der Spitze der radikalnationalistischen und antisemitischen OUN-B – B wie Bandera-Leute. Deren untere Ränge beteiligten sich an der Ermordung von bis zu 800.000 Juden durch die Deutschen in der Westukraine. Dass Bandera politisch dafür verantwortlich zeichnete, streiten seine Verehrer bis heute ab.

„Die Beteiligung an den Massakern an den Juden ist schwierig nachzuweisen, weil er daran nicht direkt beteiligt war, sondern nur als Schöpfer der Ideologie, die dann dazu geführt hat“, sagt der Hamburger Historiker und Ukraine-Spezialist Frank Golczewski.

In "Ehrenhaft" im KZ-Sachsenhausen

Wenige Tage nach dem Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion proklamierte Banderas OUN-B am 30. Juni 1941 in Lemberg einen unabhängigen ukrainischen Staat an der Seite Hitlerdeutschlands. Doch den Nationalsozialisten passte das nicht. Sie bevorzugten ihr eigenes Besatzungsregiment. So nahmen sie Bandera im KZ-Sachsenhausen bei Berlin in "Ehrenhaft". Die OUN mit ihren beiden Flügeln und weitere ukrainische Gruppen kämpften währenddessen in der Vielvölkerregion der westlichen Ukraine weiter für einen ethnisch reinen ukrainischen Staat.

„Sie wollten teilweise vertreiben, teilweise ermorden die drei Gruppen: Juden, Polen und Russen. Das waren die Hauptfeinde der OUN“, sagt Grzegorz Rossoliński-Liebe.

Banderas Kämpfer verübten Massaker

Banderas Kämpfer verübten Massaker an den polnischen Bewohnern der Westukraine, in Ostgalizien und im nordöstlich angrenzenden Wolhynien. 1943/44 metzelten sie bis zu 100.000 Zivilisten nieder. Zunehmend gingen sie auch gegen die Deutschen vor. Seit Kriegsende konzentrierten sie sich auf den Widerstand gegen die Sowjetherrschaft.

„Als man bemerkt hat, dass Deutschland den Krieg nicht gewinnen wird und als man sich umstellen wollte, hat man sich vom Faschismus äußerlich verabschiedet. Das war der Wunsch, mit den USA, mit den Alliierten zusammenzuarbeiten – gegen die Sowjetunion.“

Kampf für eine unabhängige Ukraine

Nach dem Krieg, als Bandera in Westdeutschland lebte, kämpften seine Partisanen bis in die 50er-Jahre für eine unabhängige Ukraine. Dagegen gingen sowjetische Militärs und Geheimdienstler mit brutaler Gewalt vor. 150.000 Westukrainer fielen diesem Terror zum Opfer, über 200.000 wurden ins Innere der Sowjetunion deportiert. Die sowjetischen Verbrechen trugen zu einem geheimen Helden- und Opferkult um Bandera bei.
Nach der Unabhängigkeit der Ukraine 1991 verehrte man den Anführer der OUN in der Westukraine ganz öffentlich. Inzwischen gibt es dort vier Bandera-Museen, zahlreiche Denkmäler und zahllose Bandera-Straßen. In der Zeit des Maidans 2013/14 griff die Verehrung auch auf Kiew über. Wladimir Putin schlachtete das für seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine propagandistisch aus.
Damit verdrehte er die Tatsachen, sagt Frank Golczewski: „Der Bandera-Kult, auch die ganze nationalistische Ausrichtung, ist in den letzten Jahren marginalisiert wurden. Sie war um 2013/14 relativ stark im Parlament vertreten. Inzwischen ist sie im Parlament nicht mehr vertreten.“

Botschafter Melnyk ist Bandera-Verehrer

Prominente Freunde dieses Kults gibt es weiterhin – zum Beispiel den Botschafter der Ukraine in Deutschland, Andrij Melnyk.

„Man kann ohne weiteres sagen, dass Herr Melnyk auch einige Elemente der Ideologie der Organisation Ukrainischer Nationalisten aufgenommen und umgesetzt hat. Dazu gehört der absolute Russenhass. In der Perspektive werden die Russen als Hauptfeinde, Erbfeinde der Ukrainer aufgefasst.“

Melnyk ist bekannt geworden, weil er sehr entschieden ukrainische Interessen in Deutschland vertritt. Kürzlich sorgte er für Aufmerksamkeit, weil er die Einladung des Bundespräsidenten zu einem Solidaritätskonzert für die Ukraine ablehnte. Mit der Begründung: dort würden Künstler russischer Herkunft auftreten. Die Auftretenden gehörten allerdings zu denen, die den russischen Angriffskrieg verurteilen.
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